Potsdamer Neueste Nachrichten 06.05.05
Der Neubeginn im Untergang
Am 8. Mai erlebt Kleinmachnow Enzensbergers -"Untergang der Titanic" – Ein
Gespräch mit dem Theaterregisseur Laszlo Kornitzer
Was erwartet die Kleinmachnower mit der Voraufführung vom „Untergang der
Titanic“ von Hans Magnus Enzensberger?
Enzensberger ist meines Erachtens einer der bedeutendsten Denker und
Poeten in diesem Land. Ihn zeichnet seine fortwährende kritische Stellungnahme
aus. Aber nicht nur die Kritik an sich, sondern vielmehr die Perspektive, aus
der heraus er sie formuliert, ist der wesentliche Antrieb, sich ihm zu nähern.
In diesem Text, der auch das Gedenken an den 8. Mai einschließt – für uns mit
ein Grund, ihn an diesem Tag zu spielen –, befasst er sich einerseits mit dem
Untergang eines technischen, ja technologischen Wunderwerks, als welches die
Titanic bezeichnet war, andererseits mit allen Untergängen, die die Menschheit
fortwährend feiert. Der Zuschauer wird mit einem hochpoetischen und politischen
Text konfrontiert, der wach macht, und mit einer Bestandsaufnahme, die, obwohl
vor fast 30 Jahren gemacht, bis heute gültig ist. Enzensberger hat fast zehn
Jahre an diesem Text geschrieben, auf verschiedenen Reisen durch die Welt sich
mit der Titanic beschäftigt und das Ereignis von damals zu einer Metapher
verdichtet – als Geisterschiff ist die Titanic immer noch unterwegs … Ihr
Untergang steht genauso für einen falsch verstandenen Fortschrittsglauben wie
für politische Versagen, falsche Rechnungen und Berechnungen, Versprechungen,
die nicht erfüllt werden und natürlich auch für die persönliche Niederlage. Der
Text ist von bestechendem, kompliziertem Humor. Enzensberger rechnet mit allem,
also auch mit dem Schlimmsten; er spielt anders, eben nicht auf Kosten anderer,
und nicht mit den Inhalten, die er aufs Schärfste benennt. Darin liegt die
große Qualität seiner Haltung.
Als Bühne dient die Gedenkstätte
für den norwegischen Theaterautor Nordahl Grieg, der während des zweiten
Weltkrieges nahe Kleinmachnow ums Leben kam. Was macht den Ort für das Stück
interessant?
„Der Untergang der Titanic“ ist ein politischer Text, den der Autor
übrigens als Komödie bezeichnet, und diese Gedenkstätte manifestiert sich als
politischer Ort. Nordahl Grieg ist dort zwei Jahre vor Kriegsende abgestürzt.
Er war Schriftsteller und Journalist, der gegen den Faschismus ins Feld zog,
eben nicht hinterher, sondern mittendrin. Sein Text „Die Niederlage“ war die
Grundlage für Brechts Stück „Die Tage der Commune“. Nordahl Grieg hat
hoffnungsvoll mit dem Untergang eines Systems gerechnet, deshalb ist der Platz
seines Denkmals ein idealer Ort für unsere Aufführung. Außerdem finden große
Untergänge gewöhnlich im Freien statt und nicht im Wohnzimmer – wobei man
Untergänge im eigenen Kopf nicht unterschätzen sollte. Insofern hat es auch
einen symbolischen Wert, wenn wir das Stück da draußen aufführen. Makabrer
Weise sind es Buchen, die dort in der Lichtung stehen, so dass man menetekelhaft
an Buchenwald erinnert wird. Aber das möchte ich jetzt nicht großschreiben. Es
wird jedoch nur dieses eine Mal sein, dass „Der Untergang der Titanic“ dort
stattfindet, später soll es in Theatern in Form von Gastspielen aufgeführt
werden. Wir hoffen, dass es auch in den Kleinmachnower Kammerspielen gezeigt
werden kann.
Kennen Sie die Kammerspiele?
Ich kenne sie und weiß um den künstlerischen und kulturellen Zustand
des Hauses.
Wäre es ein guter Aufführungsort für das Stück?
Es ist in Wirklichkeit gar kein Stück, sondern ein episches Gedicht,
auf das das Theater zurückgreifen kann, wenn es sich mit besonderen Inhalten „untheaterhaft“
beschäftigen möchte. Die Kammerspiele wären dafür ein idealer Ort, zumal ein
gewisses Zeichen gesetzt werden könnte, um ein Publikum auf sie neugierig zu
machen, das Theater seinerseits neu zu beleben und um zu zeigen, in welche
Richtung es sich entwickeln könnte. Von den Räumlichkeiten her wäre das Haus
mit seiner kammerspielartigen Struktur – kein gigantischer Zuschauerraum, eine
relativ „schmale“ Bühne – für die Aufführung bestens geeignet, denn in erster
Linie liegt die Absicht der Aufführung darin, das Wort beim Wort zu nehmen und
es nicht durch szenische Geschichten aufzuweichen oder gar von ihm abzulenken.
