Potsdamer Neueste Nachrichen 12.08.06
Eine rosa Schneefräse ersetzte an der Berliner Grenze einen russischen Panzer. Geschichte, die keiner sieht
Kleinmachnow - Sie tut ihren Zweck, die
Lärmschutzmauer. Sie schirmt Kleinmachnow von der A 115 ab, so dass nur noch
ein dumpfes Rauschen den Ort erreicht. Doch die Wand verstellt auch den Blick.
Das Denkmal, das hier auf Kleinmachnower Seite vis á vis des Europarks steht,
ist nicht zu sehen. Der Blick der Reisenden geht gerade aus – Berlin fest im
Blick.
Nach Berlin zielte auch das Panzerrohr des sowjetischen T 34, der 20 Jahre auf
nur wenige Meter hinter der Mauer stand. Der Panzer wurde auf einen schrägen
Sockel gesetzt, so dass sein Rohr – stolz und bedrohlich zugleich –
aufgerichtet gen Westen zeigte. Das stählerne Kampfross sollte an die
Vereinigung der 1. Belorussischen mit der 1. Ukrainischen Front am 25. April
1945 erinnern, womit der Ring um Berlin geschlossen wurde. „Ruhm und Ehre der
sowjetischen Armee“ stand auf dem Sockel in deutsch und russisch geschrieben. Damit,
so das Brandenburgische Denkmalamt später, wurde dem „Bestreben nach
Selbstdarstellung der Befreier vom Nationalsozialismus bildlich Ausdruck
verliehen“. Ursprünglich stand das Ehrenmal in der Breitscheidstraße von
Kleinmachnow. Mit dem Bau der Grenzübergangsstelle Drewitz/Dreilinden 1969
wurde der Panzer an die künftige Transitstrecke gebracht, wo er –
symbolträchtig – über die Mauer lugte.
1990 nahmen die Westgruppen der Roten
Armee den T 34 mit. Der Sockel blieb leer und ohne Bedeutung, die Streichung
aus der Denkmalliste am 2. Juli 1991 war ein letzter amtlicher Akt.
Neun Monate später, am Abend des 27. März 1993, hatte ein neues Gefährt auf dem
Sockel Platz genommen. Im frischen Rosa leuchtete eine Schneefräse den
Reisenden auf der Autobahn entgegen. Wo sich zuvor das Panzerrohr in die Höhe
reckte, ragte jetzt ein Förderband vom Sockel. Über Nacht hatte das Denkmal
seine Metamorphose vollendet.
Um den „Täter“ zu finden, der den Wandel zu verantworten hat, muss man nach
Lehnin fahren. Hier, idyllisch am Klostersee gelegen, findet man das Institut
für Kunst und Handwerk. Dahinter verbirgt sich ein gemeinnütziger Verein, der
es geschafft hat, aus einer Folge von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein
schmuckes Schulungszentrum für Bildhauer, Maler und Musiker zu schaffen. Leiter
des Ganzen: Eckhard Haisch, einst selbst Maler aus dem Badischen,
Aktionskünstler in Berlin und Gastdozent an der Berliner Hochschule für Künste.
Eckhart Haisch hat die rosa Schneefräse auf den Sockel gesetzt. Ein Geheimnis
ist das nicht mehr, aber bekannt ist es kaum.
Haisch kannte das Original. Wie viele West-Berliner ist er auf der
Transitstrecke an dem Panzer vorbeigefahren. „Ich hatte nichts gegen ein
sowjetisches Ehrenmal und den Panzer. Das waren Überbleibsel, die ihre geschichtliche
Grundlage hatten.“ Im Grenzgebiet war eine Annäherung an das Panzerdenkmals nur
mit einer Sondergenehmigung möglich. Doch nach dem Fall der Mauer wurde der T
34 erobert. Er, ebenso der Sockel, wurden beschmiert. Das Panzerrohr wurde nach
hinten gedreht - wegen der Schräglage des Sockels zeigte es nun nach unten. „Es
muss das russische Militär ungemein gekränkt haben, wie das prachtvolle Ding so
schlaff da hing“, mutmaßt Haisch. Dann war der Panzer weg. Die Grenzanlagen
begannen sich aufzulösen. „Es deutete sich an, dass alles verschwindet“,
erinnert sich Haisch. Wofür der verwaiste Sockel auch immer stand: „Es darf
kein Unort werden“, dachte er. „Es muss etwas bleiben, was auf die Geschichte
hinweist.“
An der Autobahnabfahrt Drewitz rostete schon seit langem eine ausrangierte
Schneefräse vor sich hin. Der Aktionskünstler Haisch vermochte in dem
Technikschrott dennoch Qualität zu erkennen. Er erfreute sich an der „bizarren,
ungewöhnlichen Form, die in gleicher Weise ein Hingucker war wie der Panzer“.
