Potsdamer Neueste Nachrichten 26.11.05
Kleinmachnower
Postkartenidylle
Karl-Heinz Wallberg sammelt historische Ansichtskarten, liest sie aber nicht
Kleinmachnow - An Fräulein Margarethe
Herzog aus Berlin, zur Zeit auf Kur in Teplitz-Schönau in der
Göthe-Lindenstraße, ist die farbige Ansichtskarte aus Kleinmachnow adressiert.
Mehr steht nicht auf der Kartenrückseite. Dafür ist die Vorderseite, rund um
ein farbiges Bild von Hermine Türcks einstmals stadtbekanntem Restaurant an der
Kleinmachnower Mühle, dicht mit Bleistift beschrieben. Kaum noch lesbar sind
die Worte, teils verblasst, teils verwischt. Das Kurhaus, in dem Fräulein
Herzog damals weilte, sucht man heute vergebens im Stadtplan. Verwunderlich ist
das nicht, denn abgestempelt wurde die Postkarte am 26. Juni 1897.
Mittlerweile ist der historische Kartengruß im Besitz von Sammler Karl-Heinz
Wallberg aus Kleinmachnow, der dafür vor Jahren auf einer Sammlerbörse in
Berlin 28 DDR-Mark bezahlt hat. „Das ist eine meiner ältesten Karten. Zu
dieser Zeit durfte man noch nicht auf die Kartenrückseite schreiben. Bis Anfang
des 20. Jahrhunderts stand dort nur die Adresse“, erzählt der 60-Jährige und
betrachtet die Karte aufmerksam durch seine silberne Lesebrille. In Wallbergs
nussbraunem, antikem Wohnzimmerschrank liegen rund 630 historische Postkarten,
chronologisch geordnet und korrekt beschriftet, geschützt von Einsteckhüllen in
dicken grauen Ordnern.
In seiner kaum geheizten Wohnung trägt
Wallberg gern einen dicken, grauen Wollpullover zur schwarzen Trainingshose.
Der unauffällig wirkende ältere Herr ist allein stehend und lebt eher zurück
gezogen. Fremden tritt er anfangs zurückhaltend entgegen. Doch wenn es um seine
Sammlerstücke geht, blüht Wallberg auf.
Sein Interesse an historischen Postkarten aus der Gemeinde Kleinmachnow ergab
sich zufällig, als ihm kurz nach der Wende auffiel, dass DDR-Postkarten nur 20
Pfennige kosteten, während man für die Karten in Westberlin 50 Pfennig zahlte.
Daraufhin kaufte sich Wallberg einen ganzen Stoß DDR-Karten, „falls man mal
welche zum Verschicken braucht“, dachte er. Er brauchte sie dann doch nicht und
machte sie stattdessen zum Grundstock seiner Sammlung.
Wallbergs Faszination an den historischen Ansichtskarten ist eher praktischer,
als romantischer Natur. „Anhand der Postkarten kann man genau sehen, wie sich
Straßen und Häuser verändert haben“, sagt er und deutet auf eine schwarz-weiß
Postkarte von der Hohen Kiefer aus den 20er Jahren – damals ragte der Baum noch
einsam ins flache Land. Schnell legt Wallberg eine Aufnahme aus den 30er Jahren
daneben – dort ist die Kiefer bereits von Häusern umgeben. „Interessant,
nicht?“, fragt er und freut sich beim Betrachten der Karten, als würde er sie
selbst zum ersten Mal sehen. Wie oft er sich seine Postkarten schon angesehen
hat, vermag er wirklich nicht zu sagen. Aber Anlässe gebe es immer wieder, „zum
Beispiel wenn in Kleinmachnow diskutiert wird, wie alt ein bestimmtes Haus
ist“. Wallberg ist bei der Gemeinde angestellt und kümmere sich um alles, „was
so anfällt“.
Die vielen Lebensgeschichten, von denen seine alten Karten bruchstückhaft
erzählen, interessieren Wallberg nur am Rande. „Irgendwann werde ich mir mal
durchlesen, was auf den Postkarten steht, aber oft ist es in Altdeutsch
geschrieben. Das habe ich nicht gelernt und eigentlich interessieren mich mehr
die Bilder“, sagt Wallberg, der in Berlin geboren wurde und dann sein ganzes
Leben in Kleinmachnow verbracht hat.
Seine Sammelleidenschaft teilt Wallberg noch mit vier weiteren Kleinmachnowern.
„Ein fünfter ist vor zwei Jahren weggezogen und hat mir seine Sammlung für 7000
Euro verkauft“, erzählt er stolz. Erst vor ein paar Tagen hat er weitere Karten
in der Gemeindebibliothek erstanden, die teuerste für 28 Euro aus dem Jahre
1902.
„Andere halten es vielleicht für verrückt, so viel Geld für ein Hobby auszugeben,
aber so sind wir Sammler eben, sagt er und zum ersten Mal blitzt in seinem
sonst unbewegtem Gesicht ein spitzbübisches, jugendliches Lächeln auf. „Sehen
Sie mal“, ruft er beim Blättern in einem der Ordner und ist schon wieder ganz
in seinem Element. „Da ist das Restaurant von Hermine Türck wieder, das gleiche
Motiv, wie auf der Ansichtskarte von 1897.“ Juliane Schoenherr