Es ist eine gewisse Tendenz in den vergangenen Jahren zu erkennen, dass in den
Theatern Wert auf Unterhaltung zu Lasten des Inhalts gelegt wird. Ich spreche
nicht von einer biederen Theaterform, die dem begegnen sollte, sondern von
einer geistigen Frische, wie es beispielsweise der Text von Enzensberger
enthält und intendiert.
Das klingt nach einer großen Herausforderung - nicht zu groß für
Kleinmachnow?
Ich glaube, jeder Ort ist geeignet, etwas neu oder wieder zu
formulieren, verloren gegangene oder auch neue Impulse zu finden, zu fragen,
was eigentlich heute vor sich geht und wo unsere Stellung ist. Welche Position
beziehen wir? Die Spielräume werden immer enger, wenn es sie überhaupt noch
gibt. Diese Art Suche ist an jedem Ort möglich. Denkanstöße sind überall zu
formulieren. Und der Punkt ist: Kleinmachnow hat ein tolles Haus dafür, ein
Kammerspieltheater im klassischen Sinn des Begriffs, wo man ganz nah am
Publikum arbeiten kann. Man muss nicht irrsinnige Räume überwinden, um es zu
erreichen. Das Haus bietet sich aber, wenn man an seine Zukunft denkt, auch für
alle möglichen Veranstaltungen wie Konzerte und Musiktheater an. Ein echtes
Konzept und Kontinuität wären heute wichtig.
Das Stück ist eine Produktion des Trägervereins Kulturhaus Kammerspiele.
Werden Sie in Zukunft weiter mit dem Verein zusammenarbeiten?
Ich bin freier Regisseur und Autor und würde in absehbarer Zeit in
Kleinmachnow den einen oder anderen Impuls gern setzen wollen. Ich habe einen
Kreis von Schauspielern um mich, man kann sagen: ein bestimmtes Ensemble, mit
dem ich immer wieder neue Ideen zu formulieren suche, das heißt auch, Projekte
plane. Unter den Schauspielern gibt es eine unglaubliche Neugier und Lust,
etwas zu machen, zu reagieren. Aber es gibt auch andere Regisseure, mit denen
eine Zusammenarbeit wünschenswert wäre, die über die Dinge ganz anders
nachdenken als zum Beispiel ich. Man reibt sich ja an der Verschiedenheit von
Orientierungen. Übrigens muss es nicht nur Schauspiel sein. Das Haus dem
Publikum in Kombination mit einem guten Kino anzubieten, ist eine große
Herausforderung. Wenn sich eine solche Perspektive eröffnet, wären eine Menge
Leute bereit, Vorleistungen zu bringen. Künstler sind, davon kann man ausgehen,
hungrig und neugierig. Und vor allem: bereit.
Das Gespräch führte Peter Könnicke
DER REGISSEUR, DAS ENSEMBLE, DAS WERK
Wenn das Wasser bis zum Halse steht
Laszlo Kornitzer ist freier Theaterregisseur, Autor und Filmemacher. Im
vergangenen Jahr inszenierte er zusammen mit der Schauspielerin Beata Nagy am
„Theater unterm Dach“ in Berlin das Stück „Gott ist traurig“. Bekannt ist
Laszlo Kornitzer zudem als Übersetzer des Buches
„Liquidation“ des ungarischen Literatur-Nobelpreisträgers
Imre Kertész.
Unter seiner Leitung wird in
Kleinmachnow am kommenden Sonntag, 8. Mai um 17 Uhr am Denkmal
für Nordahl Grieg (nahe der Hakeburg) Hans Magnus Enzensbergers brillianter wie
humorvoller Text „Der Untergang der Titanic“ in Szene gesetzt. Mitwirkende der
Voraufführung sind die die Schauspieler Anna Katharina Andrees, Carmen Dalfogo,
Stefan Kolosko, Oliver Nitsche und die aus zahlreichen Fassbinder-Filmen
bekannte Irm Hermann.
Musikalisch belebt wird die Aufführung durch die Saxophonistin Karola Elssner.
Hans Magnus Enzensberger begann mit dem „Untergang der Titanic“ 1969 in
Cuba, legte die Anfänge beiseite, nahm es hartnäckig wieder auf, verwarf es
erneut und schloss es schließlich 1979 in Berlin ab. Das Gedicht nimmt manche
Erinnerung an die Jahre und Orte seiner Entstehung in sich auf. „Auch der
Mensch“, lehrt Enzensberger, „dem das Wasser bis zum Halse steht, kann seinen
Kopf noch benutzen: zum Denken, nicht nur zum Schreien.“