Potsdamer Neueste Nachrichten 01.12.04
Auf halbem Weg
Beim SPD-Gespräch über 15 Jahre Mauerfall wurden Fehler benannt und neue
Wege gesucht
Kleinmachnow - Wenn Wissenschaftler ihre Labore verlassen und in die Welt hinausgehen,
entdecken sie oft erstaunliche Dinge. So zumindest das Klischee. In den
vergangenen Tagen ist Kleinmachnow oft als „Laboratorium der Einheit“
aufgefasst worden, weil die Ost-Gemeinde 15 Jahren nach dem Mauerfall zur
Hälfte aus ehemaligen Bundesrepublikanern besteht. Nun machte sich am
Montagabend von hier eine Runde auf, die Lupe herumzudrehen, wie es SPD-Ortschef
Frank Nägele formulierte, und von Kleinmachnow eine Analyse Gesamtdeutschlands
zu wagen.
Die Ausgangsposition war gut, wenn man Martina Weyrauch, Chefin der
Landeszentrale für politische Bildung, glauben durfte: In Berlin und
Brandenburg hätten die Menschen sich sehr intensiv mit der Vereinigung
Deutschlands auseinander gesetzt. Wenn sie in den Westen komme, stelle sie
fest: „Die Leute fühlen sich als Zuschauer.“ Stephan Hilsberg,
Bundestagsabgeordneter der SPD, klang da weniger optimistisch. Es sei nicht
gelungen, genügend Leute im Osten für die Demokratie zu begeistern. Als Beweis
führte er die Zahl der SPD-Mitglieder in Brandenburg an: gerade mal 7000.
Hilsberg hat 1989 in Schwante die SDP
mitbegründet. Nach der Wende hat er erlebt, wie den Wende-Protagonisten die
Zügel aus der Hand genommen wurden. Freundlich sei man aufgenommen worden im
Bundestag. Aber dass dort der Mauerfall als ein Wunder bezeichnet wurde, das
fand er entmündigend. Dann wurden Straßen umbenannt, bekannte Waren
verschwanden aus den Regalen, die DDR-Bürger fanden im Bus den Halteknopf nicht
mehr. Martina Weyrauch hat diese Veränderungen erlebt und glaubt, dass sie
viele enorm verunsichert haben.
PNN-Redakteur Peter Könnicke moderierte den Abend im Sportforum und las eine
Kolumne vor, in der er über seinen 9. November sinnierte, den er als Läufer in
einem Leistungssportzentrum verbrachte. Er weinte seinem ersten Paar
Adidas-Schuhe nach, das ihm gerade gestohlen worden war. Den heutigen
SPD-Landtagsfraktionssprecher Florian Engels, Bayer und seit 1990 in
Brandenburg, überraschte an der Geschichte, dass es in der DDR Anlagen gab, in
denen sich die Höhenluft von Mexiko-City simulieren ließ: „Ich dachte, so was
hätte es nur im Westen gegeben“, so sein selbstkritisches Eingeständnis. Es
blieb nicht das einzige Missverständnis des Abends. Engels wehrte sich gegen
den Gemeinplatz der Nordrheinwestfalen, die mit ihren ganzen Gesetzen in die
neuen Bundesländer gekommen seien. Die Macht der Beamten sei gar nicht so groß.
„Solche Bilder sind gefährlich, sie verstärken das Mauerdenken nur.“ Er selber
war in den 80ern drei Monate im Stasi-Gefängnis, weil er auf einer DDR-Reise zu
viel fotografiert hatte. 1990 kam er zurück und wurde Pressesprecher von
Bündnis 90 in der ersten frei gewählten Volkskammer.
Immer Ost gegen West, einem Zuhörer war das zu einseitig. Die Unterschiede
zwischen München und Flensburg seien auch beträchtlich. Nach Ansicht von
Martina Weyrauch ist dagegen die Ost-Identität der Menschen unterschätzt
worden. Sie selber hat sich in den letzten Jahren mit der Frage beschäftigt,
wie eine Brandenburger – und letztlich eine deutsche – Identität aussehen
könnte: „Es hat Sachsenhausen gegeben, aber auch den Pfarrer Braune aus Lobetal,
der viele behinderte Menschen vor der Euthanasie bewahrt hat.“ Statt Ostalgie-Shows
zu gucken sollte man sich besser mit den eigenen Wurzeln befassen. Sie erzählte
von ihren Urgroßeltern, deren Grab sie zusammen mit ihrer Oma erst in diesem
Jahr entdeckt hat. Sie kann es jeden Tag sehen – es liegt gegenüber von ihrem
Büro.
Am Ende zogen die Diskutanten – nach manch kritischer Analyse – jeder für sich
doch eine positive Bilanz der vergangenen 15 Jahre. Gastgeber Frank Nägele
lenkte den Blick schließlich noch einmal auf den eigenen Ort und die
Zwietracht, die manche hier sehen: „Beim Freibad kämpfen nicht die Erbauer
gegen die Modernisierer.“ Da hätten sich Bürger zusammengefunden, die das Bad
gemeinsam bewahren wollen. Volker Eckert