Potsdamer Neueste Nachrichten 03.07.06
Italienisches
Finale
Theater am Weinberg machte die Kammerspiele zum Campiello von Venedig
Kleinmachnow
- Während die meisten am Freitagabend dem Fußballfieber erlagen, trotzten rund
200 Kleinmachnower diesem nationalen Ausnahmezustand und ließen sich vom
Weinberg-Theater nach Venedig entführen: auf den Campiello, einem kleinen Platz
inmitten der Stadt.
Dieser Platz, an diesem Abend auf die Bühne der Kammerspiele verlegt, strahlte
noch vor Beginn des Stückes idyllische Ruhe aus. Doch schon bald herrschte dort
ein heilloses Gefühlschaos, nachdem sich ein Edelmann ins benachbarte Gasthaus
einquartiert hatte. Der fand die Arme-Leute-Gegend spannend, weil er an einem
Vormittag die Bekanntschaft mit einer „Apfelblüte“ machen konnte, gleichzeitig
den Überfall ihres „affenartigen Verlobten“ überlebte und sich beinahe mit
einer Großmutter verlobte. Parallel dazu kokettierte er noch mit einer weiteren
Schönheit aus der Nachbarschaft, um nach wenigen Stunden selig zu seufzen: „Was
für eine gottvolle Gegend.“
Der Fremde, der von Anwohnern des
Platzes aufgrund seiner Kleidung den Oberen zugerechnet wurde, geriet plötzlich
zum Mittelpunkt von Intrigen und Spekulationen. Denn von ihm erhofften sich nun
alle etwas. Selbst die drei alten Witwen, die sonst nur mühsam ihre Stühle zum
abendlichen Plausch über den Platz schleifen konnten, waren auf einmal sehr
empfänglich für amouröse Wonnen. Daraus entwickelte sich ein temperamentvolles
Verwirrspiel, das nicht frei war von frivolen Anzüglichkeiten.
Mit der bekannten Spielfreude des Weinberg-Theater-Ensebles gelang die
Inszenierung unter Regie von Kathrin Heilmann zum grandiosen Komödienfeuerwerk,
allerdings nicht ohne auch sozialkritische Töne anklingen zu lassen. So findet
der bessere Herr aus Neapel noch vieles „witzig“, was die Existenz der kleinen
Leute bedroht. Diese Schieflage wird ihm erst richtig bewusst, als es ihm
selbst an den Kragen geht. Denn die Kleinen verschafften sich im Stück mit
Gewalt Respekt, der ihnen von den Oberen gern vorenthalten wurde.
Carlo Goldonis (1707 - 1793) Stück erfuhr eine moderne Bearbeitung durch den östereichischen
Schriftstellers Peter Turrini (geb. 1944), dessen eigene Stücke ebenfalls
Einblicke in die Lebenswelten verschiedener sozialer Schichten gewähren.
Gespickt mit vielen italienischen Sprachbrocken hat die turbulente Komödie
zuweilen auch Weltschmerzliches, wenn beispielsweise dem vor Liebe glühenden Anzoletto
klar wird, dass er seiner Lucietta nicht viel bieten kann und er es mit seinem Bauchhandelssladen
kaum zu einem Händler mit richtigem Marktstand bringen wird. Florian Bürger in
der Rolle des Anzoletto gleicht einem kräftigen Baum, dessen Verzweiflung daher
um so mehr berührt. Dagegen Zorzetto, gespielt von Benjamin Kaatz, ist ein
naiver Luftikus, der fidel über die Bühne galoppierte und sich dabei einmal
jubelnd der Rampe näherte, um das Publikum wissen zu lassen: „Finale, Finale …
Deutschland hat es beim Elfmeterschießen geschafft …“ Das Torergebnis ging
danach fast im donnernden Applaus unter und wessen Seele bis zu diesem
Zeitpunkt noch ein paar Zweifel hinsichtlich deutscher Torchancen zwickten, den
zog nun die Komödie mit zum emotionalen Höhenflug.
Am Schluss gab es viel Applaus, vernehmlich laut klatschte das Publikum
besonders bei den drei Witwen, gespielt von Cynthia Fiedler, Katrin Hoffmann
und Luise Abraham, die alle drei vital und zuweilen ironisch über die Bühne rümpelten,
ohne die Figuren zu Karikaturen zu zerhacken.