Potsdamer Neueste Nachrichten 21.03.06
Die Kleinmachnower Mediziner Pinnow und Reetz sprachen über die Vogelgrippe
Kleinmachnow - Die Angst vor der
Vogelgrippe treibt die Patienten ins Wartezimmer des Kleinmachnower Arztes Dr.
Jörg-Peter Pinnow. Und nicht wenige erhoffen sich von ihm ein Rezept für das
Medikament Tamiflu, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Doch der Mediziner
und Mikrobiologe warnt davor und lud deshalb am Freitag in den Bürgersaal des
Rathauses ein, um über die aktuelle Situation der Vogelgrippe aufzuklären.
Dass gerade einmal 20 Interessierte kamen, überraschte nicht nur den Arzt, der
in seinem Vortrag darauf verwies, dass das Risiko einer weltweiten Seuche
derzeit sehr hoch sei. Zwar gebe es noch keine Anzeichen dafür, dass das Virus
H5N1 von Mensch zu Mensch übertragbar sei, aber damit könne gerechnet werden.
Denn das Virus verändere ständig sein Erbgut und so sei zu befürchten, dass es
nur eine Frage der Zeit sei, ehe es leicht von Mensch zu Mensch übertragen
wird. Wie schnell es sich verändern kann, haben der Fall eines Steinmarders und
drei Fälle streunender Hauskatzen gezeigt. Für den Menschen bestehe Gefahr,
wenn das Immunsystem durch eine gewöhnliche Grippe bereits geschwächt sei, weil
das ein Eindringen des Vogelgrippe-Virus in den menschlichen Organismus
erleichtere.
Die Angstvision vieler Wissenschaftler
sei daher, dass Influenza-Virus und Vogelgrippe-Virus ihr Erbgut austauschen
könnten, um so ein neues Virus zu bilden. Zirkulieren also gerade die
„üblichen“ Grippeviren, bedeute jeder neue Vogelgrippefall beim Menschen ein
gewisses Risiko. „Tamiflu beruhigt zwar, wenn man es im Hause hat, aber die
Gefahr besteht, dass es zur Resistenz führt, wenn es präventiv gefuttert wird“,
sagte Pinnow.
Er verwies in der Infoveranstaltung ebenso wie Tierarzt Dr. Gerd Reetz darauf,
dass die Vogelgrippe noch nicht die deutschen Bestände an Hausgeflügel erreicht
habe. Panikmache sei also nicht angebracht, sondern Aufklärung notwendig.
Besonders da zurzeit deutsche Geflügelprodukte einen Umsatzrückgang von 25
Prozent zu verzeichnen hätten, wie Reetz informierte. Doch können das Hähnchen
vom Grill oder gekochte Eier bedenkenlos gegessen werden. Denn längst gebe es
Erkenntnisse, dass Viren nicht mehr infektiös seien, wenn sie Temperaturen von
über 70 Grad ausgesetzt werden. Das Image der Geflügelbranche werde aber
zunehmend von Bildern wie toten Schwänen oder verseuchten Enten bestimmt. Auch
Schlagzeilen in den Medien würden sich verheerend auf die gesamte Branche
auswirken.
Auf die Frage einer Mutter, ob ihre Kinder weiterhin Enten füttern dürfen,
betonten beide Ärzte, man müsse Kinder vor allem von Körpersekreten wie Kot
fern halten. Uferstege sollten deshalb öfter gereinigt werden.
Pinnow hält besonders die Situation in Afrika für besorgniserregend. Das
afrikanische Gesundheitswesen habe schon damit zu kämpfen, Aids und Tuberkulose
zu bewältigen. Außerdem trage dort die traditionelle Haltung von Haustieren
dazu bei, dass das Virus sich in Afrika schnell ausbreiten könne. Anders als in
Asien, wo Behördendruck einer raschen Ausbreitung des Virus entgegen wirken
könne, sei das bei den unsicheren politischen Verhältnissen in Afrika kaum zu
erwarten, so Pinnow. K.Graulich