Potsdamer Neueste Nachrichten 02.09.06
Dankbar für die Erinnerung
Ausstellung über Zwangsarbeit in Kleinmachnow eröffnet
Kleinmachnow - Dankbarkeit? Wer würde
Dankbarkeit vom 83-jährigen Mykola Sidorenko erwarten, der im Juni 1942 aus
seinem Heimatdorf bei Kiew verschleppt wurde, um in der Kleinmachnower
Rüstungsfabrik der Firma Bosch Zwangsarbeit zu leisten? Doch Mykola Sidorenko,
der gestern zusammen mit seinem ukrainischen Landsmann Ivan Potapenko die
Ausstellung „...auf dem Boschgelände – Zwangsarbeit für eine Rüstungsfabrik in
Kleinmachnow“ eröffnete, möchte sich bedanken. Zuerst einmal beim Vorarbeiter
Hans, an dessen Vornamen er sich nur noch erinnert und der wohl schon längst
verstorben ist. Hans habe ihn, den damals 19-Jährigen, in der Dreilinden
Maschinenbau GmbH, zu einem Dreher ausgebildet und ihm gelegentlich ein Stück
Brot zugesteckt. Und bei den Menschen von Kleinmachnow bedankt sich Ivan Potapenko,
die ihn für ein paar Tage eingeladen haben, um als Zeitzeuge über die drei
Jahre im Kleinmachnower Konzentrationslager zu berichten.
Auf 20 großformatigen Plakaten haben die Historikerin und Journalistin Angela
Martin und die Ausstellungsgestalterin Hanna Sjöberg im Foyer des
Kleinmachnower Rathauses die Geschichte der Dreilinden Maschinenbau GmbH
zusammengefasst. Da hängt ein Satz aus einem Sitzungsprotokoll des
Reichswirtschaftsministeriums vom 11. Oktober 1934: „Die Firma Bosch AG
Stuttgart will im Einvernehmen mit dem Reichsluftfahrtministerium in der Nähe
der Stadt Berlin ein industrielles Unternehmen von größter Bedeutung für die
Luftfahrt errichten.“ Eine Randnotiz nur, lapidar im Tonfall. Doch für über
2000 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen wurde dieses industrielle Unternehmen
für Monate zu bitterster Realität.
Der Heimatforscher Rudolf Mach hat 1996
mit den ersten Grabungen auf dem ehemaligen Gelände der Bosch Dreilinden
Maschinenbau GmbH begonnen und mit den Jahren nach und nach eines der
dunkelsten Kapitel in Kleinmachnows Geschichte ans Licht gebracht. Nicht immer
war das leicht, ist Mach auf Widerstände gestoßen. Das heutige
Bosch-Unternehmen hatte sich anfangs zurückgehalten. Jetzt öffnet es langsam
die Archive, um so mehr Einblick in die Geschichte des ehemaligen
Tochterunternehmens zu geben. Sogar mit einer Spende von 4000 Euro hat sich
Bosch an der Verwirklichung der Ausstellung beteiligt.
Insgesamt hat die Ausstellung „...auf dem Boschgelände – Zwangsarbeit für eine
Rüstungsfabrik in Kleinmachnow“, die noch bis einschließlich 15 Oktober zu
sehen sein wird, knapp 15 000 Euro gekostet. Neben der Bosch-Spende übernimmt
die Gemeinde Kleinmachnow 3000 Euro, der Rest stammt aus zahlreichen privaten
Spenden. Als nicht abgeschlossen verstehen Angela Martin und Hanna Sjöberg die
Ausstellung. Neben den Plakaten im Foyer haben sie im ersten Obergeschoss
mehrere Ordner ausgelegt, die sich intensiv mit der Geschichte der Dreilinden
Maschinenbau GmbH und dem Leben der Zwangsarbeiter beschäftigen. Daneben eine
Hör-Ecke, in der man Berichten ehemaliger Zwangsarbeiterinnen zuhören kann. Sie
hoffen, dass Kleinmachnower angeregt durch den Besuch der Ausstellung neue
Hinweise geben können. Denn wie bei einem Puzzle fehlen noch Teile, erfährt man
immer wieder Neues über das Kleinmachnower Arbeitslager.
So hat Angela Martin anhand neuer Dokumente feststellen können, dass die
Erzählungen von einem zweiten Konzentrationslager neben dem der Dreilinden
Maschinenbau GmbH doch nicht nur Gerüchte sind. Hier soll auch in Zukunft
weitergeforscht werden.
Mykola Sidorenko und Ivan Potapenko hören derweil bei der Ausstellungseröffnung
im gut besuchten Foyer jeder Frage aufmerksam zu. Ihr Blick ist offen, manchmal
aber auch nach Innen gekehrt. Sie erzählen bereitwillig, ohne ein Wort der Wut
oder Bitterkeit. Gelegentlich holt Ivan Potapenko vergilbte Dokumente aus einer
Tüte. Die beiden Männer sind dankbar. Eine Dankbarkeit, die eine Deutschen
anfangs verstört. Es ist Dankbarkeit dafür, dass man sich hier, in
Kleinmachnow, ihres Schicksal erinnert und sich bemüht, es nicht zu vergessen. Dirk
Becker