Potsdamer Neueste Nachrichten 15.05.06
Placebo
für Schulhöfe
Seit einem Jahr gilt Rauchverbot an
Schulen – gelöst wird das qualmende Problem damit nicht
Region
Teltow – Es qualmt an märkischen Schulen – und es ist nicht unbedingt das
Ergebnis intensiver Gedankenarbeit, das zu rauchenden Köpfen führt. Nach einer
Erhebung der Brandenburgischen Landestelle gegen Suchtgefahren Ende des
vergangenen Jahres raucht ein Drittel der 16-jährigen Schüler täglich
Zigaretten, Mädchen sogar mehr als Jungen. Um Schulen zu gänzlich rauchfreien
Zonen zu machen, beschloss der Landtag im vergangenen Jahr ein generelles
Rauchverbot an Schulen. Seit gut einem Schuljahr ist die Verordnung in Kraft,
Wirkung und Erfolg beurteilen Schulleiter unterschiedlich.
Von einem Problem, „das nicht lösbar ist“, spricht Ingrid Feuerstake, Leiterin der Maxim-Gorki-Gesamtschule in Kleinmachnow. Sie hat getan, was die Verordnung verlangt: Es gibt keine Raucherinseln mehr auf dem Schulhof, die Hausordnung ist um das generelle Rauchverbot erweitert wurden, das Lehrerkollegium ist instruiert, mit gutem Beispiel voranzugehen. Selbst der Reinigungsfirma ist striktes Rauchverbot verordnet. Beseitigt ist das Problem damit nicht, „nur verlagert“, sagt Feuerstake. Denn 11.- und 12.-Klässler, denen es erlaubt ist, das Schulgelände zu verlassen, stehen in den Pausen mit der Kippe in der Hand vor dem Schultor. Das gleiche Bild findet man vor dem Weinberg-Gymnasium, genauso sieht es vor der Bürger-Oberschule oder dem Kant-Gymnasium in Teltow aus. Dessen Rektor Wilfried Heilek ist klar, „dass es einen schlechten Eindruck“ macht, wenn man am Schultor von rauchenden Schülern begrüßt wird. „Schön fürs Ortsbild ist das nicht.“ Auch sein Kollege vom Kleinmachnower Weinberg-Gymnasium, Olaf Thiele, macht die „Situation nicht glücklich“. Er sehe die Schüler lieber auf dem Schulhof als auf der Straße. Thiele hält die Verordnung für eine „Mogelpackung“: Es lasse sich nur schwer Heranwachsenden das Rauchen verbieten, wenn es ihnen ein Großteil der Gesellschaft vormacht. So lange es keinen gesellschaftlichen Konsens gebe und Rauchen in Gaststätten und öffentlichen Einrichtungen kein Tabu ist, bleibt das verordnete Nikotinpflaster für Schulen nur ein Placebo.
Auch Suchtberaterin Ingrid Weber vermisst eine gesellschaftliche Vorbildrolle. „Rauchverbote werden gesellschaftlich schlichtweg nicht akzeptiert“, so ihre Einschätzung. Noch immer ist Deutschland eines der wenigen europäischen Länder, in denen Zigaretten- und Tabakwerbung erlaubt ist und wo Angebote zur Raucherentwöhnung lediglich den Statuts von Insiderprogrammen haben. Gerade die Forderung, Schulen rauchfrei zu machen, verstärkt den Ruf von Rektoren und Lehrern nach professioneller Hilfe. Das Echo aber ist schwach: Im Kampf gegen das rauchende Laster „fühlen wir uns ziemlich allein gelassen“, klagt Gorki-Schulleiterin Feuerstake. Selbst Experten wie Ingrid Weber von der Landstelle gegen Suchtgefahren, wo zunehmend Hilferufe von Schulen eingehen, bewertet den Rauchverbots-Erlass als Schnellschuss: „Das hätte besser vorbereitet werden müssen.“
