Adolf Grimme, Walter Janka, Herbert Sandberg – viele
Künstler suchten nach Krieg und Exil in Kleinmachnow einen Neuanfang
Von Harald Kretzschmar
Wir leben im Jahr 2oo5, und ständig wird sechzig Jahre zurück erinnert. Die
Nächte der Bomben. Flucht und Vertreibung. Erobert werden und Besatzungsregime.
Das Lamento in Tremolo, vorherrschende Tonart des Zeitgeists, wird als wehleidiger
Verfolgungswahn auf die Vergangenheit zurückprojiziert. Aber was kam danach?
Kleinmachnow bewies nach dem Krieg schnell wieder seine Anziehungskraft für im
Krieg verfolgte Intellektuelle.
Man hört nicht viel davon, was dem Ort
in der Stunde Null beschert wurde. Es muss wohl etwas beschämend gewesen sein.
Die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge neben den dienstverpflichteten Einwohnern
des Bosch-Rüstungsbetriebes – plötzlich auf freiem, ganz und gar zivilen Fuß.
Die Spezialisten im Dienste des V-2-Forschungsprojekts des Reichspostministers
– im letzten Moment als Vorreiter eines Drangs gen Westen auf Achse.
Schreckliche Einzelschicksale wie die Erschießung des ehrwürdigen Mimen
Friedrich Kayssler durch marodierende Rotarmisten sind das eine. Die Rückkehr
der Überlebenden aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern des Naziregimes
war das andere.
An prominenten Namen unter ihnen ist kein Mangel. Politische Köpfe wie Georg
Gradnauer (Anfang der 20er Jahre sächsischer Ministerpräsident und
Innenminister der Reichsregierung) und der Schulreformer und preußische
Kultusminister Adolf Grimme waren darunter. Gradnauer war als Jude nach
Theresienstadt deportiert worden und überlebte die Rückkehr nach Kleinmachnow
nur um wenige Monate. Grimme war wegen Hochverrats verurteilt und von den
Briten aus dem Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel befreit. Er bestimmte in der
britischen Besatzungszone den antifaschistischen Neuanfang tatkräftig und
maßgeblich mit und wurde die entscheidende Gründerfigur des freien Rundfunks.
Die beiden waren Teil der intellektuellen Elite, welche in Kleinmachnow ihren
Wohnsitz genommen hatte. In Berlin lebende Künstler wie die für die moderne
deutsche Musik so wesentlichen Arnold Schönberg und Kurt Weill oder der für den
deutschen Expressionismus so wichtige William Wauer lebten zeitweise hier und
schufen dabei Wesentliches. Die beiden weltberühmten Komponisten kehrten aus
dem Exil, in das sie Hitler gejagt hatte, nie zurück. Wauer lebte seine –
sozialistischen – Ideale an seinem Zweitwohnsitz Berlin-Tempelhof weiter und
starb hochbetagt und hochgeehrt dort 1962. Es entbehrt nicht einer gewissen
Tragik, dass der bedeutendste deutsche Tierbildhauer nach August Gaul und neben
René Sintenis, Harry Christlieb, schwer behindert durch Taubheit, Kleinmachnow
bei Kriegsende fluchtartig verließ und sein durch das Modellieren einer edlen
Büste des Nazihelden Horst Wessel prominenter Kollege Paul Gruson hier fröhlich
weiter residierte.
Zehn Jahre nach Kriegsende hatten leider einige der Künstler, die nach jahrelanger
KZ-Haft oder nach der Emigration hier sesshaft geworden waren, den Ort schon
wieder verlassen. Die Porträtkarikaturisten Herbert Sandberg und Elizabeth Shaw
gehörten dazu. Letztere hatte bis 1952 mit ihrem Mann, dem Bildhauer Rene
Graetz, und den Familien von Ernst Hermann Meyer und Nathan Notowicz im Haus
Zehlendorfer Damm 112 gewohnt. Meyer und Notowicz gründeten damals den Verband
der Komponisten und Musikwissenschaftler, welcher der Musikkultur in der DDR
unter ihrer Leitung wichtige Impulse gab.
Erst spät kehrte aus der Westemigration Schriftsteller Walther Victor zurück.
Unbehelligt zog er nach zwei Jahren im Ort weiter nach Berlin. Die bisweilen
schon vor 1961 missliche Verkehrslage Kleinmachnows hielt dagegen andere
ehemals Naziverfolgte nicht davon ab, auf Dauer hier ihren Wohnsitz zu nehmen.
