Potsdamer Neueste Nachrichten 21.01.06
Kleinmachnower PDS-Politiker Harry Hartig nimmt Abschied und blickt auf 16 Jahre Lokalpolitik zurück
Am kommenden Donnerstag
verabschieden sie sich nach 16 Jahren aus der aktiven Ortspolitik. Hat das was
Befreiendes?
Im Moment hat es noch etwas Bedrückendes. Ich kann mich noch nicht so
einfach davon lösen. Mich verbindet zu viel mit der Entwicklung des Ortes in
den letzten 16 Jahren.
Sie waren bis zum Fall der Mauer
in Kleinmachnow Grenzoffizier. Was hat Sie bewogen, nach der Wende Politik zu
machen?
Am 1. Mai 1990 war Schluss bei der Nationalen Volksarmee. Und am 6. Mai
war Wahl. Meine Genossen meinten, dass ich den Ort kenne und kandidieren
sollte. „Mach mal, hilf mal! Mach was, dass wir nicht ganz von der Bildfläche
verschwinden“, sagten sie.
Hatten Sie es schwierig, als einstiger SED-Genosse?
Die Anfangsphase war problematisch. Man mochte uns nicht. Aber mir ist
niemals von einem Kleinmachnower in irgendeiner Form ein Vorwurf gemacht
worden, ich wurde nie persönlich beschimpft. Es ging ums Prinzip: Wir standen
dazu, dass wir in der SED und DDR Mist gemacht haben. Das haben die Leute
offenbar anerkannt.
Was haben Sie damals als wichtige politische Aufgabe im Ort betrachtet?
Vor allem musste wegen der Schließung der Betriebe den Menschen ein
Ausweg gezeigt werden. Mir ging es ja selbst so, über Nacht war ich arbeitslos.
Haben Sie noch mal Arbeit gefunden?
Ich war gezwungen, wegen der niedrigen Rente und um mir eine Zukunft
aufzubauen – ich war ja erst 62 – Arbeiten zu suchen. Ich habe jahrelange
nachts von Teltow nach Magdeburg Kurierfahrten für die AOK gemacht. Am Tag habe
ich im Supermarkt und bei Stinnes im Baumarkt Regale eingeräumt.
War das politische Engagement so etwas wie eine Ersatzbeschäftigung?
Nein, das war nicht zusätzlich. Ich wollte das. Wir waren damals 400
PDS-Mitglieder im Ort und ich kann mich noch erinnern, wie man mich in der Hakeburg
zum Ortssekretär vorschlug. Plötzlich hatte ich eine Aufgabe und da ich mein
Leben lang gelernt habe, Aufgaben zu erfüllen, habe ich mich nicht davor
gedrückt.
Was hat Ihnen persönlich die Politik gegeben?
Die Möglichkeit, im Ort mitzuwirken. Ich könnte so viele Beispiele
aufzählen, was hier in den letzten 16 Jahren entstanden ist. 1991 haben wir im
Bauausschuss mit Streichholz- und Zigarettenschachteln Sandkastenspiele
gemacht, wie einmal der Rathausmarkt aussehen könnte.
Gefällt Ihnen das Ergebnis?
Ich bin zufrieden. Es ist so, wie ich es mir vorgestellt habe.
Was ist die größte Errungenschaft der Kleinmachnower Ortspolitik?
Dass wir so viel für Kinder geschaffen haben. Die Schulen waren alle
renovierungsbedürftig. Von der neu gebauten Sporthalle an der Steinweg-Schule
waren wir hellauf begeistert, auch wenn wir heute ein paar Probleme damit
haben. Wir haben Horthäuser und die Kindergärten gebaut. Einen Jugendklub. Da
ist der Um- und Ausbau der Eigenherd-Schule. Eine der wichtigen Fragen war, was
aus der Grenzübergangsstelle Dreilinden werden soll. Unsere Vorstellungen haben
sich besser entwickelt als wir es gehofft haben.
Was hat man sich denn vorgestellt?
Na ein Industriegebiet. Aber dass heute ein parkähnliches Gewerbegebiet
entstanden ist und wir damals darauf geachtet haben, dass keine Baumärkte und
Autohäuser hinkommen, war eine weitreichende Vision.
Gab es Entscheidungen, die Sie mitgetragen haben und heute bereuen?
