Potsdamer Neueste Nachrichten 06.06.03
DasWAR’S
Coming out am Kanal
Was Peter Könnicke in freier Natur erlebte
Da hab ich mich gestern wohl als Gegner das
Kanalausbaus geoutet. Ich hab mich den Radlern angeschlossen, die auf den
Uferpfaden entlang des Teltowkanals die Flottenparade auf dem Wasser
eskortierten. Ich hätte auch an Deck eines der Schiffe sitzen können, die zur
100-Jahr-Feier des Teltowkanals von Wannsee nach Kleinmachnow schipperten. Ich
hatte nämlich eine Bordkarte! Allerdings musste ich schon um acht Uhr in
Wannsee zum Einschiffen erscheinen. Einschiffen – das klang ein bisschen
komisch, also fuhr ich mit dem Rad. Außerdem hat der Präsident der Wasser- und
Schifffahrtsdirektion später gesagt, dass ihm „alle gleich lieb und wichtig
sind“.
Die Kanalaue wird von den Gegnern des Havelausbaus ja als sensibler und
kostbarer Naturraum beschrieben. Nun ja, ich fuhr auf der linken Seite des
Kanals von Babelsberg nach Kleinmachnow und das Naturreich war in der Tat üppig
gesegnet. Äste peitschten mir ins Gesicht, Brennnesseln ruinierten mir die
Hände, Pollen nahmen mir die Luft zum Atmen. Ein Insektenfrühstück gab’s
gratis, man musste nur den Mund aufmachen. Seltene Käfer flogen mir ins Gesicht
und noch Stunden später puhlte ich mir eine kleine schwarze Spinne aus den
Haaren.
Das Terrain war so zugewachsen, dass
zum Radfahren nur ein schmaler Pfad blieb. Ich wünschte mir einen Moment lang
einen schön asphaltierten Weg, barrierefrei, um den Blick aufs Wasser zu
genießen. Könnte man ja mal machen für den Rad- und Wassertourismus, dachte ich
und bekam ein schlechtes Gewissen: Schließlich radelten wir, um auf die
Unberührtheit der Natur hinzuweisen.
Stellenweise kam man der Uferböschung bedrohlich nahe, so dass man artistisches
Geschick aufbringen musste, um nicht abzurutschen. Selbst der Flussexperte des
Bundes für Umwelt- und Naturschutz, einer der schärfsten Kritiker des
Kanalausbaus, meinte, dass wir nicht so dicht am Abgrund fahren müssten, wenn
wir nicht so penetrant verhindern würden, dass der Kanal verbreitert wird.
Wer jetzt glaubt, es hätte mir keinen Spaß gemacht, der irrt. Umweltschützer
argumentieren immer, man sollte die Schiffe den Flüssen anpassen und nicht
umgekehrt. Das gleiche gilt für die Uferwege. Man muss sein Rad den Bedingungen
entsprechend aufrüsten: Breitreifen und ein großflächiges Visier auf dem Lenker
gegen fliegendes Kleingetier. Wer etwas Schwierigkeiten mit der Balance hat,
dem empfehle ich Stützräder. Und Wechselsachen nicht vergessen, denn man kommt
ins Schwitzen. Aber lieber durchgeschwitzt als eingeschifft.