Jüngste Urteile im Restitutionsstreit um ehemals
jüdisches Eigentum verunsichern die Anwohner – ohne Grund, sagt das Gericht
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow - Manch einer kam sich vor wie auf einer Werbeveranstaltung, als
Rechtsanwalt Thorsten Purps Anfang Juli zu einer Podiumsdiskussion nach Potsdam
einlud. Im Streit um Rückübertragung in der Kleinmachnower Sommerfeldsiedlung –
einem der größten Prozesse um ehemals jüdisches Eigentum in Ostdeutschland –
hätten sich in diesem Frühjahr durch Musterverfahren neue Erkenntnisse ergeben.
Der renommierte Potsdamer Anwalt ergriff die Initiative, um aufzuklären. Und so
vernahmen die ohnehin schon seit Jahren verunsicherten Bewohner der Siedlung,
dass zuletzt „durchgängig“ Ansprüche auf Rückübertragung von Grundstücken in
ihrem Viertel entschieden worden seien. Doch, so Purps, gebe es Chancen zur
Gegenwehr. So manch einer der Zuhörer war hin- und her gerissen zwischen dem
Eindruck des billigen Klientenfangs oder ernst gemeinter Hilfestellung.
Am Potsdamer Verwaltungsgericht, dessen
1. Kammer die Sommerfeld-Akte behandelt, wird wenig Grund für Aufregung
gesehen. Denn für das Gros der Grundstücke, um die es in dem Rechtsstreit geht,
ist noch gar kein Urteil gesprochen. Ein einziger Fall war im vergangenen
Dezember kurz davor, am Bundesverwaltungsgericht entschieden zu werden. Doch
einigten sich vor dem finalen Richterspruch die Grundstücksnutzerin und der Geschäftsmann
Christian Meyer.
Der Berliner Meyer ist in der Sommerfeld-Siedlung kein Unbekannter. 1997
übernahm er von der Jewish Claims Conference (JCC) die Ansprüche auf das
einstige Betriebsvermögen der Siedlungsgesellschaft Kleinmachnow mbH, die dem
jüdischen Bauunternehmer Adolf Sommerfeld gehörte. Der JCC erschien eine
Durchsetzung der Ansprüche fraglich, während Meyer auf eine erfolgreiche
Rückübertragung von mehreren Hundert Grundstücken spekuliert. Allerdings
verhinderte er mit dem Vergleich in letzter Minute ein Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts mit Signalkraft: Denn die Leipziger Richter waren
geneigt, Meyers Restitutionsansprüche abzulehnen.
Somit ist nach wie vor die Frage unbeantwortet, was mit den Grundstücken
passiert, die von der ehemaligen Sommerfeld’schen Siedlungsfirma verkauft
wurden, nachdem diese arisiert worden war. Unter dem Verfolgungsdruck der
Nationalsozialisten ging das Unternehmen von Sommerfeld im April 1933 zunächst
faktisch, später auch de jure in eine Gesellschaft des Dritten Reiches über.
Nun unterscheidet das deutsche Vermögensrecht, ob ein Unternehmen oder eine
Privatperson geschädigt wurde. Das Gesetz schließt einen Anspruch auf
Rückübertragung aus für Siedlungsfirmen, deren Geschäftszweck es bis zum 8. Mai
1945 war, Grundstücke zu verkaufen. „Bei den allermeisten Fällen von Herrn
Meyer geht es darum, dass Sommerfeld die Gemeinnützige Siedlungs-Gesellschaft
m.b.H. Kleinmachnow entzogen wurde“, betont Gerichtssprecher Jes Möller. Dabei
„ist in den allermeisten Verfahren die spannende Frage, was mit den
Grundstücken geschieht, die dieses Unternehmen weiterveräußert hat, nachdem
Sommerfeld in seiner Firma nichts mehr zu sagen hatte und faktisch enteignet
worden war“. Einfach gefragt: Müssen diese Grundstücke wieder in den großen
Topf des weggenommenen Unternehmens zurück? Die Potsdamer Richter haben bislang
auf die Schicksalsfrage keine Antwort gegeben, somit gibt es keinen Grund zur
Panik.