So der noch kurz vor Kriegsende wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilte
Luftwaffenoffizier Vilmos Korn, der später mit seiner Frau Ilse das Buch „Mohr
und die Raben von London" in Kleinmachnow schrieb. Oder der nach
Zuchthaushaft zur Strafeinheit der „999er“ abkommandierte Journalist Wolfgang
Joho, der dann in der Medonstraße seine Romane über das Anderswerden zu Papier
brachte. Sein Verleger war der aus der mexikanischen Emigration heimgekehrte Spanienkämpfer
Walter Janka. Er wurde 1952 mit seiner Frau Charlotte im Heidereiterweg da
heimisch, wo vorher schon das dem KZ Auschwitz entkommene Ehepaar Hirsch ein
Zuhause gefunden hatte. Die Hirschs flohen rechtzeitig vor möglicher neuer
Verfolgung, während Janka sich mutig dieser entgegenstellte. Und das mit
mehrjähriger Zuchthaushaft bezahlte.
Gerade dies – die unangepasste, oft widerständige Wesensart – vereinte viele
der in der DDR eine politische Heimat suchenden Intellektuellen, die
Kleinmachnower wurden. Neben Janka ist da zuallererst Robert Havemann zu
nennen, der Mithäftling Erich Honeckers im Zuchthaus Brandenburg gewesen war.
Und der bereits 1948 wieder als neuer Chef der Max-Planck-Gesellschaft in
Berlin-Dahlem bei der amerikanischen Besatzungsmacht aneckte. Er kam für einige
Jahre nach Kleinmachnow, und sammelte sofort wieder einen Kreis origineller
Geister um sich. Unter anderem den ehemaligen Buchenwaldhäftling Herbert
Sandberg, der ebenfalls vor neuerlicher US-Reglementierung seiner satirischen
Zeitschrift „Ulenspiegel“ entwichen war. Bis er wiederum mit seinen eigenen
Genossen ins Gehege kam, und die „Ulenspiegel“-Lizenz ganz verlor. Oder der
1958 hier sesshaft gewordene Trickfilmer Kurt Weiler. Aus jüdischer Familie im
niedersächsischen Lehrte stammend, brachte er aus dem britischen Exil
Anregungen für sein Metier mit, die in der DDR als zu modern zunächst
verketzert wurden. Konsequent blieb er sich treu, gewann Verbündete in freien
Künstlern wie Achim Freyer und Toffulutti und drehte meisterliche
Puppentrickfilme. Oder Fred Wander. Der durch die Hölle der Lager Gegangene
verewigte seine traumatischen Erlebnisse in Romanen wie „Hotel Baalbek“,
während seine aus Wien mitgekommene Frau Maxie eine völlig neue literarische
Form abseits des Mainstream schuf: „Guten Morgen, Du Schöne“ nannte sie einen
Report mit Frauenmonologen. Aus gutbürgerlichen jüdischen Elternhäusern schon
als Kinder vertrieben, unterdes zu Autoren geworden, kamen auf dem Umweg einer
Reise um die halbe Welt Walter Kaufmann und Fred Reichwald nach Kleinmachnow.
Der eine ist noch heute auf dem Gebiet der Reportage unschlagbar. Der andere
starb nach mit großem Elan begonnenen Versuchen auf dem Gebiet der
Fernsehdramatik 1963, gerade erst 41-jährig. Übrigens war Kleinmachnow offenbar
gerade für Remigranten von der britischen Insel besonders attraktiv. Josef
Winternitz, im deutschsprachigen jüdischen Prag als Professorensohn
aufgewachsen und führender marxistischer Theoretiker, lebte kurz hier, ehe er
nach London zurückging. Den Streit mit stalinistischen Widersachern beendete
sein Tod 1952. Oder die Schauspielerin Betty Loewen vom „Berliner Ensemble“
Bertolt Brechts. Sie hatte schon beim „Deutschen Kulturbund“ in London Theater
gemacht. Oder der Bariton Horst Jakob. Als jüdisches Kind 1938 den Verfolgern
entkommen, fand er in Kleinmachnow eine neue Heimat. Wir erlebten ihn hier als
charmanten Interpreten französischer Chansons.
Harald Kretzschmar wurde 1931 in Berlin geboren. 1950 bis 1955 Studium an der
Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig. Seit 1955 Mitarbeiter beim
„Eulenspiegel“ und Kleinmachnower. Karikaturen in der Ausstellung „Geteilt –
Vereint" im Haus der Geschichte der Bundesrepublik.