Potsdamer Neueste Nachrichten 16.08.07

 

Heimatforscher par excellence

Ehrung für Dieter Mehlhardt – Legende der Regionalhistorik und der Naturkunde

Kleinmachnow - Am Montag versammelte der Heimatverein Kleinmachnow viele Weggefährten, Freunde des 1988 viel zu früh verstorbenen Chronisten von Kleinmachnow, Dieter Mehlhardt, um mit zahlreichen Gästen seiner zu gedenken. Bereits am Sonntag legte man mit der Familie Mehlardts an seinem Grab auf dem Kleinmachnower Waldfriedhof Blumen nieder. „So voll war es noch nie“, war im Seniorenclub „Toni Stemmler“, gleichzeitig Sitz des Heimatvereins, zu hören. Eine Welle der Sympathie schwingt für Mehlhardt mit jedem gesprochenen Wort durch den Raum. Das Gefühl entsteht, bei Dieter Mehlhardt liefen zu Lebzeiten viele Fäden zusammen, weil sein ideenreicher Geist die Menschen ansteckte.

Kurz nach dem 2. Weltkrieg gründete Vater Kurt Mehlhardt mit Sohn Dieter (geb. am 12. August 1927) gemeinsam den Verlag „Naturwissenschaftliche Korrespondenz“. Inhalt war die Herausgabe von Gartenbau-Fachliteratur, was in den 50er Jahren mit dem Versand nicht selbstverlegter Fachliteratur der DDR ergänzt wurde. Die Verlagstätigkeit endete nach wenigen Jahren, das Papierkontingent war Mehlhardt von der sowjetischen Besatzungsmacht gestrichen worden. Der Buchhandel wurde Schwerpunkt des Geschäfts, so dass in den 60er Jahren ein kleines Ladengeschäft unter dem Titel „NATURA“ in Kleinmachnow eröffnet wurde. Trotzdem blieb der Versandhandel aus der Hohen Kiefer 69 Hauptaufgabe, die Mehlhardt mit bis zu acht Mitarbeitern bestritt. Für Naturliebhaber und Fachleute in Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft wurde über Jahrzehnte „NATURA“ ein Begriff. Nach dem Tod des Vaters am 2. September 1988 übernahm Holger Mehlhardt mit nur 19 Jahren das Geschäft und brachte es erfolgreich durch die Wendezeit, auch der Versandhandel blieb bis heute bestehen.

Dieter Mehlhardts Ambitionen reichten weit: Er war Buchhändler, Naturkundler, Heimatforscher und Regionalhistoriker sowie Schriftsteller. Mit 18 Jahren schrieb er sein Buch „Der Dachs“. Viele Gedichte und Schriften folgten zum Thema Garten, Kochen, Haushaltspflege. Letztere sollten der Hausfrau dienen, in den schlechten Zeiten nach dem Krieg über die Runden zu kommen. Schriftserien zu Naturthemen entstanden, und Mehlhardt verfasste zahlreiche Artikel zur Heimatkunde für verschiedene Zeitungen, so unter anderem über den Teltow-Kanal und viele alte Dorfkirchen in Brandenburg, von denen er über 150 besucht haben soll. Letztere Artikel erschienen auch im Sonntagsblatt „Potsdamer Kirche“. Er hatte ein enormes Hintergrundwissen für sich gespeichert und gab es gern weiter.

Weggefährte und Fotograf Bernd Blumrich erinnert sich, dass Mehlhardt einen Artikel über eine gemeinsame Fahrt nach Reckahn dem in der DDR als „Bückware“ bekannten „Magazin“ angeboten hatte. Es folgte ein langes Schreiben vom Lektor, in dem in umfangreicher Weise Streichungs- und Änderungswünsche sowie zahlreiche ergänzende Recherchen vom Verfasser abverlangt wurden. „Mit Dummheit kann ich umgehen, aber Dummheit gepaart mit Arroganz, das ist zu viel,“, soll Mehlhardts Reaktion gewesen sein. Es kam nie zu einer Veröffentlichung im Magazin.

