Potsdamer Neueste Nachrichten 07.02.06
Unternehmen "Tagesmutter"
Täglich werden in Kleinmachnow 90 Kinder zur privaten Tagesbetreuung
abgegeben – die freiberuflichen Erzieher verlangen eine bessere Anerkennung
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow - Es sieht aus wie beim
Kindergeburtstag: Stühle und Tische sind zusammengerückt, mit Decken überworfen
und je nach kindlicher Fantasie dient das Bauwerk als Höhle, Zelt oder Schiff.
Hölzerne Puzzleteilen liegen auf dem Fußboden, Kindergeschrei hallt durch die
Wohnung, einer der kleinen Racker ruft, er habe Hunger. Was wie eine Party von
Dreijährigen aussieht, ist Alltag im Kleinmachnower Grasweg 30. Fünf Kinder
betreut Benita Kasten hier in den eigenen vier Wänden. Vier Tage die Woche,
jeweils siebeneinhalb Stunden.
Im boomenden Kleinmachnow, das zu einem der kinderreichsten Orte des Landes
zählt und jüngst zur „Familienfreundlichen Kommune“ gekürt worden ist, hat
private Kinderbetreuung Konjunktur. 30 Tagesmütter und -väter nehmen hier allmorgendlich
90 Kinder in Empfang. Würden die vor den Türen der gemeindlichen Kindergärten
stehen – „Oh Gott“, stöhnt Doris Beckmann vom Kita-Verbund, „wir wüssten gar
nicht wohin mit den Kindern.“ Unter drei Jahre alte Kinder „werden so gut wie
gar nicht in unseren Kitas betreut“, ergänzt Marion Höhne vom Kita-Eigenbetrieb.
Und so federn Tagesmütter immer häufiger den Spagat zwischen Familie und Beruf
ab, den viele Eltern – gewollt oder ungewollt – vollziehen.
Doch so groß der Bedarf an privater
Tagesbetreuung ist, so wenig fühlen sich die Tagesmütter als gleichberechtigte Dienstleister.
„Wir fühlen uns gebraucht und benutzt, aber nicht anerkannt“, so Benita Kasten.
Noch immer klebt das Image der Hausfrau mit Kittel und Putztuch an den
Tagesmüttern, „doch inzwischen haben wir uns zu qualifizierten Fachkräften
entwickelt“, betont Benita Kasten. So genießen in den privaten Wohnstuben die
anvertrauten Kinder musikalische Früherziehung, lernen zweisprachig und
bekommen bei Wunsch Vollwertkost serviert. Kinderturnen, Waldorf- oder
Heilpädagogik sowie integrative Arbeit zählen längst zum Profil privater
Tagesbetreuung. Benita Kasten hat sich in selbst finanzierten Schulungen und
Lehrgängen Fähigkeiten zur Betreuung behinderter Kinder erworben. In den sieben
Jahren, die die ehemalige Waldorfkindergärtnerin ihren Job zu Hause macht, hat
sie Jungen mit Down-Syndrom, Schwerhörige und Kinder mit Entwicklungsdefiziten
betreut.
Das Gefühl, trotz mehrfacher Qualifizierungen nicht als gleichwertige Fachkraft
anerkannt zu werden, rekrutiert sich bislang aus einer Reihe von
Einschränkungen: Anspruch auf Urlaub und Fortbildung gibt es nicht, ebenso
keine Zuschüsse bei Investitionskosten und Versicherungsbeiträgen. Ganz normale
Risiken von Freiberuflern, meinen die einen. Inakzeptable Bedingungen für
jemanden, der hilft, einen staatlichen Auftrag zu erfüllen, wiedersprechen die
Tagesmütter und -väter.
Im Bemühen, Deutschland kinderfreundlicher zu machen und die Geburtenrate zu
steigern, hat Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) Tageseltern
inzwischen als wichtige Stütze erkannt. Unter ihrer Regie wurde im vergangenen
Jahr das Tagesbetreuungsausbausgesetz (TAG) verabschiedet. Im Zentrum steht
dabei der „qualitätsorientierte, bedarfsgerechte und flexible Ausbau der Kinderbetreuung
für die unter Dreijährigen“. Tagespflege soll zu einer qualitativ
gleichrangigen Alternative aufgewertet werden. Erreicht werden soll das u.a.
durch klar formulierte Anforderungen an das Betreuungspersonal. Zum anderen
sollen Tagesmütter besser als bisher unterstützt werden – durch Zuschüsse zur
Altersvorsorge und bei Unfallversicherungen sowie verbesserten
Krankenversicherungsschutz.
„Vom Ansatz ist das Gesetz wirklich gut, denn es sichert die Qualität der
Tagespflege“, lobt Benita Kasten. In der praktischen Umsetzung hat das TAG
jedoch seine Tücken. Etwa bei der Höhe des Pflegegeldes, das von den einzelnen
Landkreisen festgelegt wird. In Potsdam-Mittelmark wurde eine entsprechende
Richtlinie von einer Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus Kleinmachnow, Teltow,
Stahnsdorf, Werder, dem Arbeits- und Ausbildungsförderverein sowie dem
Jugendamt erarbeitet. Was Benita Kasten bedauert: „Von uns Tagesmüttern hat
keiner daran mitgewirkt.“ Denn vor allem für ihren speziellen, integrativen
Ansatz der Kinderbetreuung wird sie nach der – inzwischen beschlossenen und im
Juni in Kraft tretenden Richtlinie – weniger Geld bekommen. Grund: Für Kinder,
die älter als drei Jahre sind, hat sich das Entgelt um etwa 70 Euro reduziert.
Zwar wechseln die Kinder in der Regel mit drei Jahren in die Kitas, doch gerade
das Elternklientel, das Benita Kasten anspricht, nutzt das individuelle
Betreuungsangebot auch für ältere Kinder. Für Benita Kasten bedeutet die
Richtlinie einen Einnahmeverlust von mehreren hundert Euro im Monat. Für die
Tagesmutter stellt sich daher die Frage: „Aufhören oder noch mehr Idealismus
aufbringen?“
Für Rüdiger Schreckert, einer von zwei Kleinmachnower Tagesvätern, bedeutet die
neue Richtlinie keinen wirklichen Fortschritt. Er betreut täglich fünf Kinder.
Für die, die er sechs Stunden in seiner Obhut hat, bekommt er etwas mehr Geld
als früher. Bei acht Stunden ist es weniger. „Unterm Strich stagnieren die
Einnahmen“, so Schreckert. „Eigentlich müsste es mehr werden, denn die
laufenden Kosten steigen schließlich auch.“
Inzwischen haben sich die Kleinmachnower Tagesmütter und Tagesväter zu einer
Initiative vereint. „Wir wollen uns aus der Isolation befreien“, heißt es etwas
martialisch. Konkret will man einen besseren Dialog mit der Kommune, dem
Landkreis und dem Land, die „Anerkennung unserer Arbeit in politischen Gremien“
und eine „sinnvolle Umsetzung“ gesetzlicher Vorgaben. „Ich wünsche mir, dass da
noch nachgebessert wird“, sagt Benita Kasten – auch für spezielle
Betreuungsangebote. Denn sie will die Zelte am Grasweg nicht abbrechen. „Wenn
ich jetzt aufhöre, hängen die Kinder in der Luft.“