MAZ 19.09.09
POTSDAM - Pilzsucher finden im Wald nahe dem Güterfelder Eck oft ziemlich stinkende Exemplare: frisch abgefackelte Autos. Gestohlen, ins Unterholz gefahren und angesteckt, sieben davon in den vergangenen anderthalb Jahren. Die Polizisten stehen ratlos neben den rauchenden Wracks: Alle Fingerabdrücke sind verbrannt.
In Potsdam und dem nahen Umland wird fast jeden Tag ein Auto gestohlen. 2008 verschwanden von den in der Stadt Potsdam zugelassenen 83 000 Motorfahrzeugen 322 – die meisten Personenautos. In den Nachbargemeinden Teltow, Kleinmachnow, Stahnsdorf und Nuthetal kamen nochmal 73 Wagen weg. Die Polizei ist alarmiert: Im Umland wurden in der ersten Jahreshälfte 2009 bereits 56 Autos vermisst gemeldet. „Die klauen wie die Blöden – es ist ein Problem, wir kommen kaum hinterher“, sagt Kriminaloberkommissar Henry Rampfel, beim Polizeischutzbereich zuständig für Kraftfahrzeug-Kriminalität.
Die kriminelle Szene ist bunt gescheckt. Vom technisch hochgerüsteten Vollprofi bis zum Kneipenbruder mit Kfz-Kenntnissen – sie alle wildern in Potsdams Autobestand. Die feine Gesellschaft unter den Autoknackern hinterlässt kaum Spuren. „Diese Täter bekommen wir gar nicht – sie werden ab und zu von den polnischen Kollegen gefasst“, sagt Rampfel und lobt die Arbeit der Ermittler jenseits der Oder: „Die sind auf Zack.“ Auf Bestellung wird gestohlen: Audis, A4, A6, A8, und BMWs – vom 3er aufwärts. Erst in der Nacht zu Donnerstag verschwand in Groß Glienicke ein BMW-Geländewagen X5 im Wert von 60 000 Euro. Teure Volkswagen, etwa der Passat, führen ebenfalls die Orderlisten an, sogar Skodas sind beliebt.
Es darf auch ein bisschen mehr sein. Neulich erbeuteten Unbekannte in Kleinmachnow einen Bentley GTC im Wert von 250 000 Euro. Meist ungestört gehen die Kriminellen ihrem Handwerk in den baumreichen, weniger dicht bebauten Stadtteilen nach. Babelsberg führt die Liste der gefährdeten Wohngebiete mit 53 Diebstählen 2008 an. Ein anderes Geschäftsmodell verfolgt die VW-Bus-Connection: Sie bricht Modelle der Baureihen T4 und T5 auf – als geräumige und schnelle Fluchtfahrzeuge. In der ersten Jahreshälfte wurden knapp 23 Transporter gestohlen – zuletzt schlugen die Bulli-
„Freunde“ Mittwochnacht in der Mangerstraße zu. Ab und zu ist ein Mercedes-Sprinter dabei. In sechs Fällen verschwanden Transporter und Edelmotorrad gleichzeitig. Die Polizei stellt einen Zusammenhang her.
Dann ist da noch das Autoknacker-Prekariat. Betrunkene, Lichtscheue, Angeber – meist Söhne Potsdams. Sie haben es nicht auf den Stern auf der Haube abgesehen, sondern auf die kostenneutrale Spritztour. Für Ford Fiesta, VW Polo, Honda Civic, Fiat Punto und Opel Corsa sind sie sich nicht zu fein. Sie wollen ihre Freundin besuchen, Kumpels imponieren oder die Grenzen von Mensch und Material populärwissenschaftlich erkunden: „Einer ist einfach gegen ein Brückenfundament gefahren, um zu sehen, was passiert“, berichtet Oberkommissar Rampfel. Andere kacheln über Waldwege, üben Sprünge und Powerslides mit gezogener Handbremse. Ein solcher Versuchs-Fiesta landete vor einigen Wochen im Teltowkanal. Es hatte seine Schuldigkeit getan. 41 solcher Crash-Cars kamen seit Jahresbeginn in den Wohngebieten Stern und Drewitz weg.
Oft sind die Kleinwagen-Knacker nur auf der Suche nach einem neuen Außenspiegel oder Chromfelgen für ihr eigenes Vierzylinderchen. Viele tauchen schon im Polizeicomputer auf. „Von Fiesta und Co. kriegen wir manchmal einen“, sagt Kripo-Mann Rampfel.
Mit acht Sachbearbeitern stemmt sich die zuständige Polizeiabteilung gegen die Anzeigenflut. Dabei müssen die Beamten sich ebenfalls um aufgebrochene Garagen und eingeschlagene Seitenscheiben kümmern, sowie nebenbei noch mehr als 1600 Fahrraddiebstähle im Jahr aufklären. Im behördeninternen Ranking hat die Kfz-Abteilung die höchste „Fallbelastung pro Kopf“. Die Gewerkschaft der Polizei warnt: „Die Kollegen arbeiten hart an der Grenze des Möglichen“, so Vize-Landeschefin Petra Schäuble. Der von der Politik beschlossene Stellenabbau bei der Polizei raube ihr die Hoffnung, dass aus irgendeiner anderen Dienststelle Verstärkung kommen könne.
Wie kann also der Autobesitzer selbst vorsorgen, wenn die Ordnungshüter voll beschäftigt sind? „Kein Auto lässt sich völlig sichern – vielleicht in einer Garage mit drei Hunden drin“, sagt Henry Rampfel. Er hat beobachtet, dass viele Besitzer teurer Autos diese auf der Straße parkten, „weil in der Garage Fahrräder und Blumenkübel stehen.“ Aber Illusionen habe er keine. Selbst Lenkradkrallen seien für Profis kein ernsthaftes Hindernis. „Die Sägen notfalls die Speichen des Lenkrades raus“, sagt der Ermittler gegenüber der MAZ. Auch glaube er nicht, unter Straßenlaternen sei ein Auto sicherer als in der Dunkelheit.
Immerhin hat der Gesetzgeber vor einiger Zeit beim Strafrahmen nachjustiert. Wer ein Auto anzündet, um Spuren einer anderen Straftat zu verwischen, wird nun härter be-straft als für den Auto-Diebstahl selbst. Die Pilzsaison kann kommen. (Von Ulrich Wangemann)