Potsdamer Neueste Nachrichten 10.06.05
Einmaliger Linien-Flug
Der Kleinmachnower Filmemacher Peter Gärtner flog vor 15 Jahren über die
Mauer – unglaubliche Bilder
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow/Berlin - Die Bedingungen der „Interflug“ waren Peter Gärtner alles
andere als recht. Nicht höher als 50 Meter dürfe er fliegen und nur an der
Ostseite der Mauer entlang. Doch was der Kleinmachnower als Nachteil empfand,
erwies sich als „Traum für einen jeden Filmemacher“, sagt er heute. Im Frühjahr
1990, Wochen bevor am 13. Juni offiziell der Abriss der Berliner Mauer begann,
flog Gärtner mit einem Kamerateam in einem Mi 8 Hubschrauber der
DDR-Fluggesellschaft von Potsdam bis zur Bornholmer Brücke und filmte aus nur
50 Meter Höhe die Mauer.
Mehr als 15 Jahre blieb das Material
unveröffentlicht, seit gestern ist der deutsch- und englischsprachige Film im
Dokumentationszentrum „Berliner Mauer“ zu sehen. 77 Minuten lang hat eine
Kamera die Topografie des Grenzsystems vor seiner endgültigen Demontage
festgehalten. Die Wiedergabe veranschaulicht die absurde Situation einer
zerschnittenen Stadt an bekannten und weniger bekannten Stellen.
Es war Gärtners erste Arbeit als selbständiger Filmproduzent nach seinem
Ausstieg bei der Defa. Er habe das Zusammenwachsen von Potsdam und Berlin
begleiten wollen, doch zuerst sollte dokumentiert werden, was beide Städte
trennte. Fernsehsender, denen er das Material anbot, schickten es postum
zurück. Es war die Zeit, als die Bilder vom Abriss der Mauer um die Welt
gingen, niemand wollte die Grenze in ihrem Bestand sehen. Gärtner wiederholte
sein Angebot fünf Jahre nach dem Mauerfall und bekam erneut Absagen. Auch im
10. Jahr nach der Wende gab es in den TV-Anstalten kein Interesse an den
Bildern. Als er zum 15. Jahrestag nach der Maueröffnung immer häufiger in den
Zeitungen lesen konnte, dass man Spuren der Grenzanlage bewahren und an den
Verlauf der Mauer erinnern müsse, fühlte sich Gärtner ermutigt: Er nahm einen
Kredit auf und produzierte 3000 DVDs von seinem „Mauerflug“.
„Es ist auszuschließen, dass es vergleichbares Material gibt“, war Maria Nooke
vom Dokumentationszentrums „Berliner Mauer“ begeistert, als sie den Film zum
ersten Mal sah. Manfred Fischer vom Trägerverein des Doku-Zentrums in der
Bernauer Straße rühmt die „nicht zu wiederholende Arbeit, die das Tatwerkzeug
der deutschen Teilung in seinen ganzen Ausmaßen zeigt“. Authentischer ginge es
nicht.
Die verordnete Flughöhe von 50 Metern empfand Gärtner später als „ ein Geschenk
Gottes“, nachdem er erfahren hatte, dass die Kollegen auf West-Berliner Seite
eine Sondererlaubnis benötigten, um aus 200 Metern Höhe filmen zu können.
Gärtners Flugaufnahmen bleiben die einzigen, die je auf der Ostseite entlang
der Mauer gemacht wurden. Sie vermitteln einen detaillierten Blick auf die
brutale Ödnis der ehemaligen Grenzlandschaft zeigen aus einer einzigartigen
Perspektive die Mauer als Linie eines Stücks deutscher Geschichte. Der Flug
beginnt am Schloss Cecilienhof, führt über die Glienicker Brücke und die
Exklaven Klein-Glienicke und Steinstücken sowie über den Griebnitzsee, an
dessen Ufer die ergrauten Villen vergangener Ufa-Stars zu sehen sind. Die Mauer
versperrt den Zugang zum Wasser. Man fliegt weiter über den riesigen
Grenzübergang Drewitz/Dreilinden, der 1969 für fünf Millionen Ost-Mark gebaut
wurde und den jährlich fünf Millionen Fahrzeuge passierten. Ein kurzes Stück
wird der Teltowkanal zum Wegbegleiter des Mauerfluges, ehe man in Berlin
bislang nie gesehene Bilder von Dom, Potsdamer Platz oder Brandenburger Tor
erblickt – im Schatten der Mauer, die im Osten schneeweiß erscheint. „Der Film
schließt die Lücke zwischen dem Erzählen und der sinnlichen Vorstellung, was
und wo die Mauer war“, sagt Manfred Fischer.
Nun will Gärtner die DVD in Schulen anbieten. Der Film ist didaktisch angelegt,
35 Minuten lang und um Fakten ergänzt, die über die Bildbotschaften
hinausgehen. Gärtner wird selbst an den Schulen für seine Arbeit werben müssen.
Sein Brief an die Kultusministerkonferenz wurde zwar freundlich beantwortet,
helfen könne man ihm allerdings nicht. Auch im brandenburgischen
Bildungsministerium „hat man keine Möglichkeit gesehen, den Film im Lehrplan
unterzubringen“, bedauert der Filmemacher. Für Maria Nooke sind Gärtners
Erfahrungen „bezeichnend, wie schwierig es ist, das Thema an Schulen
unterzubringen.“ Dabei wissen Fachleute wie Hans-Hermann Hertle vom Potsdamer
Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) die Bilder hoch zu schätzen. „Das
Material“, so der Historiker, „braucht den Vergleich mit den Bildern der
Mondlandung nicht zu scheuen.“
Die DVD „Mauerflug“ ist u.a. in der „natura“-Buchhandlung in Kleinmachnow, im
„Internationalen Buch“ in Potsdam sowie im Kulturkaufhaus Dussmann in der
Berliner Friedrichstraße erhältlich.