Eine der bekanntesten Anti-Raucher-Kampagnen an Schulen ist das europaweite Projekt „Be smart, don’t start“. Zum neunten Mal läuft in diesem Schuljahr der Wettbewerb. Die Schüler unterschreiben einen Vertrag, in dem sie sich verpflichten, in einem mehrmonatigen Zeitraum nicht zu rauchen. Die Schüler geben einmal wöchentlich an, ob sie geraucht haben oder nicht. Wenn mehr als 10 Prozent der Schüler einer Klasse rauchen, scheidet die Klasse aus dem Wettbewerb aus. „Etwa zwei Drittel der teilnehmenden Klassen halten durch“, sagt Barbara Isensee von der Wettbewerbszentrale in Kiel. Die nachhaltigste Wirkung sei zu verzeichnen, wenn Klassen wiederholt an dem Wettbewerb teilnehmen. Als mittelfristiger Effekt lasse sich feststellen, dass die Einstiegsquote oder der Tabakkonsum bei Schülern, die an dem Wettbewerb teilgenommen haben, um fünf Prozentpunkte niedriger sind als bei denen, die nicht mitmachten. Unter den 12 425 Klassen, die in diesem Jahr bei „Be samt, don’t smart“ teilnahmen, war auch die Achte des Teltower Kant-Gymnasiums. Für Schulleiter Wilfried Heilek ist dies eine Möglichkeit, Schüler zum Nikotinverzicht zu animieren. Auch im Biologie- und LER-Unterricht würden die Folgen des Rauchens thematisiert. Selbst eine gewisse Pathetik bemüht Heilek: „Man muss nicht durch Zigaretten wirken, um cool zu sein, man kann sich auch im Sport oder durch Kultur beweisen.“
Rauchende Schüler erwidern solche Disziplinierungsversuchen mit einem müden Lächeln. Freitag, 10.30 Uhr: Auf der anderen Straßenseite gegenüber des Weinberg-Gymnasiums sitzt Anna* (Name geändert) mit ihren Freundinnen – Raucherpause. Ihre erste Zigarette probierte Anna als Achtjährige – „auf Backe“. Seit der 9. Klasse raucht sie richtig. „Ich hab es so lange ausprobiert, bis es geschmeckt hat“, sagt die 17-Jährige. „Inzwischen ist es eine Sucht.“ Selbst der drastischste Anschauungsunterricht in Biologie, als sie eine „Lunge schwarz wie Teer“ verpuffte mit dem Pausenklingeln. „Nach der Stunde bin ich auf den Schulhof und hab mir eine Zigarette angezündet“, erzählt die Gymnasiastin. Als wegen Erhöhung der Tabaksteuer viele Nikotinjunkies das Rauchen aufgaben, war auch für Anna und ihre Freundinnen, „der Punkt erreicht aufzuhören“. Wirklich konsequent war ihr Versuch nicht, geben sie zu. Inzwischen ist die Schachtel Kippen bei der Kalkulation des Taschengeldes eine feste Größe.
Doch der Wunsch vieler Schüler, das Rauchen aufzugeben, ist durchaus vorhanden. Bei einer Umfrage unter Zehntklässlern in acht märkischen Landkreisen hat der Verein gegen Suchtgefahren herausgefunden, das ein Viertel der täglich rauchenden Schüler den Tabakkonsum aufgeben oder reduzieren wollen. „Auch wenn es noch ein langer Weg vom Problembewusstsein zum Handeln sein mag, gibt es eine Nachfrage nach Unterstützung zur Aufgabe des Rauchens“, so Suchtberaterin Weber. Auf der Internetseite „www.rauch-frei.info“ bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Jugendlichen „Selbsttests zur Ausstiegsbereitschaft“ an. Monatlich klicken sich 20 000 Interessenten auf die Seite. „Seit einem Jahr haben 10 000 Jugendliche ein Ausstiegsprogramm durchlaufen“, sagt BZgA-Sprecherin Marita Völker-Albert. Die Bundeszentrale hat auch einen speziellen Leitfaden für den Weg zu rauchfreien Schulen entwickelt, da „völlig klar ist, dass ein einfaches Rauchverbot an Schulen nicht ausreicht“, so Völker-Albert. Das Land Brandenburg, das als erstes Bundesland einen eigenen Leitfaden für die Umsetzung des Rauchverbots an Schulen entwickelt, habe sich in wesentlichen Fragen an dem BZgA-Papier orientiert. Voraussichtlich im Juni kommt der Leitfaden heraus. Vielleicht lässt er Schulleiter und Rektoren etwas aufatmen.
Peter Könnicke