Potsdamer Neueste Nachrichten 24.08.05
"Bei vernünftiger Politik kommt
die Regio-Tram"
Bert von Heydebreck, Sprecher der AG "Verkehrskonzepte", erklärt, wie man
sich zukünftig am besten in der Region fortbewegt
Sie haben sich am Wochenende beim Radfahren das Schlüsselbein gebrochen. Verleihen
Sie Ihrer Forderung nach mehr und besseren Radwegen auf diese Art mehr
Nachdruck?
Nein, das ist nur eine Kette unglücklicher Umstände: Ablenkung durch
viele Leute und durch Regen aufgeweichter Boden, so dass ich einen Salto über
den Lenker gemacht habe und auf den Schultern gelandet bin.
Mitunter hat man ja den Eindruck,
dass die AG „Verkehrskonzepte“ durchschlagende Argumente braucht, um wirklich
gehört und verstanden zu werden.
Durchschlagende Argumente haben wir schon und wir sind auch gehört
worden, insbesondere zu Radwegen. Es wird ja einen neuen geben: Die
Lindenstraße, wo viele Schüler unterwegs sind, wird einen kombinierten Rad- und
Gehweg bekommen. Wir werten das als einen unserer Erfolge, denn wir haben
diesen Radweg schon seit langer Zeit gefordert, deutlich auf die Situation
hingewiesen und die Gefahren dargelegt.
Was macht für einen Ort wie Stahnsdorf eine gute Verkehrsinfrastruktur
aus?
Die Erreichbarkeit und der Nutzen für alle sind die wichtigsten
Kriterien. In Stahnsdorf erscheint es mir, dass in der Politik die Belange der
Wirtschaft, die selbstverständlich wichtig sind, ein bisschen überbewertet
werden und absoluten Vorrang bekommen vor allen anderen Anliegen. Die wichtigen
Aspekte von Nachhaltigkeit und demokratischer Entwicklung geraten dabei ins
Hintertreffen. Zu einer guten Infrastruktur gehört auch, dass die älter
werdende Bevölkerung auch in 30,40 oder 60 Jahren noch den Nutzen und die
Vorteile davon hat, was wir heute entscheiden. Wenn wir heute richtig
entscheiden, wird uns das gelingen. Aber wenn nur in Ausrichtung einiger
politischer Versprechen entschieden wird, ist das nicht vorausschauend und
nicht in Sinne von Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit.
Sie haben gestern im Kreisentwicklungsausschuss die Idee einer Regio-Tram
vorgestellt. Was haben die Kreistagsabgeordneten gehört?
Die Regio-Tram ist eine durchaus gewünschte Sache. Nur haben die
Kommunen Furcht davor, dass sie mit Kosten belastet werden. Das ist bei einer Region-Tram,
mit einem eigenen Gleisbett und parallel zu Straßen laufend, gar nicht der
Fall. Eine Regio-Tram ist in diesem Fall ein überörtliches
Schienennahverkehrssystem, das von Bund und Ländern zum größten Teil finanziert
wird. Natürlich muss dabei eine Gemeinde mitspielen. Bund und Land sind sich
darüber bewusst, dass diese Region entwickelt werden muss und dies Geld kostet.
Aber die Finanzierung durch Bund und Länder ist kein Grund, dass Kommunen
Verkehrsträger wählen, die dem Bedarf nicht ausreichend gerecht werden …
… nennen Sie die anderen Verkehrsträger ruhig beim Namen!
In der Diskussion ist die Stammbahn, gegen die die AG
„Verkehrskonzepte" nichts hat, genauso wie wir wenig gegen einen
S-Bahn-Ringschluss haben. Wenn wir diese Verkehrsträger bekommen können, dann
muss das eine Entscheidung der Bürger sein und keine ausschließlich politische
Erwägung. Die Stammbahn berührt unsere Region nur am Rande, von der haben
Teltower und Stahnsdorfer so gut wie nichts. Sie wäre ein nützlicher
Schienenweg, wenn sie im Verbund mit der Friedhofsbahn eingerichtet würde. Und
die Friedhofsbahn wäre nur sinnvoll im Verbund mit der S-Bahnverlängerung von
Teltow nach Stahnsdorf. Aber wenn man das Ganze ganzheitlich sieht, so wie die
Bürgermeister und andere Politiker wie Jens Klocksin aus Kleinmachnow das auch fordern,
dann muss man die Kombination von Schienenwegen gegenüberstellen. Und den
Schienenweg, den wir favorisieren, muss man dabei auch beleuchten. Die
Potsdamer Verkehrsbetriebe haben daher jüngst zu einem Gespräch eingeladen,
weil sie ein Interesse daran haben, ein Bein in die Region zu bekommen.