Der Güterfelder Peter Ernst, früher im Halbleiterwerk Stahnsdorf tätig gewesen, war Mitinitiator einer langjährigen Tradition. 1970 wurde die „sozialistische Arbeitsgemeinschaft Landeskultur und Naturschutz“ für interessierte Mitarbeiter gegründet. Mehlhardt sollte ungesehen alle Fachliteratur besorgen, das finanzielle Budget war recht gut. Heute befindet sich diese gewachsene Bibliothek als Bestandteil der ARGUS-Umweltbibliothek im Haus der Natur Potsdam und ist nicht verloren gegangen.

Christa und Johannes Jankowiak, bekannt durch heimat- und naturkundliche Veröffentlichungen zur Region, waren trotz ihres hohen Alters gekommen und erinnerten sich an den Start einer langen, tiefen Freundschaft mit Mehlhardt. 1949 nach Kleinmachnow gezogen, lernten sie 1953 Mehlhardt und seine Bücher kennen. Das wohl meistgelesene Buch aus seiner Feder gibt es noch im Jankowiakschen Haushalt, die „Kleinmachnower Chronik“ von 1952. Das Buch „hält nur noch aus Liebe zusammen.“ Christa Jankowiak berichtet von ihrem ersten Besuch in der Hohen Kiefer 69: Links seien auf der Treppe Bücherpakete säuberlich auf jeder Stufe gestapelt gewesen. Geradeaus war im Wohnzimmer die Buchhandlung untergebracht. In der Mitte der riesige Tisch voller Bücher, auf dem Boden waren Bücher aufgestapelt, an den Wänden die Regale bis zur Decke ausgelastet. „Suchte man ein Buch und fand es nicht, hatte Dieter Mehlhardt es mit einem Griff.“

Karikaturist Harald Kretzschmar erinnert an das „Untergrunddasein“ mancher Buchausgaben. „Unter dem Tisch wurde mehr gehandelt als darüber.“ Mehlhardt hatte den Ruf, fast alle Literaturwünsche heranschaffen zu können.

1952 fasste er die Geschichte Kleinmachnows in einer Chronik zusammen, die vom Kulturbund der DDR herausgegeben wurde. Fortgesetzt und überarbeitet bat er 1972 die Gemeinde um deren Veröffentlichung, was ihm aus politischen Gründen wohl versagt wurde. 1989 trat die Gemeinde an die Familie heran, weil der Vater posthum zum zweiten Ehrenbürger Kleinmachnows ernannt werden sollte. Die Familie nahm das Angebot nicht an. Zum Grund der Ablehnung sagte sein Sohn Holger den PNN: Es seien in der Gemeinde noch die selben Seilschaften gewesen, die seinem Vater gegenüber in der Vergangenheit eine ablehnende Haltung zeigten. Auf die Frage, wie die Familie heute dazu stünde, antwortete Holger Mehlhardt: „Heute würden wir das Angebot der Ehrenbürgerschaft für den Vater annehmen.“

Nach den Worten von Ingo Saupe, Vorstandsmitglied im Heimatverein, strebt dieser schon lange eine Würdigung des Menschen Mehlhardt an. Es gab schon seit Jahren immer wieder Gespräche mit der Gemeinde. Man stelle sich die Umwidmung seiner Grabstätte zum Ehrengrab vor oder auch die Benennung einer Straße im wachsenden Kleinmachnow nach ihm. Das Problem sei jedoch die erforderliche Mehrheit in der Gemeindevertretung. Ein hartes Stück Arbeit für den Heimatverein, den gewählten Vertretern den Menschen Mehlhardt doch noch näher zu bringen. Denn so Saupe: „Ein Mensch lebt so lange, wie man an ihn denkt.“ Ute Kaupke