Potsdamer Neueste Nachrichten 26.08.04
Mehr als eine Brücke
Über 100 Schaulustige verfolgten gestern den ersten Teil des Brückenschlages
über den Teltowkanal
Von Peter Könnicke
Kleinmachnow - Beinahe ehrfüchtig tritt die Masse beiseite. Mit angespannter
Miene bahnen sich die Männer ihren Weg, Schweiß auf der Stirn, der Blick
konzentriert. Für einen Moment unterbrechen sie ihre Mission, kommen auf die
andere Seite des Zauns und verschwinden unter Blicken der Anerkennung. Zur
Frühstückspause.
Morgens halb zehn in Kleinmachnow. Der
Bau der Schleusenbrücke wird zum gut besuchten Schauspiel. Der Teltowkanal ist
die Bühne, Brückenbauer sind die Hauptdarsteller, Stahnsdorfer und
Kleinmachnower das Publikum. Der Fuß- und Radweg, der über die altehrwürdige
Schleuse führt, gerät zum Logenplatz. Die Uferböschungen links und rechts des
Kanals sind gut besuchte Ränge. Die Vorstellung ist gratis, einziger Nachteil:
Es gibt nur Stehplätze. Aber wer Zeit für die komplette Aufführung hat, kommt
mit Campingstuhl.
So mancher Kran hat sich in der Vergangenheit in Kleinmachnow gedreht, aber
keine Baustelle hat so viel Aufmerksamkeit erfahren wie gestern das Aufgebot an
schwerer Technik, die sich vor der Schleuse, dem Wahrzeichen des Ortes,
aufgetürmt hat. Weit über hundert Schaulustige wurden Zeuge, wie die ersten
beiden Brückensegmente über den Kanal schwebten, um sanft auf ziegelroten
Pfeilern aufzusetzen. Seit gestern ist Stahnsdorf Kleinmachnow ein Stück näher
gekommen. Zur Hälfte ist der Brückenschlag vollbracht. Am Freitag wird der 650
Tonnen schwere Kran die Seiten gewechselt haben und von Kleinmachnow aus den
Zusammenschluss vollenden.
Selbst die „Stadt Potsdam“ bekommt eine Nebenrolle in dem Vormittagsstück. Der
Ausflugsdampfer hat eine Seniorengruppe an Deck, die Passage des Schiffes sorgt
für Ablenkung beim Baustellen-Publikum, während die Hauptakteure Pause machen.
Der weiße Havelliner verschwindet im Dunkel der Mittelkammer der Kleinnachnower
Schleuse, für die der Brückenbau so etwas wie ein Vorbote ist. Der
Schlussakkord für den Bau der Überführung ist das Startsignal für den Ausbau
der Schleuse. Noch wehrt man sich nicht nur in Kleinmachnow gegen die Pläne,
die Schleuse in einer Dimension herzurichten, dass 180 Meter lange
Schubverbände durchpassen. So große Schiffe, heißt es, werden hier kaum
verkehren. Beim Bund indes, der sowohl Brücke wie auch Schleuse baut, finden
diese Vorbehalte bislang kein Gehör.
Vor mehr als zehn Jahren rammte ein Frachtkahn einen Pfeiler der alten
Schleusenbrücke, die seitdem für den Autoverkehr gesperrt ist. Es muss ein
tiefer Einschnitt in die Gewohnheiten der Kleinmachnower und Stahnsdorfer
gewesen sein, weshalb das Einschweben der beiden Brückenteile mehr als ein
bautechnischer Akt ist. Die Brücke ist mehr als die Verbindung zweier Orte. Sie
schließt eine Lücke in der Kleinmachnower Seele. Sie klebt eine zerrissene
Seite im Geschichtsbuch des Ortes. Vor allem die Alten, die gestern die
Frühstückspause mit Erinnerungen überbrückten, verbinden mit dem Weg über den
Kanal ein Stück ihrer Lebenszeit. Auch die junge Frau, die etwas abseits am
Kanalufer sitzt und „einen letzten Urlaubstag genießt“, weiß um den
historischen Augenblick: „Eine Brücke baut man nicht jeden Tag.“
Als die Brückenbauer zum zweiten Akt des Tages die Bühne betreten, geraten sie
in den Fokus zahlreicher Kameras der Zaungäste. Gespannt wird jeder Handgriff
verfolgt, auch wenn aus der Ferne nur zu erahnen ist, was die Männer tun. Vier
Seile werden an dem zweiten Brückensegment befestigt. Ungeduldig wird darauf
gewartet, dass sich die Seile endlich straffen, das Brückenteil den Boden
verlässt, dass sich die Handarbeit der Männer erschöpft und nur noch die Kraft
der Maschinen zählt. Man erwartet, dass so etwas Großes lautstark über die
Bühne geht, doch fast lautlos zieht der Kran seine Last in die Höhe. 40 Tonnen
wiegt der zweite, etwas kleinere Brückenabschnitt. Etwa zwei Stunden zuvor
schwebten 112 Tonnen über dem Kanal, ein Gewicht von etwa 112 Pkw. Langsam
befördert der Kran seine schwergewichtige Lieferung über den Kanal, einen
Moment verharrt das stählerne Paket im Schwebezustand, bevor es zwei
Brückenpfeiler in Empfang nehmen. Wie ein riesiges Puzzleteil fügt sich das
40-Tonnen-Segment an seinen Vorgänger. Das schwarze Ende muss bis morgen auf
Anschluss warten.