Potsdamer Neueste Nachrichten 11.11.05
Tour
zu umstrittenen Häusern
Ein virtueller Fremdenführer erzählt Kleinmachnows Baugeschichte der
vergangenen 100 Jahre
Kleinmachnow - In überregionalen Fremdenführern wird man
Kleinmachnow bislang vergeblich suchen. Die Kanalaue oder das Bäketal haben zwar
das Potenzial zur Naherholung, sie touristische Highlights zu nennen, wäre wohl
übertrieben. Doch könnten bald Scharen Schaulustiger und Neugieriger nach
Kleinmachnow pilgern. Denn auf einer virtuellen Suburbia-Tour durch die
100-jährige Siedlungsgeschichte Kleinmachnows wird der Ort als das „Ideal einer
gewachsenen Wohnheimat“ mit einer beispielhaften Architektur gepriesen, als
Anschauungsbeispiel gelobt, wie man den Wunsch vom eigenen Haus à la bonne
heure in die Tat umsetzt.
Die Präsentation von 53 Wohnhäusern als vorzeigbare Exemplare gelungener
Baukunst seit Beginn der Siedlungsaktivitäten vor 100 Jahren ist ein Beitrag
der Regionalen Planungsgemeinschaft Havel-Fläming im EU-Projekt „Via Baltica
Nordica“. Nach den touristischen Attraktionen der Region gefragt, fiel den
Regionalplanern die Architekturgeschichte Kleinmachnows als
Alleinstellungsmerkmal ein. Neben älteren Villen wie dem 1906 für den
Biomalz-Fabrikanten Patermann gebaute Wohnhaus oder der imposanten Medon-Villa
begegnet man Beispielen zeitgenössischer Architektur. So wird das 1998 von Max
Dudler entworfene „Haus Pfeilsticker“ im Jägerstieg wegen seiner „zeitlosen
Gültigkeit“ gepriesen, das an frühere Landhausentwürfe erinnert.
Auch die eigenwillige
Holz-Beton-Konstruktion des Architekten Peter Herrle Am Fuchsbau wird
empfohlen. Als funktional und zukunftsbeständig wurde das Haus von der
Hamburger Stiftung zur Förderung von Architektur und Baukunst ausgezeichnet. Im
Kleinmachnower Bauamt war man zunächst skeptisch, als Herrle seine Baupläne
vorlegte. Dass man heute das Haus als gelungenen Beitrag der jüngeren
Siedlungsgeschichte betrachtet, ist für Bürgermeister Wolfgang Blasig Resultat
eines Lernprozesses. Auch Harald Knauer, Chef der Regionalen
Planungsgemeinschaft, erinnert sich daran, wie man „erschrocken“ auf das
geschaut hat, was in so manch einem Baufenster skizziert war. Die
Regionalplaner selbst haben häufig den Zeigefinger gehoben und Kleinmachnow
gemahnt, den Charakter des Ortes als Waldgemeinde zu wahren, maßvoll zu verdichten
und nicht zu massiv zu bauen. Das sei gelungen, resümierte Knauer gestern. „Man
kommt in keine Situation, wo man sich mit Grauen abwendet.“
So manch einer mag bei dieser Lobeshymne seinen Ohren nicht trauen. Denn wo bei
der jüngeren Ortsentwicklung von einem „Einfügen in die zurückhaltende
städtebauliche Ordnung“ die Rede ist, beklagen andere Bausünden im
Kleinmachnower Refugium. Noch immer empfindet Herbert Franke, der einst in
einer Bürgerinitiative für maßvolles Bauen kämpfte und heute als Gemeindevertreter
um Einfluss auf die örtliche Baupolitik bemüht ist, so manchen Neubau in der
Alten Zehlendorfer Villenkolonie als „rücksichtslos“. Lange Zeit habe man sich
in den Amtsstuben den Interessen der Investoren gebeugt und die Eigenarten des
Ortes verleugnet. „Es wurden Tatsachen geschaffen, die zum Maßstab wurden und
dem Charakter des Ortes widersprachen“, erinnert Franke. Während in dem
Online-Rundgang Kleinmachnows jüngere Baugeschichte gelobt wird, weil „nicht
schnell etwas hingeklotzt“ wurde und Freiflächen nicht mit beliebiger
„Massen-Architektur“ zugestellt worden sind, genügt Franke ein Blick auf die
Astron-Wohnanlage: Deren vier Geschosse und Kompaktheit seien alles andere als
der typische Stil einer Gartenstadt. Auch widerstrebt es Franke, die eng aneinander
gereihten und uniformen Häuser an der Förster-Funke-Allee als gelungene
Architektur zu bezeichnen.
Dass Kleinmachnow als Ort für die „Architek-Tour“ gewählt wurde, empfindet
Bürgermeister Blasig als Lob und Verpflichtung. Denn durch die Tradition
Kleinmachnows, in der Geschichte der Siedlungsarchitektur Beispiel gebend zu
sein, sehe er die Gemeinde in der Vorreiterrolle, Wohnformen zu entwickeln, die
künftigen Anforderungen gerecht werden. Siedlungsstrukturen sowohl für eine
immer älter werdende Bevölkerung als auch für junge Kleinmachnower Familien zu
entwickeln, sei eine der nächsten Herausforderung.
Die Auseinandersetzung mit dem Bestehenden und Ortstypischen wird dabei für
Kleinmachnow verpflichtend bleiben. Denn „es ist zu befürchten, dass eine
Trabantenstadt heranwächst“, schrieb der Kleinmachnower Architekturhistoriker
Hubert Faensen in seiner Rezension zu dem im Vorjahr erschienenen Band
„Südwestlich siedeln“. Das Buch beschreibt die Entwicklung Kleinmachnows von
der Villenkolonie zur Bürgerhaussiedlung und ist Ausgangspunkt der virtuellen
Suburbia-Tour dient. Peter Könnicke
www.suburbia-tour.de