Potsdamer Neueste Nachrichten 12.05.07
Schubkraft für die Stammbahn
Europarc präsentiert Wirtschaftlichkeitsstudie für die Bahnlinie: "Großes
Nachfragepotenzial"
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow -
Hinrich Brümmer kennt das: Zahlen eingeben, Prognosen machen, Kilometer zählen,
Varianten vergleichen. 1995 hat der Verkehrplaner analysiert, wie
wirtschaftlich der Wiederaufbau der Stammbahn wäre. Das Ergebnis damals: Der
Wiederaufbau der ersten preußischen Bahnlinie von Griebnitzsee, mit einem neuen
Stopp am Europarc Dreilinden, über Düppel und Zehlendorf zum Potsdamer Platz
macht Sinn.
Zwölf Jahre später hat Brümmers Firma, die ETC Transport Consultans, die
Wiederaufbau-Idee erneut unter die Lupe genommen. Das Resultat ist das gleiche:
„Die Wiederinbetriebnahme der Potsdamer Stammbahn erschließt große
Nachfragepotenziale“, referierte Brümmer gestern im Europarc. In der Chefetage
des Gewerbeparks war das erneute Gutachten in Auftrag gegeben worden.
Seit dem Fall der Mauer ist die
Reaktivierung der im Krieg zerstörten und nach 1961 endgültig still gelegten
Strecke in der Diskussion. Als Teil des „Pilzkonzeptes“ der nach Berlin
führenden Regionalbahnlinien ist die Stammbahn bislang nur auf dem Papier
skizziert. Kosten, Finanzierung, Varianten und Sinnhaftigkeit wurden immer
wieder kontrovers diskutiert. So hartnäckig die Gegner den Wiederaufbau als
„ökologisch und ökonomisch unsinnig“ ablehnen, so vehement predigen die
Befürworter die Notwendigkeit der Stammbahn. Die Europarc-Gesellschaft, die
eine Entwicklung des Gewerbeparks an der Nahtstelle zwischen Berlin und Potsdam
zu einer attraktiven Geschäftsadresse u.a. vom Wiederaufbau der Stammbahn
abhängig macht, verweist allein auf das Fahrgastpotenzial, das sich aus der
Belegschaft der angesiedelten Firmen rekrutieren würde. 6000 Beschäftigte
sollen hier einmal ihren Arbeitsplatz haben, 2100 sind es bereits heute. Von
täglich 3600 Berufspendlern zum Europarc würden 2900 die Stammbahn nutzen,
prognostizieren die ETC-Berater. Die gesamte Strecke würde bei ihrer
Realisierung eine „der gefragtesten Regionalbahnlinien in Berlin und
Brandenburg sein“, so Brümmer. Die Reisezeit zum Potsdamer Platz würde sich
wesentlich verringern. Der Kostendeckungsgrad würde bei 70 Prozent liegen, was
laut Brümmer die Stammbahn zu einer der kostengünstigsten Bahnlinien in Brandenburg
machen würde. 25 bis 30 Prozent der Autofahrer, die heute zwischen Potsdam und
Berlin pendeln, würden auf die Bahn umsteigen. Brümmer nennt das ein „gutes
Ergebnis“. Vor dem Hintergrund einer aktuellen Studie „Mobilität 2020“, die dem
Berliner Speckgürtel eine im Bundesvergleich überdurchschnittliche Zunahme des
Autoverkehrs prophezeit, nennt Berndt Fischer vom Europarc-Beirat die Stammbahn
eine ernsthafte Alternative, die durch die aktuelle Klimadebatte zusätzlich
Qualität bekomme. Nachteilig könnte sich die Stammbahn, das wird nicht
verschwiegen, auf vorhandene ÖPNV-Angebote auswirken: Busse, S- und
Regionalbahn könnten Kunden verlieren.
161 Millionen Euro würde nach Berechnungen der DB Netz AG die vollständige
Widerherstellung der Trasse kosten – die volkswirtschaftlich sinnvollste
Variante. Für Fischer und den SPD-Landtagsabgeordneten Jens Klocksin ist das
Stammbahn-Projekt weniger eine Frage der Finanzierung als der Bestellung. Denn
finanziert werden würde das Vorhaben mit Mitteln aus dem Bundesschienenausbaugesetz,
die den Ländern zur Verfügung gestellt werden – was für Stammbahn-Gegner
dennoch Steuergelder bleiben. Für Klocksin ist indes entscheidend, wie und wo
Berlin und Brandenburg die vom Bund überwiesenen Regionalisierungmittel
einsetzen. Für den verkehrspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion
genießt die Stammbahn dabei Priorität. Die öffentliche Hand müsse dort
Transportwege schaffen, wo die Menschen leben - und das sei nunmal die
kontinuierlich wachsende Landeshauptstadt Potsdam und das prosperierende
Umland. Indikator für das wachsende Fahrgastpotenzial sei die Regionalbahn 1,
„die aus allen Nähten platzt“. Die Stammbahn würde jedoch nicht nur der Region
nutzen, sondern zwischen Berlin und Brandenburg eine Verbindung von Süd-West-
und Nord-Ost-Verkehr ermöglichen.
Seit zwei Jahren prüft Brandenburgs Landesregierung nach einem Beschluss des
Landtages Finanzierungsmöglichkeiten für die Stammbahn. In Berlin verschob der
Senat die Realisierung des Projektes auf den vagen Zeitraum nach 2010.
Inzwischen haben sich beide Länder angenähert und die Vergabe für den Auftrag
einer Nutzen-Kosten-Untersuchung für den Wiederaufbau vereinbart. Der
Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg soll das Prozedere moderieren. „Damit ist
die Entscheidungsphase für die Stammbahn eingeleitet“, frohlockt Klocksin und
spricht von einem Qualitätssprung. Gleichwohl: Der Ausgang der Untersuchung ist
offen. Doch sollte das Ergebnis positiv sein, fordert die bündnisgrüne
Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm von beiden Ländern, die Trasse wieder
aufzubauen und entsprechende Verkehre bei der Bahn zu bestellen. Mit den
Investitionskosten hätte Behm kein Problem: „Die öffentlichen Gelder wären
hervorragend angelegt.“