Potsdamer Neueste Nachrichten 28.02.05
Künstlerischer Denkanstoß
Mit einer gefeierten
Inszenierung vom Jasager und Neinsager wurde Kleinmachnows Bürgersaal
eingeweiht
Kleinmachnow – Nach wie vor taugt Brecht als Stein des Anstoßes. So auch am
Samstag, zur feierlichen Eröffnung des ausverkauften Bürgersaals im
Kleinmachnower Rathaus, zu der das Doppelstück von Kurt Weill und Bertolt
Brecht „Der Jasager“ und „Der Neinsager“ aufgeführt wurde.
Keine üppige Blumendekoration für festliche Reden empfing die geladenen
Ehrengäste, statt dessen sahen sie auf eine schwarze Bühne, aus der ein Stuhl
emporragte. Zur Verfremdung im Brechtschen Sinne gehört es, einem Vorgang das
Selbstverständliche und Bekannte zu nehmen. Und so schien das Schwarz anfangs
alles zu schlucken, was sich auf der Bühne bewegte. Kurz und knapp fiel dann
auch Bürgermeister Wolfgang Blasigs Begrüßung aus. Er bezeichnete die
Aufführung als Abenteuer, eines das Zeichen setzen solle für ein reges Leben in
dem Saal, an dem vorerst noch der Name „Bürgersaal“ zu lesen ist. Doch weil an
so einem Tag alle irgendwie das Beste hoffen, ist nicht auszuschließen, dass
sich noch Mehrheiten finden werden für die Namensweihe „Kurt-Weill-Saal“.
Absichtsvoll vor diesem Hintergrund auch die Wahl des Stückes, das alte
Konventionen hinterfragt und dafür plädiert „in jeder neuen Lage neu
nachzudenken“. Brecht adapierte für das Lehrstück einen Text des japanischen
No-Theaters. Erzählt wird die Geschichte eines Knaben (gespielt von Caroline
Seibt), der seinen Lehrer (Enrico Wenzel) auf einer Reise begleitet, um für
seine kranke Mutter Medizin zu besorgen. Aber unterwegs erkrankt der Knabe und
einem Brauch zufolge akzeptiert er, ins Tal geworfen zu werden. Im Jasager
antwortet der Knabe gemäß des Brauches und opfert sich, damit die Reisegruppe
weiterziehen kann. Doch das „Ja“ des Knaben wirkt eingeschüchtert durch den
Basso profondo des Chores. Im Neinsager dagegen rebelliert der Knabe gegen
seine Opferung. Denn wer A gesagt habe, müsse nicht zwangsläufig B sagen, führt
er den alten Brauch ad absurdum. Auch auf das Publikum richten sich die
Deckenscheinwerfer als sich die Lage zuspitzt. Der Raum des Lehrstücks wird so
zum gemeinsamen Erfahrungsraum. Denn für den Stückeschreiber war Theater stets
eine öffentliche Angelegenheit, bei der das Publikum mitwirken soll, auch weil
Brecht vor allem die Haltung des Zuschauers ändern will. Lang anhaltender
Beifall am Ende des Stückes für Chor, Orchester und Solisten der evangelischen
Kantorei unter Leitung von Karsten Seibt. Der starke Ensembleauftritt überzeugte
nicht nur musikalisch, sondern ebenfalls als Schauspiel. Für letzteres
zeichneten Antonia Braun und Bernhard Hanuschik verantwortlich, beide traten
auch im zweiten Teil des Stückes auf: ein heftiger Dialog gegen Dogmen und
falsches Heldentum.
Angetan von der Inszenierung zeigten sich nach der Aufführung viele Gäste wie
Juliane Stephan, Theaterleiterin der Musikschule. Sie war begeistert von den
professionellen Akteuren und vom Saal, „weil der Raum nicht die Form
aufzwinge“. CDU-Gemeindevertreter Fred Weigert lobte die gelungene Aufführung
und wertete den Abend als „positives Signal für die Zukunft“. Gunnar Hille sah
es als Stück, dass für Gewissensfreiheit plädiert. „Dogmen müssen hinterfragt
werden, das trifft auch für die Kommunalpolitik zu“, so Hille. Parallelen zur
Gemeindepolitik sieht auch Ortsparlamentarier Bernd Pape, allerdings glaubt er
nicht, dass deren Vertreter Lehren aus dem Stück ziehen werden. Hubert Faensen,
der einst als Kulturausschuss-Chef das Vorhaben beförderte, hofft dagegen noch auf
den „Prozess der Vernunft“, den Brecht anregen wollte.
Als spannende Inszenierung bezeichnete das Stück der Kulturbeauftragte der
Partnerstadt Schopfheim, Michael Herrmann. Selbst Musiker, beeindruckte ihn die
Akustik des Saals, die durch die raumhohen Vorhänge gut gelöst sei. „Zieht Ihr
die Vorhänge bei Sitzungen zurück, damit die Bürger euch sehen können“, wollte
der Schopfheimer Karl Selz von den Kleinmachnowern wissen. „Ja, aber wir haben
natürlich Jalousien“, so die prompte Antwort. Kirsten Graulich