Potsdamer Neueste Nachrichten 26.08.06
Eltern in die Schule?
Um im Krankheitsfall von Lehrern den Unterricht zu gewährleisten, sollen in
Stahnsdorfs Grundschule Mütter und Väter helfen
Von Peter Könnicke
Stahnsdorf - Kranke Lehrer,
Ausfallstunden, zusammengelegte Klassen - ein bekanntes Wehklagen an deutschen
Schulen. Auch die Stahnsdorfer Heinrich-Zille-Grundschule bleibt davon nicht
verschont. Im schlimmsten Fall war im vergangenen Schuljahr von 30 Lehrern die
Hälfte krank. Um den Unterricht zu gewährleisten, wurden zeitweise Schulklassen
vereint, mehr als 30 Kinder waren dann gleichzeitig zu unterrichten.
„Eine mittlere Katastrophe“, klagt Schulleiterin Christina Sommer. Denn je nach
Profil der Klassen werden unterschiedliche Lernmethoden angewandt, die eine
unterschiedliche Betreuung verlangen. So lernt beispielsweise ein Teil der
Zille-Grundschüler lesen durch schreiben, andere auf herkömmliche Weise. Diese
Differenzierung ist bei zusammengelegten Klassen nicht möglich. Grundsätzlich
aber, so stellt Sommer klar, seien die Lehr- und Unterrichtsziele nicht
gefährdet.
Anderseits werden Lehrkräfte gebunden,
indem sie zur Begleitung zum Schwimmunterricht nach Potsdam geschickt werden.
Hier nun soll Abhilfe geschaffen werden. In einem Brief an die Elternschaft
fragen die Schulleitung sowie der Schulelternsprecher Väter und Mütter, wer
stunden- oder tageweise eine Klasse betreuen kann. Gedacht wird dabei an eine
Begleitung zum Schwimmunterricht, an die Betreuung zusammengelegter Klassen
oder an die Aufsicht von Schülern, wenn sie ihre Wochenarbeitspläne erledigen.
Ausdrücklich betont Schulleiterin Sommer: „Die Eltern dürfen und sollen keinen
Unterricht machen.“ Wie bei Klassenfahrten wären sie über den
Gemeindeunfallverband versichert.
Im Staatlichen Schulamt Brandenburg bewertet man die Initiative skeptisch. Mit
Elternpools, wie er an der Zille-Grundschule gebildet werden soll, habe man
wenig Erfahrung. Es gelte zu prüfen, ob Eltern bei einem Aufsichts- oder
Betreuungsdienst tatsächlich versichert seien. Zudem sei ein derart hoher
Krankenstand im Lehrerkollegium wohl die Ausnahme, so dass zu einer solch
„drakonischen Maßnahme“ keine Veranlassung“ bestehe. Halbjährlich ermittle das
Schulamt, wie viel Lehrer durch Krankheit an den mittelmärkischen Schulen
ausfallen: „Im Durchschnitt haben wir da eine geringe Quote“, heißt es in
Brandenburg. Zudem seien die Schulen grundsätzlich mit so viel Lehrpersonal wie
notwendig ausgestattet.
Völlig anders sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In
seinem „Grußwort“ zum diesjährigen Schuljahresbeginn prophezeit GEW-Landeschef
Günther Fuchs, dass „sich die personelle Situation an den brandenburgischen
Schulen weiter zuspitzen als entspannen“ wird. Die notwendige
Vertretungsreserve an den Schulen sei viel zu gering bemessen, die Bedingungen
für das Lernen und Lehren hätten sich nicht grundsätzlich verbessert. Daher
hält auch Zille-Schulleiterin Sommer die Probleme in ihrem Haus für keinen
Einzelfall. Aus regionalen Schulleitertreffen wisse sie: „In Kleinmachnow und
Teltow ist die Situation ähnlich.“ So sei das Schreiben, dass jetzt an die
Eltern Stahnsdorfer Erst-, Zweit- und Drittklässler gegangen ist, eine Idee der
Schulleiterrunde gewesen. Zumindest an der Anne-Frank-Grundschule in Teltow
wird die Situation jedoch nicht so dramatisch wie im Nachbarort gesehen:
„Keinen Bedarf“ an Elternpools sieht die stellvertretende Schulleiterin
Stölzer. An Kleinmachnows Eigenherd-Grundschule schließt Rektor Bernd
Bültermann kategorisch aus, dass Eltern in den Schulbetrieb integriert werden.
„Grundsätzlich werden schulische Aktivitäten durch Eltern nicht gesichert.“ Das
wäre eine „verhängnisvolle Entwicklung“. „Der Staat hat die Verpflichtung, den
Bedarf zu decken, nicht die Eltern“, so Bültermann.
Ganz ähnlich sieht dies Sven von Schmiterloew, dessen Kind die Stahnsdorfer
Zille-Grundschule besucht. „Ich habe den Anspruch an Schule, dass Kinder dort
nicht nur beaufsichtigt, sondern geschult werden. Ohne pädagogischen
Hintergrund ist das nicht zu leisten“, so der Vater. Dennoch habe er Respekt
vor den Eltern, die sich engagieren wollen.
Diese gibt es durchaus. So sei zum einen der Vorschlag, bei Lehrernotstand
Betreuungspersonal aus dem Elternpool zu rekrutieren, ursprünglich aus Teilen
der Elternschaft selbst gekommen. Schulelternsprecher Tilmann Knaack hat den
Bittbrief zudem mitunterzeichnet, womit er den Konsens der Elternvertreter der
jeweiligen Klassen dokumentiere.
Elternpoole sind durchaus nichts ungewöhnliches an deutschen Schulen. Meist
helfen engagierte Eltern bei außerschulischen Aktivitäten. Doch es geht auch
darüber hinaus. Bei einem gemeinsamen Projekt von Lehrerverbänden, GEW und dem
Land Schleswig-Holstein – „Jede Stunde zählt“, so der Titel – wird zunehmend
darüber nachgedacht, auch Eltern Verantwortung für Vertretungsunterricht zu
geben. „Nach anfänglich starken Vorbehalten von Eltern gegen die Einstellung
von Vertretungspersonal ohne Lehrbefähigung sind nur noch in wenigen Fällen
vorhanden,“ so eine Projektbilanz des Kieler Bildungsministerium im Frühjahr
diesen Jahres.