(überlegt lange) Ich bereue nichts. Gut, wenn ich mir die
Stolper-Weg-Siedlung ansehe, die damals für die vielen Restitutionsopfer gebaut
wurde, hätte ich mir heute etwas mehr Geduld gewünscht und die Grundstücke
großzügiger angelegt. In der damaligen Panik und wegen der vielen Betroffenen
haben wir die Grundstücke eng bemessen. Wir haben das gemacht, um den Menschen
eine Heimat zu schaffen. Ich habe in der Zeit, als die Siedlung gebaut wurde,
viele Probleme miterlebt, teilweise tragische, wo die Leute geweint haben.
Heute bin ich stolz, dass wir den Stolper Weg gebaut und eine gewisse
Zufriedenheit geschaffen haben.
Würden Sie die Stolper-Weg-Siedlung als größten Beitrag für das
Zusammenwachsen von Ost und West bezeichnen?
Nein. Aber durch den Stolper Weg wurde eine gewisse Ruhe geschaffen.
Man kann Menschen nicht umdrehen, die bittere Erfahrungen gesammelt haben. Für
mich ist das anders in der täglichen Politik. Ich habe unter hinzugezogenen
Kleinmachnowern sehr viele gute Freunde gewonnen, mit denen man heute Pferde
stehlen kann. Manche habe ich sogar für unsere Partei gewonnen.
Was bedeutet Ihnen Kleinmachnow?
Ich bin vor 53 Jahren als Grenzpolizist nach Kleinmachnow gekommen und
habe mit den Jahren den Ort lieben gelernt. Mein Bestreben war lange, als
Rentner wieder in meine Heimatstadt Dresden zu ziehen. Das ist für mich nach
wie vor die schönste Stadt. Aber was soll ich da. Hier habe ich meine Freunde.
Ob ich durch die Siedlung oder den Ort gehe, überall habe ich Freunde. In
Stahnsdorf oder Teltow zu wohnen wäre ein Unterschied für mich. Auch Zehlendorf
ist anders.
Ist Kleinmachnow für Sie noch die politische Heimat wie vor 16 Jahren?
Es ist schwieriger geworden. Aber das Zusammenrücken bestimmter Kräfte
ist stärker. Wir hatten vor zwei Wochen den Ball der Roten Socken und da waren
nicht nur PDS-Mitglieder.
Die Hochburg, die Kleinmachnow für die PDS einmal war, gibt es nicht
mehr. Gegen das bürgerliche Klientel tut sich die Linkspartei zunehmend schwer.
Das tut weh. Wir suchen nach Möglichkeiten, unseren Kreis der Freunde
und Anhänger zu erweitern. Und wir haben mehr Zuwachs als Abgänge. Wir sind
immer noch eine überalterte Partei, aber wir haben viel Zulauf junger Leute. In
Kleinmachnow gibt es auch wieder eine eigenständige Jugendgruppe der PDS. Das
macht Mut für die Zukunft.
Was sind politische Erfahrungen in Kleinmachnow, auf die Sie gern
verzichtet hätten?
Der Bau der Eigenherd-Turnhalle ist für mich eine Schande. Wir hatten
in der alten Gemeindevertretung einen guten Entwurf mit einer Tiefgarage und
ich klopfe mir heute an die Brust, dass wir den nicht durchgesetzt haben.
Heute, dieses Gezerre um die Halle, ist unerträglich. Jetzt entsteht eine Halle
unter der Erde und die Autos stehen drumrum. Die Tendenz, die sich in
Kleinmachnow bereit gemacht hat, Dinge zu fordern, aber nicht vor der eigenen
Haustür, finde ich bedauerlich.
Wird es immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen?
Ja, weil es sofort immer eine Bürgerinitiative gibt, die dagegen ist.
Hat Sie das ermüdet und lustlos gemacht?
Im Gegenteil! Ich kann mit Leuten reden. Durch widersprüchliche
Diskussionen habe ich auch Freunde gewonnen.
Was sehen Sie als größten Kompromiss, der während Ihrer Zeit in der Ortspolitik
geschlossen wurde?
Das ist schwer … da fällt mir keiner ein.
Die tiefste Enttäuschung?
Ich bin Optimist. Wenn eine Enttäuschung kommt, kann ich die schnell
verkraften.
Wenn Sie am kommenden Donnerstag ein Schlusswort halten, was sagen Sie
Ihren Parlamentskollegen?
Sie sollen streiten, aber das Gemeinsame für den Ort suchen. Wir sind
als Gemeindevertreter verantwortlich, die Interessen der Einwohner zu
vertreten, aber uns auch mit Ihnen auseinander zu setzen.
Das Gespräch führte Peter Könnicke