Potsdamer Neueste Nachrichten 10.06.06
Luxusgut Schreiben
Der Kleinmachnower Schriftsteller Martin Ahrends wird morgen Burgschreiber
im brandenburgischen Beeskow
Von Dirk Becker
Kleinmachnow - Diese Hände, groß und
schwer, zerfurcht vom Steine schleppen, Balken stemmen, Mörtel schippen. Martin
Ahrends Hände sind harte Arbeit gewöhnt. Mit ihnen hat er ein Haus gebaut, in
Kleinmachnow, im Stolper Weg. Ein Haus für seine Frau und seine acht Kinder.
Arbeiterhände, richtige Pranken. Die Hände eines Schriftstellers stellt man
sich anders vor.
Wenn Martin Ahrends spricht, ruhen diese schweren Hände in seinem Schoß. Gesten
braucht der 55-Jährige kaum, seine Stimme fordert genug Aufmerksamkeit. Martin
Ahrends spricht nie zu leise, trotzdem muss man genau hinhören. Spricht Martin
Ahrends über die deutschen Verlage, klingt seine Stimme ein wenig müde. Spricht
er über das Schreiben, über Literatur, klingt sie fast zärtlich. Nie verliert
sie ihre Sanftheit, ihre Ruhe. Es ist die Stimme eines Mannes der weiß, wie man
Geschichten erzählt.
Morgen werden Martin Ahrends schwere
Hände wieder in seinem Schoß ruhen. Reden wird er nicht. Martin Ahrends wird
zuhören, wenn sie ihn im brandenburgischen Beeskow als Burgschreiber begrüßen.
Ein Stipendium für eine halbes Jahr, eine kleine Wohnung in der alten Burg und die
Zeit für den „Luxus belletristisches Schreiben“, wie Martin Ahrends es nennt.
Ahrends hält an diesem Luxus fest, obwohl es immer schwieriger wird. Er hat bei
renommierten Verlagen wie Heyne, Kiepenheuer & Witsch und dem Deutschen
Taschenbuchverlag veröffentlicht. Sein erster Roman „Der märkische Radfahrer“
wurde von der Kritik gelobt. Es gab Zeiten, da konnte Martin Ahrends seine
Familie mit dem Schreiben ernähren. Er arbeitete für die Wochenzeitung „Die
Zeit“, schrieb für die Wochenendbeilage der FAZ. Das journalistische Schreiben
war ihm Broterwerb. Zeit für den Luxus, für seine Geschichten, seine Romane
fand er damals genug. Wenn Martin Ahrends davon erzählt, klingt es, als spreche
er von einer Zeit, die nicht erst ein paar Jahre, sondern schon viel länger
zurück liegt.
„Mittlerweile beherrschen die Marketingabteilungen die Verlage“, sagt Martin
Ahrends. Erst kürzlich traf er sich mit anderen Schriftstellern. Vertreter der
Verlage Suhrkamp und Klett waren auch da. Dann fiel der Satz: „Eigentlich können
wir uns gute belletristische Literatur nicht mehr leisten“. Martin Ahrends
wirkt noch jetzt erschüttert über diese Bankrotterklärung. Nicht mehr die
Qualität eines Manuskript zähle mehr, sondern die zu erwartenden
Verkaufszahlen.
Jetzt könnte man denken, da sucht einer wieder einmal die Schuld bei den
anderen, bei den so ungerechten Verhältnissen. Doch man weiß es besser. Dass
viele Verlage stärker auf Gewinn setzen, dass Überproduktion und
Schnelllebigkeit bei der Jagd auf den nächsten Bestseller herrschen, wird seit
Jahren schon beklagt und in regelmäßigen Abstände zur Debatte in den
Feuilletons erklärt.
Das Gespräch kommt auf Daniel Kehlmann, dem mit „Die Vermessung der Welt“ das
scheinbar Unmögliche gelang. Ein anspruchsvolles, wunderbar zu lesendes Buch,
jubelnde Kritiken und Verkaufszahlen in den Hunderttausenden. Martin Ahrends
könnte jetzt sagen, dass die Ausnahme noch immer die Regel bestätigt. Doch er
winkt ab. „Fragen wir in zwei oder drei Jahren mal nach dem Schriftsteller
Kehlmann“, sagt er und schaut auf seine Hände. Es ist still in seinem kleinen
Büro im Potsdamer Gründer- und Künstlerzentrum am Rande des Pfingstberges, wo
er sich dem Schreiben stellt.
Der Schriftsteller Martin Ahrends vermisst in den Verlagen ein Gegenüber, den
„pflegenden Lektor“, wie er ihn nennt. Der mal nachfragt, in den Text schaut
und hilft, Zweifel zu beseitigen. Denn Zweifel gibt es genug. Jeder Anfang ist
ein Neubeginn. Martin Ahrends spricht vom Schreiben wie von einem Instrument,
auf dem nach langer Abstinenz wieder geübt wird. „Und du denkst: Herrgott, was
machst du da“, sagt er. Die Sprache gibt sich widerspenstig. Es ist wie beim
Hausbau. Martin Ahrends muss die Wörter wie alte Mauersteine vom Schmutz
befreien und aneinander reihen, wieder auseinander reißen und neu
zusammenfügen. „Knietief durch die Jauche“ gehe er dann, eine lange Strecke der
Sprachlosigkeit. Ein sich nähern, sich anpassen sei das. „Dass das, was ich
sagen will, so auch sagbar wird.“ Martin Ahrends Stimme klingt jetzt zärtlich.
