Potsdamer Neueste Nachrichten 01.04.06

Die Geschichte einer Schule

Die junge Autorin Hannah Ahlheim über die Weinberg-Schule im Wandel der politischen Systeme

Von Peter Könnicke

Kleinmachnow - Das Wappen über dem Eingang des Kleinmachnower Weinberg-Gymnasiums zeigt zwei typische Nazi-Adler, die ihre Jungen füttern. „Das Gebäude war hellgrün verputzt und mit braunen Sgraffiti versehen, die mit den Figuren und Emblemen auf die nationalsozialistische ,Volksgemeinschaft’ Bezug nahmen“, erinnert sich Walfried Pohl an ihre Schule. Sie ist eine der vielen Zeitzeugen, die Hannah Ahlheim in ihrem Buch über die Weinberg-Schule zu Wort kommen lässt.

„Gesell dich einem Bessern zu …“ ist der Titel. Dieser Spruch von Friedrich Rückert ziert seit der Eröffnung der Schule am 9. April 1937 die Wand des Gebäudes und hat dort den Wandel der politischen Systeme überdauert. Die Inschrift ist frisch saniert und zeigt – genau wie das Wappen – „wie präsent Geschichte ist, auch wenn man nur an ihr vorbeiläuft“, so Ahlheim.

Als der Förderverein des Weinberg-Gymnasiums sie 2002 beauftragte, eine Chronik der Schule zu schreiben, hätte sie nicht erwartet, erst vier Jahre später ihre Arbeit präsentieren zu können. „Und ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so viel erleben würde“, sagt Ahlheim. Er hatte durchaus einen hohen Anspruch, als der Förderverein sich an den Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität mit der Bitte wandte, die Geschichte der Schule am Weinberg mit besonderer Rücksicht auf den Wandel der Systeme darzustellen. „Es erschien uns reizvoll, am Beispiel der Weinbergschule, die Auswirkungen der verschiedenen politischen Systeme auf Schulen, Lehrer, Schüler und deren Eltern zu beschreiben“, so Ehrenmitglied Axel Osenberg. Am Donnerstag hielt er das Buch erstmals in den Händen und lobte es als gelungenen Beitrag, „am lebenden Beispiel der Schule“ eine historische Lücke zu schließen. Denn eine Betrachtung der Schule, die „immer mitten drin“ war in den drei Systemen, hat es bislang nicht gegeben.

„Es hat sich schnell gezeigt“, so die 28-jährige Geschichtsforscherin, „dass die Schule und ihre wechselvolle Geschichte ein spannender Gegenstand für eine wissenschaftliche Abhandlung sind.“ Wie prägend war die NS-Ideologie für die Gründung der Schule, welche Rolle spielte sie als Spezialschule in der DDR und wo fand sie sich nach 1989 wieder – das waren Fragen bei Ahlheims Versuch, die Geschichte der Schule am Weinberg in den Wandel der vergangenen 70 Jahre einzuordnen.

Ahlheim liefert eigene wissenschaftliche Darlegungen und versetzt diese mit Beschreibungen des Schulalltags, mit Berichten von Schulleitern, Ausschnitten aus Schülerzeitungen oder Briefen. So wird die Schülerzeitung „Die Spitzenreiter“ zu einer „interessanten Quelle“ aus den Kriegsjahren. „Der Inhalt des ,Spitzenreiter’ ist geprägt von der nationalsozialistischen Ideologie“, schreibt Ahlheim, „aber gerade damit spiegelt er sicherlich wichtige Seiten des gesellschaftlichen Umfelds, in dem sich die Oberschüler in den Jahren des Krieges bewegten.“ Es sei schwer zu sagen, schreibt Ahlheim in ihren Kapitel zur Zeit des Nationalsozialismus, welche Auswirkungen Bemühungen um Ideologisierung auf den einzelnen Schüler wirklich hatten. Vielmehr, so ihre Annahme, „hatten womöglich die Veränderungen, die die Mobilmachung der Gesellschaft, Kriegsbeginn und schließlich der Luftkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung mit sich brachten, einen größeren Einfluss“. „Neue Strukturen im Alltag, das Fehlen von Vätern und Lehrern, neue Aufgaben auch für die Kleinen in der Gesellschaft, Luftalarm, Versorgungsengpässe und die Begegnung mit Soldaten und Kriegsverletzten hinterließen sicherlich ihre Spuren.“ Als Beleg zitiert die Autorin den Schulleiter mit seinem Jahresbericht 1939: „Die Jugend, die heute heranwächst, wird nicht mehr wie früher zum Genuß, sondern zu Entbehrungen, zu Opfern, vor allem zur Zucht eines gesunden, widerstandsfähigen Körpers erzogen …“

Die Nähe Kleinmachnows zu Berlin prägte zu Beginn des Kalten Krieges den Alltag an der Weinberg-Schule. Aus dem Bericht über „Die politisch-ideologische Lage an der Oberschule Kleinmachnow“ der SED-Kreisleitung Potsdam zitiert Ahlheim, dass „die besondere Lage der Oberschule Kleinmachnow“ zu berücksichtigen ist und vor allem die „politisch-ideologische Arbeit an dieser Schule, große Aufmerksamkeit finden“ müsse. Das galt umso mehr, nachdem die Schule in den 60er Jahren zur Spezialschule naturwissenschaftlich-technischer Prägung wurde, die „besonders befähigte Schüler von der 7. bis zur 12. Klasse“ so ausbilden sollten, dass sie als hoch qualifizierte Kader zur Verfügung standen. Doch trotz oder gerade als Eliteschule unterlag die Einrichtung einer „ideologischen Indoktrination“. Im Kapitel „Die allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeit“ und eine „völlig falsche Vorstellung von der persönlichen Freiheit“ widmet sich Ahlheim u.a. durch die Schilderung einzelner Schicksale der „staatsbürgerlich-patriotischen und sozialistischen Erziehung.“

„Mit der DDR kam auch das sozialistische Schulsystem unter die Räder der Geschichte“, so Ahlheims nonchalanter Übergang zur politischen Wende. Schnell wurden und werden Probleme zum Politikum. Die Schulpolitik ist und war eines davon, weshalb Ahlheim durchaus passend den heutigen CDU-Gemeindevertreter Guido Beermann zitiert, der die letzten Kommunalwahlen zur „Volksabstimmung über die Schulpolitik in Kleinmachnow“ erklärte. Schlagworte von der „Chancengerechtigkeit“ und der „Eliteförderung“ führen erneut zu einer „stark ideologisierte Debatte“.

Dass Ahlheims Buch keine rein wissenschaftliche Abhandlung geworden ist, liegt zu einen an den vielen Zeitzeugen, die den 140 Seiten eine subjektive Färbung geben. Zum anderen lebt die Chronik durch die Übernahme zahlreicher Berichte, Aufsätze, Artikel und Protokolle, die Ahlheim literarischen Quellen und Archiven entnommen hat.

Der einstige Lehrer Rüdiger Pötzsch, der das Buch mit einem Interview über seine Arbeit während der DDR-Zeit bereichert, prophezeit, dass es „kritische Bemerkungen“ geben wird. „Allzu schlecht ist das nicht“, befindet Olaf Thiele als heutiger Leiter des Gymnasiums, „denn Schule lebt von Lebendigkeit und Diskussion.“

Hannah Ahlheim: „Gesell dich einem Bessern zu … „, 14.80 Euro in der

Natura-Buchhandlung Kleinmachnow