Potsdamer Neueste Nachrichten 24.09.05
Forderung: Länger gemeinsam lernen
Gesamtschulkongress in Kleinmachnow will Reform von unten anstoßen
Kleinmachnow – „Länger gemeinsam lernen“, lautet das Motto des diesjährigen
Gesamtschulkongresses, der seit gestern in der Kleinmachnower
Maxim-Gorki-Gesamtschule an der Förster-Funke-Allee stattfindet. Über die
Zukunft der Gesamtschulen diskutieren noch bis zum Sonntag Vertreter der
Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG), Mitglieder der Gewerkschaft
Erziehung Wissenschaft sowie Eltern, Politiker und Schüler.
Zu den etwa 300 Gästen des Kongresses gehört auch Ex-Familienministerin Rita
Süßmuth (CDU), die gestern in ihrer Festansprache für eine gemeinsame Schule
für alle bis zum Ende der Pflichtschulzeit plädierte. Diesem Ziel fühlt sich
auch die gastgebende Gorki-Gesamtschule verpflichtet, die seit dem Schuljahr
2005/06 die einzige Gesamtschule der Region ist, da die anderen beiden
Gesamtschulen ebenso wie die Realschule mit der neuen Schulreform zu
Oberschulen wurden. Gegenwärtig besuchen 560 Schüler in den Jahrgängen 7 bis 13
die Kleinmachnower Gesamtschule, die erstmals seit dem Schuljahr 1994/95 die
Möglichkeit der gymnasialen Oberstufe anbot. Doch die Aussichten, diesen
Standard behalten zu können, hängen seit der neuen Schulreform davon ab, ob es
genügend Anmeldungen für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe gibt.
Ansonsten wird die Gorki-Gesamtschule ebenfalls zu einer Oberschule
umgewandelt.
Wie ein Damoklesschwert würden so die
Anmeldezahlen über der Schule hängen, da erst 2008 ein Ende des dramatischen
Schülerrückgangs absehbar sei, berichtete Schulleiterin Christine Feuerstake
gestern im Pressegespräch. Viele Eltern habe das aber verunsichert, die ihr
Kind deshalb an einem Gymnasium anmeldeten, obwohl es nicht die Empfehlung
dafür hatte. Aber es sei den Eltern so sicherer erschienen, weiß die
Schulleiterin aus Gesprächen. „Eltern, die ihre Kinder dagegen bei uns
angemeldete haben, entschieden sich bewusst dafür, den Bildungsweg für ihre
Kinder offen zu halten“, so Feuerstake.
Obwohl auch die neue Oberschule per Gesetz neben der Erweiterten Berufsreife
und der Fachoberschulreife einen Weg zum Abitur offen halte, sei das in der
Praxis nur in Ausnahmefällen möglich, erklärte dazu die GGG-Bundesvorsitzende,
Ingrid Wenzler. Sie hält die Reform deshalb nur für ein „Papierversprechen“ mit
vielen schönen Worten, das aber in Wahrheit eine Rückkehr zur Idee des
gegliederten Schulsystems sei. Vor dem Hintergrund der demografischen
Entwicklung sei die Reform des Landes Brandenburg nur ein halbherziger Schritt,
der die Defizite im deutschen Schulwesen, die PISA aufgedeckt hat, nicht
beheben könne, sagte Wenzler. Ihr GGG-Kollege Lothar Sack verwies im
Pressegespräch auch auf Zahlen, die Widersprüche aufzeigen. So würden 30 Prozent
der Gymnasiasten bezahlte Nachhilfe in Anspruch nehmen, um das angestrebte
Bildungsziel erreichen zu können. Alarmierend seien ebenso die 25 Prozent, die
in Deutschland zur Gruppe der Risikoschüler gehören würden und mit 15 Jahren
noch immer Analphabeten wären. „Kein Kind beschämen, kein Kind zurücklassen“,
mahnte Lothar Sack deshalb für künftige Bildungspolitik an.
Denn bisher wurde der Anspruch der Gesamtschulen auf gleiche Chancen immer
damit abgetan, mit dieser Schulform werde Gleichmacherei und Orientierung nach
unten betrieben. Sack: „Dabei würden der Blick auf die skandinavischen Länder
und auf Kanada zeigen, dass hohe Durchschnitts- aber auch Spitzenleistungen der
Schüler nicht trotz, sondern gerade wegen des integrativen Schulsystems erreicht
werden.“
Ziel der Initiatoren des Gesamtschulkongresses ist deshalb ein Reformanstoß von
unten. Das entspreche auch mehr den schulischen Realitäten statt wie bisher
eine Organisationsreform von oben zu verordnen, sagte Ingrid Wenzler . Als
Verbündete wisse sie bereits den Bundeselternrat, die GEW und den Verband der
Sonderpädagogen an der Seite der GGG.