So, als ob er über eine Geliebte spricht.
„Wassermann“, so der Arbeitstitel seines aktuellen Romanmanuskript. Vor über
zehn Jahren hat Martin Ahrends damit begonnen. Zwei Jahre waren geplant.
Mittlerweile hat er knapp 400 Seiten geschrieben. Die Geschichte handelt von
einem Wassermann in der Havel, dem viele Geschichten zugetragen werden. Ein
Ende ist nicht absehbar. „Ein mäanderndes, unförmiges, ausuferndes und
undruckbares Werk“ nennt Martin Ahrends seinen dritten Roman. Auf die Frage, ob
er denn versuchen werde, den „Wassermann“ zu veröffentlichen, reagiert Martin
Ahrends überrascht. Es scheint, als sei dieser Text sein Protest, sein
Verweigerung gegenüber dem Marketingdenken der Verlage.
Martin Ahrends will nicht für ein Marktsegment schreiben. Er will keine Abenteuerwelten
produzieren, wo der Leser das Buch aufschlägt und wie durch eine Tür in die
fremde, gut aufbereitete Welt tritt, nach ein paar hundert Seiten die Tür
wieder zuschlägt, die Welt verlässt und schnell wieder vergisst. Martin Ahrends
will das nicht als Kritik verstanden wissen. Es ist einfach nur nicht die
Literatur, die er schreiben kann.
Martin Ahrends schreibt sich an der deutschen, der eigenen Geschichte wund. Er
ist in Zehlendorf geboren, aufgewachsen in Kleinmachnow. Als Kind hat er die
Teilung Deutschlands erlebt, hautnah, als die Mauer den Ort und seine Familie
zerschnitt. In seinem Essay „Zwischenland“, erschienen im Märkischen Verlag,
erzählt er davon.
Die Geschichte mit ihren Brüchen, die in das Leben schlagen, Martin Ahrends
fragt, wie der Mensch damit umgeht, ob er damit leben kann oder daran
zerbricht. Er fragt, was die DDR aus den Menschen gemacht hat. Da schreibt er
seine eigene Geschichte aus sich heraus. Über sein Arbeitsverbot 1981 aus
politischen Gründen, seine Ausreise in die Bundesrepublik drei Jahre später.
Martin Ahrends will hinterfragen und dabei Schuld, Verantwortung und Gewissen
nicht an die Verhältnisse delegieren.
Gerade arbeitet er an einem Theaterstück für zwei Personen. „Russenkind“ soll
es heißen. Es erzählt die Geschichte einer Frau, die am Ende des Zweiten
Weltkrieges von sowjetischen Soldaten vergewaltigt wird und danach einen Sohn
zur Welt bringt. „Es geht um den jahrelangen Kampf dieser Mutter um ihren
Sohn“, sagt Martin Ahrends. Ihr Verstand lehnt das Kind ab, ihr Herz fordert
das Gegenteil. Ahrends sagt, dass das „Russenkind“ im neuen Hans-Otto-Theater
zu sehen sein soll. Ein Text von ihm, der ein Publikum erreicht. Bei anderen
herrscht die Ungewissheit. Und trotzdem schreibt er, gönnt sich weiterhin
diesen zeitraubenden „Luxus“?
Martin Ahrends spricht von einem Gefühl, das er beim Schreiben sucht. Er nennt
es Lustgefühl, das ihn überkommt, wenn der Text anfängt zu klingen. Wenn Martin
Ahrends die Sprache findet, so dass am Ende alles stimmt: Ton, Farbe und Klang,
dass seine Literatur zu einem Sprachgemälde wird. Dazwischen immer wieder
Zweifel und Wut, Resignation und Trotz. Dieses Lustgefühl ist ihm immer wieder
Antrieb. Und der Zauber, der von einem guten Text ausgeht, der den Leser in den
Bann ziehen kann.
Diesen Zauber hat Martin Ahrends schon als Kind verspürt. Auf dem Heimweg von
der Schule hat er seinen Freunden Märchen erzählt. Er wusste sie zu fesseln mit
seinen Geschichten. Sie gingen Umwege, nur um das Ende zu erfahren. „Das war
meine Art, Stärke zu zeigen“, sagt Martin Ahrends. Er prügelte sich nicht,
hielt sich im Hintergrund. Martin Ahrends wollte die Mädchen beeindrucken. Aber
auf seine Art.
In der 11. Klasse sollte jeder ein Gedicht von Heine vortragen. Martin Ahrends
schrieb ein eigenes, gab es als Heine aus und trug es vor. Es war ein
Liebesgedicht für seine Freundin, die im Klassenraum saß. Martin Ahrends trug
es vor und nur sie erkannte, dass er es geschrieben hatte.
Durch Sprache zaubern, in Bann ziehen und gleichzeitig Stärke zeigen, all das
fließe in einer guten Geschichte zusammen. Den richtigen Ton treffen, damit es
klingt, darum gehe es eigentlich in jedem belletristischen Text. Martin Ahrends
will Wörter formen und Sätze bauen, dass sie am Ende wie ein Haus wirken, in
dem der Leser sich wiederfindet. Seine schweren Hände zeichnen in der Luft
nach, was er meint.