Potsdamer Neueste Nachrichten 20.07.06
Das Bundesverwaltungsgericht prüft, ob Urteile gegen eine
Rückübertragung von Sommerfeld-Grundstücken verfassungswidrig sind
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow - Vielleicht schreibt
Kleinmachnow einmal Rechtsgeschichte. Geht es nach Christian Meyer, der in der
Sommerfeld-Siedlung um die Restitution hunderter Grundstücke kämpft, müsste die
deutsche Rechtssprechung umgeschrieben werden. Denn – etwas plastisch gesagt –
ist das Vermögensrecht in einigen Passagen ungerecht. Denn es behandle
strittige Fragen von Fall zu Fall ungleich, meint Meyer, womit es gegen den
verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verstößt.
Konkret: Bei der strittigen Frage, ob in der Kleinmachnower Sommerfeld-Siedlung
ehemals jüdisches Eigentum rückübertragen werden soll, hat das Potsdamer
Verwaltungsgericht unterschiedlich geurteilt: In Fällen, in den der jüdische
Bauunternehmer Adolf Sommerfeld vor seiner Flucht aus Nazi-Deutschland
Grundstücke privat verkaufte, ordnete das Gericht die Restitution bzw. eine
Entschädigung an. Wo Grundstücke durch eine dem Unternehmer Sommerfeld
entrissene und danach von den Nazis „arisierte“ Siedlungsgesellschaft
parzelliert und verkauft worden, lehnten die Richter eine Rückübertragung ab.
Begründet haben dies die Potsdamer Richter mit dem im Vermögensgesetz
formulierten „Siedler- oder Nutzerschutz“. Dieser soll die berechtigten
Interessen der heutigen Nutzer sichern.
In ihrem Urteilsspruch stützten sich
die Richter auf die wichtige Unterscheidung, die das deutsche Vermögensrecht
macht: Zwar bekommen Unternehmen, die zwischen 1933 und 1945 geschädigt worden
sind, ihren Besitz zurück, doch gibt es eine Sonderregelung bei Firmen, deren
Geschäftszweck die Parzellierung und der Verkauf von Grundstücken war: Bei
Entwicklungs-, Siedlungs- und Wohnbauunternehmen gibt es keine Ansprüche
Wohl fühlten sich die Potsdamer Richter bei ihrem Urteilsspruch jedoch nicht.
Schon im Vorfeld hatten sie einen rechtlichen Hinweis gegeben, dass bei dieser
Unterscheidung womöglich gegen das Gleichheitsgebot im Grundgesetz verstößt.
Sie äußerten Zweifel, ob die vermögensrechtlichen Vorschriften
verfassungskonform sind.
Auf diesen Hinweis und die richterlichen Zweifel stützt sich der Berliner
Unternehmer Meyer, der die Restitutionsansprüche auf die Sommerfeld-Grundstücke
vor einigen Jahren von der Jewish Claims Conference übernommen hat. Gegen das
ablehnende Potsdamer Urteil vom vergangenen August hat er vor wenigen Tagen die
Zulassung einer Revision am Bundesverwaltungsgericht erstritten. „Dieses Revisionsverfahren
gebe Gelegenheit, „Inhalt und Reichweite“ des strittigen Paragrafen im
Vermögensgesetz „höchstrichterlich“ überprüfen zu lassen, so Meyers Anwalt
Stefan Minden, einem ausgewiesenen Fachmann, wenn es um jüdische
Vermögensrechte geht und der u.a. erfolgreich in einer 17-Millionen-Euro-Klage
die Erben der Kaufmannsfamilie Wertheim vertrat.
Nach dessen Ansicht ist es in mehrerer Hinsicht verfassungswidrig, wenn das
Vermögensrecht Unterschiede macht. Es sei ein Ungleichbehandlung, wenn im Falle
privater Parzellierer wie der jüdischen Sabersky-Familie in Teltow-Seehof ein
Anspruch auf Restitution besteht und stattgegeben wird, im Fall von
Siedlungsunternehmen aber nicht – „obwohl es keinen Unterschied macht, ob eine
private Familie oder eine Firma Grundstücke verkaufen“, wie Meyer befindet. Es
verstoße zudem gegen das Gleichheitsgebot, wenn von den Nazis geschädigte
Bankhäuser oder Brauereien Ansprüche auf Wiedergutmachung haben, Baufirmen
hingegen nicht. Anwalt Minden illustriert seine Auffassung an einem Beispiel:
Schließt der Gesetzgeber Ansprüche nach der entsprechenden vermögensrechtlichen
Regelung aus, sofern der Antragsteller blond ist, während Ansprüche von
Dunkelhaarigen bestehen bleiben, verstoße das gegen das Grundgesetz. Das
Beispiel sei zwar „absurd“, aber einleuchtend.
Bei seiner Inanspruchnahme des verfassungsrechtliche Gebots, „Gleiches gleich
zu behandeln“, verweist Minden auf die Rechtssprechung zwischen 1992 und 1997.
In den fünf Jahren wurden Ansprüche auf Vermögenswerte, die bis 1945 enteignet
worden waren, anerkannt – völlig unabhängig vom Sinn und Zweck eines
Unternehmens. Dass 1997 der „Nutzerschutz“ eingeführt wurde und zwischen
Siedlungs- und anderen Firmen unterschieden wurde, sei „ohne sachlichen Grund“
und verfassungswidrig geschehen, so Minden: Dabei sei es dem Gesetzgeber
„verwehrt, willkürlich die beiden fünf Jahre lang gleich behandelten
Sachverhalte nunmehr unterschiedlich zu regeln.“
Ob er und Meyer Recht haben, entscheiden nun die Bundesverwaltungsrichter. Sie
messen „der Sache grundsätzliche Bedeutung“ zu. Ein Revisionsverfahren werde
die Gelegenheit zur Klärung der aufgeworfenen Fragen bieten und klären, ob das
ablehnende Urteil aus Potsdam tatsächlich verfassungswidrig ist. Von einer
„voraussichtlichen Klärung“ sprechen die Leipziger Richter. Denn ihnen ist
Meyers Ankündigung durchaus bekannt, bis zum Bundesverfassungsgericht nach
Karlsruhe und weiter bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen, um – wenn
notwendig – in höchster Instanz Recht zu bekommen. „Das wird hoch interessant
und womöglich noch Jahre dauern“, so der Berliner Unternehmer.
Von Bedeutung ist das Urteil für etwa 700 Verfahren in der Sommerfeld-Siedlung,
die noch am Potsdamer Verwaltungsgericht anhängig sind. Bei der Hälfte klagt
Meyer auf Rückübertragung, bei der anderen Hälfte – Grundstücke, die nach 1945
redlich erworben worden sind – um Entschädigung. Ansprüche erhebt Meyer auf
jeweils 79,4 Prozent der Vermögenswerte – zu dieser Quote war Adolf Sommerfeld
vor der Enteignung an der Siedlungs GmbH Kleinmachnow beteiligt. Der Streitwert
liegt im zweistelligen Millionenbereich.