Potsdamer Neueste Nachrichten 22.02.07
Anmerkungen zu einem Kleinmachnower "Kunstprojekt"
Kleinmachnow -
Manchmal vergisst man, manchmal will man vergessen. Wenn es aber drauf ankommt,
ist die Erinnerung wieder da, und längst vergangene Dinge scheinen gestern erst
passiert zu sein. So geschah es am Dienstag im Rathaus Kleinmachnow, als man
die ersten Ergebnisse der Aktion „Stolpersteine“ vorstellte. Eine
„Recherche-Gruppe“, bestehend aus Mitgliedern der evangelischen Jungen
Gemeinde, des Heimatvereins und des Ortes Kleinmachnows, hatte den
deutschlandweiten Impuls des Erfinders, Günter Demnig, aufgenommen. Erklärtes
Ziel ist es, „die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der
Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und
der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus“ wachzuhalten.
Auf der Grundlage einer statistischen Erhebung von 1939 erforschten die jungen
Leute mit Eifer und manchem Gruseln, wer danach „unfreiwillig“ aus Kleinmachnow
verschwand. So entstand eine Reihe von Tafeln mit Namen, Lebensdaten und
mutmaßliche Schicksalen. Jedem, postum oder rezent, soll ein 10 mal 10
Zentimeter großer Stein am Ort ihres Verschwindens in den Gehsteig gesetzt
werden – „Stolpersteine“ eben. Doch ein Jahr war zu wenig, um genau genug zu
sein, schließlich geht es bei dem „Kunstprojekt für Europa“ um die
"Veröffentlichung" von Namen, die manch Kleinmachnower noch
persönlich kennt.
Nicht unproblematisch also, denn die
Dokumentation – Bürgermeister Wolfgang Blasig bestand in seiner Rede auf dem
Unterschied zu einer Ausstellung – war bereits an mehreren Stellen mit
folgendem Satz überklebt: „Die Recherche ergab, dass die ehemals hier genannte
Person NICHT Opfer im Sinn der Aktion ‚Stolpersteine' ist". Nachdem der
Diakon für Jugendarbeit in der Evangelischen Gemeinde Kleinmachnow, Martin
Bindemann, über solche Schwierigkeiten im Umgang mit der erforschbaren Wahrheit
berichtet und vier junge Leute in den Pausen Klezmer-Musik vorgetragen hatten,
zeigten einige Gäste Unmut über den jetzigen Stand der Dinge: Ihnen lägen
Listen vor, aus denen hervorginge, dass wenigstens ein weiteres Dutzend der
mühsam recherchierten Namen überklebt werden müssen. Lange Gesichter bei den
Akteuren: War alles umsonst, verkehrte sich gute Absicht in Stolpersteine der
eigenen Sache? Wenn der noch lebende Nachbar es besser weiß als ein Archiv,
stimmt doch etwas nicht, Zeitzeugen sind ja die ärgsten Feinde der
Historiographie.
Immateriell hat diese Aktion einiges in Gang gebracht: Bindemann erhält Mails
von den USA bis Australien, wo man seiner Sache behilflich sein will. Aber es
gibt auch andere Stimmen vor Ort: „Ich will nicht genannt werden, ich bin Jude,
ich habe Angst. Kein Stein vor meinem Haus!“ Endet das Eingedenken, wo es
existentiell gefährlich wird, beginnt da das gewollte, hilfreiche Vergessen?
Solche Fragen wären an Impulsgeber Demnig zu richten. Die Recherche-Gruppe wird
trotz dieser Verunsicherungen weitermachen. Schon Anfang März, so Bindemann,
sind alle Kleinmachnower eingeladen, über weitere Namen Auskunft zu geben oder
bisherige Ergebnisse zu korrigieren. „Wir brauchen Mann, Maus und Kopf!“ Ein
bisschen fragt man sich, warum. Muss denn wirklich alles vollständig erfasst
und registriert sein? Und was, wenn diese Arbeit erledigt, wenn alles
namentlich gemacht worden wäre? Genau dann beginnt ja das Vergessen.