Allein das aggressive Moment fehlte. Haisch vermaß die alte Schneefräse, formte
ein Modell des Sockels und ahnte: „Es könnte klappen.“ Mit einem Tieflader und
einem Kran transportierte er die Fräse ab – wohin, verrät er auch heute noch
nicht. Er füllte die Reifen mit Beton, verkleidete die Fenster mit Stahlblech,
montierte Spiegel und Lampen aus Holz und gab dem Fahrzeug einen neuen
Anstrich. Pink! An einem Freitagabend hievte ein Kran das Getüm auf den Sockel
neben der Autobahn. Mit Statikern und Technikern montierte und verschweißte
Haisch das Fahrzeug so fest auf dem Betonklotz, „dass man es nicht mehr
wegbekommt“. Genauso, wie es niemanden störte, dass die Schneefräse an der
Autobahnausfahrt verschwand, hinderte Haisch und seine Helfer niemand daran, das
„Ding“ anstelle des Panzers zu installieren. Vorsorglich hatte sich Haisch
dennoch mit Papieren ausgestattet. Er hatte ein Blatt mit irgendeinem
russischen Text beschrieben und abgestempelt. Den Zettel hätte er präsentiert,
wenn ihn jemand gefragt hätte, was er da tut und ob er eine Genehmigung habe.
Es fragte niemand. Der russische Text, so fand Haisch später heraus, war eine
Abhandlung über die Zucht von Bienen.
Haisch kann sich nicht erinnern, dass sich jemand beschwert hat, als der „rosa
Panzer“ auf dem Sockel stand. „Es gab ein Wundern, ein freudiges Aha, ja“, sagt
er. Kritik hat er nicht bekommen. Wie auch, es wusste keiner, wer hinter der
Aktion steckte. Vielleicht waren es andere Künstler, die in der neuen Besetzung
des Sockels Haischs Handschrift erkannten und ihn als Urheber identifizierten.
Jedenfalls informierte ihn etwa ein gutes Jahr später das Brandenburgische
Landesamt für Denkmalpflege, dass man sein Werk unter Denkmalschutz stellen
wird. Beabsichtigt hatte Haisch das nicht. Er habe versucht, einen Ort mit
etwas Ursprünglichem und etwas Neuem wieder ins Blickfeld zu rücken. „Mein
Bedürfnis, etwas auszulösen und nach ein wenig Nervenkitzel war befriedigt,“
sagt der 65-Jährige heute. Die märkischen Denkmalpfleger sahen in der rosa
Schneefräse eine Anknüpfung an „international bedeutende Aktionen ähnlicher
Art“ wie die rosa Bemalung eines sowjetischen Panzers auf dem Prager
Wenzelsplatz. Haisch meint, er hätte rosa gewählt, weil es „knallig, frech und
– Entschuldigung – etwas Lustiges und Freudiges ist“. Auch als eine
Interpretation des Perestroika-Mottos „Schwerter zu Pflugscharen“ deuteten die
Behörden die Aktion. Auch daran hat Haisch nicht gedacht. Eher war es Zufall,
dass er die alte Schneefräse entdeckte. Mit „künstlerischen Mundraub“ rechtfertigt
er ihre Verwandlung. Dass es ein „historisches Dokument von künstlerischem Rang
ist, das nicht nur die ’Restbedeutung’ des Panzers übermittelt“, ist eine
Deutung des Werks, die Haisch gefällt.
Heute fährt er an dem Denkmal vorbei – den Blick geradeaus, Berlin in
Sichtweite. Eine neue Mauer steht: Eine, die für Ruhe sorgt – und den Blick auf
die Geschichte behindert. Peter Könnicke