Potsdamer Neueste Nachrichten 10.03.05

Rücktritt wegen "Geschichtsfälschung" gefordert

CDU-Gemeindevertreter Fred Weigert spricht vom 8. Mai 1945 als Tag der Eroberung – SPD und Grüne sind entsetzt

Von Peter Könnicke

Kleinmachnow - Wie weit darf man in der Differenzierung um den 8. Mai als Tag der Befreiung oder als Tag des Kriegsendes gehen? In Kleinmachnow wird die Frage jetzt öffentlich und politisch debattiert, ausgelöst durch einen Brief des CDU-Gemeindevertreters Fred Weigert. Darin macht er dem bündnisgrünen Kreistagsabgeordneten Axel Mueller zum Vorwurf, dass dieser als Vorstandsmitglied des Heimatvereins öffentlich den Begriff der Befreiung gebrauche. „Die Ulbrichtsche Reminiszenz“, so Weigert, sei ausschließlich privat gestattet. Ansonsten sollte sich ein Mitglied des Heimatvereins überparteilich und ohne „politische Zuordnung“ verhalten.

„Stalins rote Horden haben weiß Gott nicht vom Faschismus befreit“, so Weigert. „Sie haben erobert. Niedergeknüppelt, geschunden und jahrzehntelang ausgebeutet haben sie uns“, so der Tenor des Vize-CDU-Ortschefs. „Sie haben eine schreckliche Ideologie durch eine ebenso schreckliche ersetzt.“ Die Deutschen, so Weigert, „sind im vorletzten Teil des Europäischen Bürgerkrieges tragisch gescheitert“. Sie könnten ihre Schuld nicht dadurch ablegen, „indem sie sich von Teilen ihrer Gesellschaft lossagen und als scheinbar reuige Sünder mit ihren Eroberern verbünden“, agitiert Weigert in seinem Brief.

Mueller erklärte, ihn habe diese Haltung so „betroffen gemacht“, dass er es korrekt finde, sie öffentlich zu machen. Er nennt Weigerts Anschauung eine „ganz gefährliche Relativierung“ und eine „äußerst fragwürdige Haltung“. Die Ansichten Weigerts, der selbst Vorstandsmitglied im Heimatverein ist, stelle nicht nur den Verein vor eine Zerreißprobe. „Es ist eine Bewährungsprobe für die gesamte Gemeinde, so etwas nicht zu dulden“, befindet Mueller.

Ähnlich sieht es SPD-Ortschef Frank Nägele. Er wirft Weigert „grobe Geschichtsfälschung“ und „revanchistisches Gedankengut“ vor. Die Äußerungen seien weitaus bedenklicher als die in den vergangenen Wochen heftig umstrittene Forderung der CDU/FDP-Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf um das Gedenken zum 8. Mai. In einem Beschlussvorschlag forderte diese Fraktion, den 8. Mai 1945 auch als Tag zu verstehen, an dem neben der Befreiung vom Naziregime auch des Leids gedacht werde, das die Rote Armee gegenüber der Bevölkerung zwischen Ostpreußen und Berlin zu verantworten habe. Der Vorschlag hatte innerhalb der Berliner CDU heftige Kontroversen und Kritik anderer Parteien ausgelöst. Nun soll in einem revidierten Beschluss die deutsche Verantwortung am Zweiten Weltkrieg klarer betont werden.

Für Nägele sind Weigerts Äußerungen erheblich brisanter und nicht tragbar für einen Gemeindevertreter. Er fordert Weigert auf, sein Mandat niederzulegen.

Für Kleinmachnows CDU-Chef Maximilian Tauscher ist diese Forderung „Unsinn“ und das Schreiben seines Partei- und Fraktionskollegen zunächst ein „innerer Vorgang des Heimatvereins“. Er sieht den „Stil der Auseinandersetzung“ dem Disput zwischen Mueller und Weigert geschuldet, wenngleich Tauscher einräumt „mit der ein oder anderen Wortwahl nicht glücklich“ zu sein. Dass Mueller es für notwendig hielt, Weigerts Brief öffentlich zu machen, nennt Tauscher eine „übersteigerte Schadensverhütungsmentalität“. Vielmehr hält es der CDU-Ortschef für zulässig, „eine differenzierte Betrachtung anzustellen“, die aus unterschiedlichen Erfahrungswerten resultiert. Tauscher könne nur zustimmen, wenn Weigert dabei ein wertfreies und unpolitisches Agieren des Heimatvereins verlangt.

Weigert selbst findet es unerhört, dass sein Brief an Mueller öffentlich diskutiert und aus dem Zusammenhang eines persönlichen Disputes gerissen werde. Er hält Mueller ein „antiquiertes Sendungsbewusstsein“ und „verstaubte Ideologien“ vor, wenn dieser den 8. Mai einen Tag der Befreiung nennt. Gleichzeitig verlangt der 55-jährige CDU-Politiker einen „sensiblen und feinfühligen“ Umgang mit der Thematik. Als Beispiel, „wie man sich mit schwierigen Themen angemessen auseinandersetzen kann“, empfiehlt Weigert den Aufsatz „Niederlage - Befreiung“ von Karlheinz Weißmann, der im Januarheft der „Sezession“ erschienen ist.

Zeitschrift und Autor sind dem Verfassungsschutz keine Unbekannten. Die Verfassungsschützer in Nordrhein Westfalen (NRW) sehen den Historiker Weißmann als einen „Protagonisten der Neuen Rechten“. In der NRW-Verfassungsschutz-Dokumentation „Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie“ wird die Zeitschrift „Sezession“ als „Sprachrohr des neurechten ’Instituts für Staatspolitik’“ gesehen. Weißmann ist Mitbegründer dieses Instituts. Er gilt als ideologischer Kopf des Instituts, das als Bildungsschmiede für den konservativen und rechten Akademikernachwuchs gesehen wird. Die „Sezession“ kooperiert eng mit dem rechten Blatt „Junge Freiheit“ und hat, wie die am gleichfalls rechten Rand erscheinende „criticón“ im Vorjahr bedauerte, bislang lediglich Einfluss auf „rechtsintellektuelle Kreise“. Artikel des von Weigert empfohlenen Weißmann erschienen im „Index“ der Neonazi-Organisation „Nationalen Liste“, die 1998 als verfassungswidrig verboten wurde.

Nicht alles, was Weigerts Brief beinhaltet, „muss man billigen“, meint Kleinmachnows CDU-Fraktionschef Ludwig Burkardt. Doch in erster Linie sei die Auseinandersetzung im Heimatverein zu führen. Axel Mueller als Adressat des Briefes, sieht das anders. Gerade weil der Heimatverein aufgefordert sei, sich politisch neutral zu verhalten, obliege die politische Wertung der gemachten Forderungen und offenbarten Ansichten anderen.