Potsdamer Neueste Nachrichten 01.06.06
Aggressionen
weich gekocht
Schüler der Internationalen Schule initiierte Projekt für Jugendliche:
"Kochen gegen Gewalt"
Berlin/Kleinmachnow - Monier rührt hingebungsvoll
im großen Suppentopf. Ben schält geduldig Kohlrabiköpfe und Kevin drückt mit
der Gabel vorsichtig die Ränder von Ravioli Quadraten aufeinander.
Schaut man eine Weile den insgesamt sechs Jugendlichen zu, die am
Montagnachmittag im Steglitzer Kochstudio von Biolüske köstliche Speisen
zubereiten, drängt sich der Gedanke auf: Kochen ist ein Fest für die Sinne.
Erst recht, wenn man gemeinsam kocht. So lässt die heitere und entspannte
Atmosphäre, die an diesem Nachmittag in der Profiküche herrscht, kaum vermuten,
dass Kevin mit dem Kindergesicht schon mal mit einer Eisenkette jemandem den Kiefer
gebrochen hat. Als gewaltbereit galten auch die anderen 13- bis 18 jährigen
Jungen, bevor sie ein Anti-Aggressivitäts- und Coolnesstrainig absolvierten.
„So ein Training ist freiwillig“, erklärt Lars Oliver Lück vom
Anti-Gewalt-Zentrum Berlin Brandenburg. „Wir fordern die Jungen dabei ganz
schön heraus und provozieren sie, auch mit der eigenen Gewalttat.“ Gleichzeitig
werden sie als Persönlichkeit angenommen, lernen, was gute Streitkultur ist und
auch, Emotionen zu zeigen.
Als Lück von der Idee des Kleinmachnower
Schülers Sammy Bahlsen hörte, gewaltbereiten Jugendlichen ein Stück
Lebensfreude durch Kochen zu vermitteln, war er sofort begeistert. Besonders
weil hier einer den ersten Schritt unternahm, der eigentlich zu den Opfern
gehört. Für den 16-jährigen Sammy, der die 10 . Klasse der Berlin Brandenburg
International School in Kleinmachnow besucht, war der Auslöser für das Projekt
ein persönliches Erlebnis. Vor einigen Monaten wurde er in der S Bahn von
Gleichaltrigen beinahe verprügelt. „Reden hilft da nur wenig. Deshalb wollte
ich etwas Praktisches dagegen tun.“ Irgendwann hatte er dann die Idee, dass
Kochen eine Bereicherung für Jugendliche sein könnte, die meinen, durch
Aggression auf sich aufmerksam machen zu müssen. Dagegen könnte ein gelungenes selbst
zubereitetes Essen ihr Selbstbewusstsein stärken und vor allem würden sie
anderen damit Freude bereiten.
Sammy selbst kocht leidenschaftlich gern. Angefangen hat er damit in der Küche
seiner Mutter, später nahm er an einem Kochkurs teil. Auch mit der
Nudelmaschine kennt sich Sammy bestens aus, zeigt den anderen, wie der Teig
damit glattgezogen werden kann. Auch von den drei Spitzenköchen, die Kochstudio
Inhaber Frank Lüske für das dreitägige Kochen engagierte, lernen sie eine
Menge. So von Kochprofi Martin Baudrexel, wie man Schalotten in winzige
Würfelchen schneidet und dabei achtgeben muss, dass der Daumen hinter den
Fingern bleibt. Nebenan bearbeitet Kevin mit einem Nudelholz Löffelbiskuits
fürs Dessert. Es ist die effektivste Methode, hat er herausgefunden und hört
dabei HipHop-Musik, die aus seinen Ohrstöpseln dringt. Ben bearbeitet indessen
mit dem Pürierstab eine Pastafüllung aus getrockneten Tomaten, Käse, Basilikum
und etwas abgeriebener Zitronenschale. Sein Eifer bringt den Stab fast zum Glühen,
denn nach einigen Minuten steigt Dampf auf und das Gerät braucht eine Pause.
Mit soviel kochender Leidenschaft und Begeisterung hat Frank Lüske nicht
gerechnet. Anfangs war er sogar etwas skeptisch, sein Studio dafür bereit zu
stellen. Doch Sammy Bahlsens Projekt „Kochen gegen Gewalt" habe ihn dann
so überzeugt, dass er Studio, Biolebensmittel und Servicepersonal kostenfrei
zur Verfügung stellte. „Ganz ohne ideologischen Weisheiten fördert Kochen das
Miteinander“, so Lüskes Fazit. Kirsten Graulich