Potsdamer Neueste Nachrichten 19.01.06
StandPUNKTE
Wider das Vergessen – eine etwas andere Sicht auf die
Seebergvorgänge
Warum gibt es keine Bemühungen, an die Geschichte des Standorts als
Kriegsforschungsstätte und politische Kaderschmiede zu erinnern?
Seit zehn Jahren wird in der Gemeinde
erbittert um die zukünftige Nutzung des Seeberggeländes gestritten. Nach vielen
untauglichen Versuchen zeichnet sich jetzt eine Lösung mit der Internationalen
Schule als zentralem Bildungszentrum ab, jedoch mit dem weiterhin offenen Punkt
der Hakeburg Nutzung, ein Vorschlag für einen Hotelneubau liegt vor.
Die bisherigen Kontroversen drehten sich um Geschossflächenzahl, exklusive
Wohnbebauung, Einzäunung, Landschaftsschutz und Biotope. Auch wir Anwohner vom
Hochwald kämpften gegen die immer wieder vorgelegten dilettantischen
Vorstellungen über verkehrliche Anbindungen über sensible Wohngebiete. In fast
zehn Jahren, die ich diese Diskussion aktiv begleitet habe, vermisse ich
wenigstens einen Ansatz, sich für einen Weg als Erinnerungsstätte eines
geschichtlich bedeutsamen Geländes einzusetzen. Dieses Gelände steht in einer
durchaus einzigartigen Weise für praktizierte Instrumentalisierung von
Naturwissenschaftlern und Ingenieuren für eine Diktatur und, da die Geschichte
sich doch wiederholt, für die Schulung von Intoleranz und Gesinnungsterror
durch eine Kaderschule in einer zweiten Diktatur. Wenn man durch Kleinmachnow
geht, sieht man an vielen Stellen Informationstafeln über den Ort, mit Angaben
interessanter touristischen Baudenkmäler und Landschaftsbereiche. Kein Wort,
kein Hinweis auf dieses sensible Gebiet und seine historischen Bedeutungen.
Wir können uns unsere Geschichte nicht
aussuchen. Zu ihr gehören Friedrich der Große ebenso wie das Naziregime und die
kommunistischen Diktaturen. Auch in unserem Nachbarland wird Napoleon geehrt
und Fouché nicht negiert. Warum wird bei uns Geschichte verdrängt? In dem
Hochsicherheitstrakt des Reichspostforschungsinstitutes arbeiteten
Naturwissenschaftler und Ingenieure in enger Abstimmung mit der Wehrmacht und
der Waffen-SS an kriegsrelevanten Projekten für fernsehgestützte Raketen und
Panzersteuerungen, Nachtjägerleitverfahren und Funkspionage. Für die
Luftwaffenerprobungsstelle Peenemünde wurden Ansteuerungsgeräte für die sehende
Bombe „erfolgreich“ entwickelt und eingesetzt. Streng abgeschirmt konnten hier
Techniker und Ingenieure einem menschenverachtenden Regime ihre Kompetenz zur
Verfügung stellen, vielleicht freiwillig, vielleicht auch nicht, vielleicht
auch blind für die Technikfolgen. Dies wäre nicht in Erinnerung ohne die
Recherchen von Prof. Faensen in seinem Buch über „High Tech für Hitler“.
Die Sowjets enteigneten das Gelände wegen dieser Historie. Es bildete sich eine
neuer Komplex – Parteihochschule, Kaderschmiede, Gästehaus des DDR-Regimes.
Wieder stand die Erziehung zur Intoleranz und Indoktrination im Vordergrund.
Nicht die Freiheit des Menschen, sondern deren Manipulation,
Gesinnungsschnüffelei, Stasi und Terror waren die Mittel zur Erhaltung eigener
Macht.
Es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen der Instrumentalisierung der
Ingenieure in der Nazizeit und den politischen Indoktrinationen während der
Kaderschmiedenzeit des DDR-Regimes. Auch dies haben Menschen ermöglicht,
Politiker, Parteigänger, Menschen aus allen gesellschaftlichen und beruflichen
Schichten, freiwillig oder auch erpresst. Währen der Nazizeit war es eine
Berufsgruppe, die Ermöglichkeitsverantwortung während der DDR-Zeit ging über
alle gesellschaftlichen Schichten. Sind diese Historien eigentlich nicht Anlass
genug, auf dem Seeberggelände an diese Dinge zu erinnern. Ebenso wie man auf
solchem Gelände keinen hochwertigen Wohnungsbau planen kann, ist auch ein
Hotelbau mit Wellness und Schlossluxus schwer vermittelbar. Zumal nicht ein
einziger Ansatz zu erkennen ist, im Rahmen der Nutzungskonzepte diese
Erinnerungen zu integrieren. Es ist richtig, dass der Blick nach vorne
gerichtet sein muss, die Suche nach wirtschaftlichen Lösungen ist verständlich
und nachvollziehbar. Die Ignoranz gegenüber der eigenen Geschichte ist jedoch
nicht die Lösung. Wie will man ein Bildungszentrum am Seeberg mit Leben füllen,
einem Ort, an dem auch Geschichte vermittelt werden soll, wenn Geschichte
verdrängt wird? Es stellt sich die Frage, ob diese Geschichte bei allen
Planungen verdrängt wird, weil man selber nicht erinnert werden möchte, oder
man sich der Bedeutung dieser Vorgänge für Verantwortung und Erziehung zur
Toleranz nicht bewusst ist. In allen Fällen kämen die Verantwortlichen ihren
Pflichten nicht nach. Ist es nicht Aufgabe eines Bürgermeisters, sich hier als
Meister der Bürger hervorzutun und eine Erinnerungsstätte in der Hakeburg zu
planen statt Schlosshotelluxus und Wellness an einem sensiblen historischen
Ort? Zukunft braucht Herkunft. Der Seeberg hat nur eine Zukunft, wenn auch an
seine Herkunft erinnert wird. Siegfried Brandt
Der Autor ist Mitglied der
Bürgerinitiative Am Hochwald