Rechtsanwalt Thorsten Purps, einer der profiliertesten Vermögensrechtler des
Landes, sieht dennoch keinen Grund für Entspannung. Denn neben den drei
Verfahren im Frühjahr, in denen die JCC als Klägerin auftrat und Erfolg hatte,
haben in einem Fall die Potsdamer Richter „sehr wohl“ zugunsten Meyers
entschieden und die Rückgabe des betroffenen Grundstücks angeordnet. Purps
spricht – was die Sommerfeld-Siedler in helle Aufregung versetzt – von einem
„Grundsatzurteil“.
Gerichtssprecher Möller tut das nicht. Tatsächlich hat Meyer im Februar Recht
bekommen, doch ist das Urteil nicht rechtskräftig, weil am
Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt wurde. Viel wichtiger ist Möller
aber darauf hinzuweisen: „Der Fall ist nicht ohne weiteres mit den vielen
anderen Verfahren zu vergleichen.“ Denn es handelt es sich um ein Grundstück,
das zwar schon unter Zwang von der Siedlungsgesellschaft verkauft worden war,
aber eben noch vor der Übernahme der Siedlungsgesellschaft durch die Nazis am
21. April 1933. An diesem Tag wurde in der Siedlungsgesellschaft ein
kommissarischer Vorstand der neuen Machthaber eingesetzt. Auf diese rechtlich
grundlegend unterschiedlichen Aspekte legten auch die Richter in ihrer
umfangreichen Urteilsbegründung Wert: „Es handelt sich um eine
Einzelrestitution und nicht um einen Folgeanspruch aus einer
Unternehmensschädigung.“ Um letztere geht es aber in den allermeisten
Kleinmachnower Verfahren.
Auch die anderen drei vom Verwaltungsgericht im Februar und März entschiedenen
Fälle, in denen jeweils die Rückübertragung von Grundstücken angeordnet wurde,
sind rechtlich völlig anders zu bewerten als die Vielzahl der offenen
Verfahren. Denn es handelte sich jeweils um Grundstücke, die privat von
Verfolgten an die inzwischen „arisierte“ Siedlungsgesellschaft verkauft worden
waren – neben Sommerfeld, der pikantermaßen gezwungen wurde, an seine eigene,
ihm zuvor weggenommene Gesellschaft zu veräußern, war das in zwei Fällen der
jüdische Bankier Mühlmann. Auch diese drei Urteile sind noch nicht
rechtskräftig, weil gegen sie ebenfalls Beschwerde eingereicht wurde.
Der Ball liegt somit beim Bundesverwaltungsgericht, dessen Sprecherin Sibylle
von Heimburg jedoch noch nicht sagen kann, wann die Fälle behandelt werden. Gut
möglich, dass die Potsdamer Verwaltungsrichter so lange kein weiteres Verfahren
aus der umfangreichen Sommerfeld-Akte verhandeln, weil sie von den Kollegen aus
Leipzig Empfehlungen grundsätzlicher Natur erwarten.
Dennoch ist es kein Schaden, sich die Ausführungen von Rechtsanwalt Purps
anzuhören, der seinen Vortrag demnächst in Kleinmachnow wiederholen will. Der
Jurist, der etliche Kleinmachnower aus der Sommerfeld-Siedlung vertritt, sieht
„erheblichen Spielraum“ für die jetzigen Grundstücksnutzer. Selbst im Falle
einer Rückübertragung stehe man nicht rechtlos da. Purps’, der wie kein anderer
in Archiven recherchiert hat, habe neueste Kenntnisse über das genaue
Baugeschehen im Sommerfeld-Karree gewonnen. So gebe es aufgrund umfangreicher
Erschließungsmaßnahmen eine erhebliche Wertsteigerung der Grundstücke, die im
Falle einer Rückübertragung der JCC oder Meyer in Rechnung gestellt werden
könnten. Purps reklamiere diese Erkenntnisse keinesfalls für sich: „Alle sollen
wissen, welche Chancen und Möglichkeiten sie haben.“