Potsdamer Neueste Nachrichten 27.06.06

KulTOUR

„Wir sind schließlich nicht bei der Caritas!“

Bei der zweiten Lesung in "res publica" der Reihe Kammerspiel-Exil gab es "Briefe an den Reichtum"

Kleinmachnow - „Genug ist genug! Die Menschen leiden!“ dröhnte es am Sonntagmittag in Kleinmachnows Flämischem Viertel aus Lautsprecherboxen. Weil sich der Förderverein Kammerspiele derzeit „im Exil“ weiß, wählte man ein leeres Musterhaus von Kondor Wessels für den zweiten Teil der „res publica“-Lesung, die vor einer Woche in der Dorfkirche mit Robert Menasse begann.

Tatsächlich geht es alle an, wenn unkontrollierbar hohe Managergehälter mit rigorosem Stellenabbau und erpresserischen Drohungen, ganze Produktionszweige in Billigländer zu verlagern, einhergehen. Wenn sich diese Herren mit dem Satz: „Solange Rentner noch auf Mallorca Urlaub machen können, sind Rentenkürzungen zumutbar“, gar für die Sozialpolitik empfehlen. In Anlehnung an das im vorigen Jahr von Carl Amery bei Luchterhand herausgegebene Buch „Briefe an den Reichtum“ las diesmal der Berliner Schauspieler Jan Uplegger in verschiedenen Räumen, oder im Hause wandelnd, bis man sich gelegentlich fragte, wo denn nun die Guillotine stünde. Im kühlen Keller lief dazu eine Video-Produktion mit Namen und Gehaltsangaben der Wirtschaftsbosse. Der Tag war heiß, zu wenig Publikum, um wirklich ins Gespräch zu kommen, denn darum ging es dem Verein auch beim Reizthema „Skandale des Reichtums“. Im Zentrum dieser von Regisseurin Beáta Nagy eingerichteten „Installation“ stand ein nachdenklich machender Brief des Alt-Soziologen Oskar Negt an Ex-Siemens-Manager Heinrich von Pierer. Darin beschreibt er, wie und warum die Schere zwischen der „privaten Bereicherungswut der Manager-Kaste“ und ihrer Bereitschaft, sich „res publica“ (öffentlicher Sache) zu engagieren, immer weiter auseinandergeht. Die Zahlen sind bekannt, wer wirklich top ist, verdient bis zu sechs Millionen Euro im Jahr, gewisse Gratifikationen gar nicht mitgerechnet. Negt kann keine Regeln dieses Verteilungsprinzips erkennen, am wenigsten solche nach Leistung. Wenn sich die deutschen Manager damit trösten, dass ihre US-Kollegen „viel mehr“ verdienten, so erinnert Negt an das ausgesprochen kultivierte Stiftungsbewusstsein in Übersee. Man muss nicht so weit wie Andrew Carnegie gehen, welcher nach dem Satz „Wer als Reicher stirbt, hat Schande über sein Leben gebracht“ um 1900 sein gesamtes Vermögen verteilte, aber einen ähnlichen Weg empfahl Negt auch Herrn von Pierer 2003. Der Veranstalter stellte die Mundart der Manager ostentativ in den leeren Raum. Es spricht ja auch für sich, wenn man hörte: „Globalisierungsmanager schlagen keine Wurzeln! Wenn wir nicht mittun, sind wir draußen!“ Oder, gegen die Belegschaften gerichtet: „Wir sind schließlich nicht bei der Caritas!“ Verlegen sie Betriebe, bauen sie Stellen ab und verdienen sich damit „dumm und dämlich“, so erscheint ihnen das wie ein handlungserzwingendes Naturgesetz. Losgelöst von der res publica, könnten sie den Figuren in Hauffs „Kaltem Herzen“ gleichen. Negt erkennt hier sogar eine „Aufweichung der gesellschaftlichen Bindungskräfte“.

Manchen Besucher war das alles „nichts Neues“, vielmehr längst bekannt, dass Geld Macht bedeutet und beides korrumpiert. Jedoch, die Psychogramme der Wirtschaftselite so hautnah präsentiert zu bekommen, war des Kommens allemal wert. Vorab ausgelegte Fragebögen nach eigenen Zukunftsvorstellungen wurden zum Ende verlesen: Einer schrieb: „Es gibt einen Knall, und alles wird anders.“ Gerold Paul