Wie soll die Strecke verlaufen?
Sie hat zwei Endpunkte: die Straßenbahnverbindung am Stern und – so
mittelfristig unsere Vorstellung – am Regionalbahnhof in Teltow, also der
Bahnhof an der Anhalter Bahn. Diese ist ja eine ganz wichtige radiale
Verbindung nach Berlin hinein und nach Leipzig und Dresden. Die Regio-Tram soll
entlang der L76 verlaufen. Dort gibt es genug Platz und reservierte Flächen, um
das Gleisbett einzurichten. Von Stahnsdorf zum Bahnhof Teltow hätte man
gegenüber dem Bus mit der Tram eine Zeitersparnis zwischen 30 und 60 Prozent.
Im übrigen ist die Tram seit vielen Jahren Teil der Planungen des Landkreises
und der Verkehrsbetriebe Potsdam. Es ist auch Bestandteil der integrierten
Verkehrsentwicklungsplanung von Teltow und war bisher auch eine Option in
Stahnsdorf.
Von den drei Bürgermeistern hat die Idee der Regio-Tram jüngst mit Worten
wie „absurd“ und „absoluter Blödsinn“ eine recht drastische Abfuhr erfahren und
in Teltow gibt es einen Stadtverordnetenbeschluss gegen eine Straßenbahn.
Das muss ich korrigieren. Aus erster Hand aus dem Bauamt in Teltow weiß
ich, dass ein gültiger Beschluss zur Straßenbahn vorliegt, der jedoch keine
Priorität hat. Es ist kein Beschluss gegen die Tram, sondern gegen eine
finanzielle Beteiligung der Stadt. Die Bürgermeister dürften meiner Ansicht
nach nicht so gegen die Straßenbahn agieren, wie sie es getan haben. Sie haben
sich an die Grenze der Rechtmäßigkeit bewegt, wenn nicht sogar darüber hinaus.
Gemeindevertreterbeschlüsse sind ein Äquivalent von Gesetzen, und wenn sich die
Bürgermeister gegen die Beschlüsse der Kommunalparlamente richten, dann ist das
zu rügen.
Was treibt Sie, sich so leidenschaftlich für Verkehrskonzepte in
Stahnsdorf und in der Region zu engagieren?
Es ist eine Kombination von Tatsachen, die mich motiviert. An erster
Stelle steht Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Ich habe zwei sehr
talentierte Kinder und möchte sicherstellen, dass ich meinen Teil beigetragen haben,
um das Beste für unsere Gesellschaft durchzusetzen zu helfen. Im speziellen
Fall der Verkehrskonzepte in Stahnsdorf und der Region ist der Anstoß für
Leidenschaft dadurch gekommen, dass Gemeindevertreter und -verwalter lässig und
arrogant über eigene Beschlüsse hinweggegangen sind und dass Menschen, die als
Mitglieder der Bürgergesellschaft neue Ideen entwickeln, nicht angehört werden.
Es gibt besonders in Stahnsdorf Tendenzen, Bürger als Querulanten abtun.
Mitunter ist die Behandlung von interessierten Bürgern in den Gremien der
Gemeinde als starkes Stück zu werten und nicht mit den Werten einer
Kulturgesellschaft zu vereinen.
Die AG Verkehrskonzepte hat jetzt den 3. Preis des diesjährigen Agenda-Wettbewerbs
im Landkreis Potsdam-Mittelmark bekommen. Fühlen Sie sich dadurch bestätigt und
anerkannt.
Für uns ist es wichtig, dass das, wofür wir stehen, gewinnt. Und es hat
gewonnen. Es mag zwar „nur" ein dritter Preis sein. Aber das dies entgegen
allen Erwartungen geschehen ist, vermittelt ein Gefühl der Bestätigung der
Sache. Es geht uns darum, dass die Bürger das Beste verdient haben und das
Beste verlangen sollten. Wir sind der vollen Überzeugung, dass die Regio-Tram
vor jedem anderen Verkehrsmittel gebaut wird: Sie ist bezahlbar, fährt dort, wo
die Leute wohnen und wo sie hin wollen, sie verbraucht kein Land, bündelt
Trassen und zerschneidet keine Nachbarschaften. Wenn Politik vernünftig agiert,
wird sie auch kommen.
Das Gespräch führte Peter Könnicke