Potsdamer Neueste Nachrichten 02.09.06
Geschichte kreuzt den Weg
"Ort der Erinnerung" dokumentiert Geschichte am Stahnsdorfer Damm
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow - Über die Geschichte ist
Gras gewachsen. Üppig leuchtet das Grün, an einigen Stellen verstellen hohe
Büsche den Blick. Regen hat die sandigen Wege aufgeweicht und hinter dem
Stahnsdorfer Damm wölben sich die Bäume eines dichten Laubwaldes gleichmäßig im
Wind. „Zum zweiten Mal“, sagt Ivan Potapenko in gebrochenem Deutsch, ist er
hier. Der 80-jährige Ukrainer erinnert sich hier an seine Jugend, Kleinmachnow
an seine Vergangenheit. Gestern hat die Gemeinde dem „Ort der Erinnerung“
offiziell ein Bild gegeben.
Über das heute grüne Gelände am Stahnsdorfer Damm zog sich ein Barackenlager
für Fremd- und Zwangsarbeiter als Ivan Potapenko mit 14 Jahren das erste Mal
nach Kleinmachnow kam. Etwa 5000 Menschen haben in der Dreilinden Maschinenbau
GmbH – eine Tochter des Bosch-Konzerns – während des Zweiten Weltkrieges Teile
für Flugzeugmotoren hergestellt. Mehr als die Hälfte waren Zwangsarbeiter,
Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Lange Zeit hat sich die Gemeinde Kleinmachnow
schwer getan mit diesem Teil ihrer Geschichte. Man hat verschwiegen, verdrängt,
vergessen. Man war peinlich berührt, als Ende der 90er Jahre ehemalige
polnische KZ-Häftlinge plötzlich am Stahnsdorfer Damm standen und von ihren
Erinnerungen an die Arbeit in der NS-Fabrik und vom Leben in dem Barackenlager
erzählten. Der unerwartete Besuch der Frauen aus Polen zwang Kleinmachnow, sich
mit seiner NS-Vergangenheit intensiver auseinander setzen. Als vor fünf Jahren
in den Diskussionen um Entschädigungszahlungen deutscher Firmen an ehemalige
Zwangsarbeiter auch der Name der Kleinmachnower FATH GmbH – letztlich zu
Unrecht – in den Listen auftauchte, holte die Geschichte den Ort ein weiteres
Mal ein. Das FATH-Unternehmen firmierte unter der gleichen Adresse wie einst
die Dreilinden Maschinenbaufabrik. Am Stahnsdorfer Damm wurde begonnen
aufzudecken, was Jahrzehnte verborgen war – allen voran der örtliche
Heimatverein. Letztes Zeugnis der einstigen NS-Rüstungsstätte, die nach 1945
demontiert und schließlich gesprengt wurde, war bis vor wenigen Jahren eine
hölzerne Wohnbaracke. Brandenburgs Landeskonservator Detlef Karg bescheinigte
ihr einen „hohen Geschichtswert“. Sie könnte dazu beitragen, „mühsam
Geschichtsdefizite abzuarbeiten“.
Der Zukunft Kleinmachnows stand die
Baracke indes im Weg: Das Areal am Stahnsdorfer Damm war längst lukratives
Wohnbauland geworden. Diejenigen, die die Baracke erhalten wollten, beklagen,
ihr Abriss sei eine politische Entscheidung gewesen. Andere sprachen mehr oder
weniger offen von einer zu großen Zäsur zwischen Vergangenem und Geplantem.
Schließlich wurde der Abriss mit dem schlechten baulichen Zustand der Baracke
gerechtfertigt, lediglich eine akribisch angefertigte Dokumentation der Bau-
und Nutzungsgeschichte soll ihre Bedeutung unterstreichen.
Geblieben sind nur die Fundamente der einstigen Lagerküche und des
Verwaltungsgebäudes. Als das Gelände am Stahnsdorfer Damm für die geplante
Wohnsiedlung baureif gemacht wurde, hat man die steinerne Überreste entdeckt.
Sie wurden als Bodendenkmal unter Schutz gestellt. Die sichtbaren Konturen der
Fundamente werden durch Cortenstahlbänder geschützt, Rasen bedeckt die beiden
Bodenplatten. Die Fundamente liegen in dem Grünzug, der den Stahnsdorfer Damm
und den Stolper Weg verbindet und durch einen Fußweg erschlossen wird. Die
Stahlbänder führen direkt über den Weg, so dass der aufmerksame Passant fragen
wird, was es damit auf sich hat. Er wird unmittelbar Antwort finden: Im Rasen
eingebettet liegt eine Tafel, deren Inschrift die Geschichte des Ortes erklärt
und auf der die Umrisse des einstigen Lagers skizziert sind. Das Material der
Tafel ist ein rostig anmutender Stahl, „der die Produktionsgeschichte des Ortes
widerspiegelt", wie Landschaftsarchitekt Ole Saß meint, der den „Ort der
Erinnerung“ gestaltet hat.
Es hat über drei Jahre gedauert, um die Kreuzung von neuen Fußwegen und alten
Fundamenten offiziell als „Ort der Erinnerung“ zu übergeben. Verheben, wie Kleinmachnows
Bürgermeister Wolfgang Blasig einmal warnte, wird sich die Gemeinde bei dieser
Form der Erinnerungsarbeit nicht. Die Gemeinde wird die Erinnerung pflegen
müssen, indem sie kein Gras über den Ort wachsen lässt.