Potsdamer Neueste Nachrichten 11.09.06
Ungesehene
Geschichte
Die rosa Schneefräse an der A 115 ist ein Denkmal. Doch wer denkt schon über
das nach, was er nicht sieht
Kleinmachnow - Magisch ist hier nicht.
Dennoch findet Eckhart Haisch, dass die Geschichte des Ortes wie weggezaubert
ist. Vor 14 Jahren stand er das letzte Mal hier, neben der A 115. Die trübe,
kahle Landschaft erlaubte den Blick bis nach West-Berlin auf der einen Seite,
gegenüber war der monströse Grenzübergang Drewitz nicht zu verstecken. Heute
verstellt eine braune Lärmschutzwand den Blick: Weder Berlin ist zu sehen, noch
der Europark, obwohl dort die bunten eBay-Letter weit leuchten.
Vor 14 Jahren hat der Aktionskünstler Eckhart Haisch an der Autobahn kurz vor
Dreilinden eine rosa angemalte Schneefräse auf einen Sockel gesetzt, der zuvor
Jahrzehnte einen russischen Panzer trug. Der T 34 reckte sein Rohr bedrohlich
von Ost nach West, doch als die Mauer fiel, gab es keinerlei Anlass mehr für dieses
Geste. Um die Historie des Ortes dennoch nicht vergessen lassen, sorgte Haisch für
den Ersatz in pink. Gestern, zum Tag des Offenen Denkmals, gestand Haisch, dass
er den Ort in ganz anderer Erinnerung habe. Zum einen mag das an der Zeit
liegen, die Gewesenes verblassen lässt. Zum anderen: So, wie man vom Standort
des Denkmals nichts sehen kann, ist auch das Denkmal unsichtbar. Gänzlich
unbemerkt wächst es zu, es ist vollkommen aus dem Blickfeld gerückt. „Der
Mitteilsdrang, den die Erbauer hatten, ist weg“, bedauert Haisch.
Der Kleinmachnower SPD-Politiker Jens Klocksin
hatte gestern den Aktionskünstler und alle, die sich für das Denkmal, dessen
wechselvolle Geschichte und für die Historie des Ortes interessieren,
eingeladen. Am Treffpunkt, dem Stahnsdorfer Damm, erklärte Klocksin einer
kleinen Familie und fünf jungen Leuten den erst kürzlich vom Berliner Senat
definierten Denkmalraum, der in einem recht kleinen Radius fünf wichtige
Wegmarken umschließt: im Europark – gleich neben eBay – den letzten erhalten
Wachturm des einstigen Kontrollpunktes Drewitz, die bronzene Statue des Berliner
Bären auf dem Mittelstreifen der Autobahn, die Kontrollstelle Dreilinden, eine
Stele, die früher das DDR-Staatsemblem trug – und die Schneefräse. Es liegt am
Wesen des Ortes, dass man ohne intensive Wahrnehmung an den Denkmälern
vorbeirauscht – eine Autobahn verleitet nun mal zur Eile. Doch selbst, wer
bewusst den Blick danach richtet, wird die Schneefräse nicht sehen. „Um etwas
wahrnehmen zu können, muss man den Bestand sichern und das Umfeld entsprechend
herstellen“, meint Klocksin. Doch hier, wo die Geschichte der deutschen Teilung
über Jahrzehnte ein skurriles, mitunter leidvolles Abbild hatte, verwahrlost
etwas, was daran erinnert. „Im Umgang mit Denkmälern dokumentieren wir unsere
kulturellen Bedürfnisse“, meint Klocksin. Wie beschreibt man dann den Zustand
unserer Erinnerungskultur, hat man sich einmal bis zu dem einst stolzen Panzer
verirrt, dessen Metamorphose allen Freiraum zur Interpretation gibt?
Verwahrlost? Gero Heilmann aus Braunschweig schrieb er gestern zum Tag des
offenen Denkmals in das Gästebuch, das in dem alten Grenzturm ausgelegt war:
„Man braucht solche Orte, um sich zu erinnern. So kann man Geschichte
anfassen.“ Vielleicht hätte er auch etwas über die pinke Schneefräse auf der
anderen Straßenseite gesagt. Aber er hat sie nicht sehen können. Peter Könnicke