MAZ 20.07.09

UNTERRICHTSAUSFALL: Kleinmachnow macht Schule

Erste Kommune stellt selbst Vertretungskräfte ein / Kritiker befürchten falsches Signal

Mit 1000.000 Euro aus dem Haushalt kämpft die Gemeinde gegen den Stundenausfall.

KLEINMACHNOW - Es ist ein Provisorium, ein Präzedenzfall und – dessen ist sich Wolfgang Kremer durchaus bewusst – eine Provokation. Und so betont er mit Nachdruck: „Das Land hat den Bildungsauftrag, und wir haben mit dieser Vereinbarung nicht vor, das Land aus diesem Auftrag zu entlassen.“

Von Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) soll ein Signal ausgehen ins Land, wie man mit Eigeninitiative dem Dauerärgernis Unterrichtsausfall begegnen kann. Was Wolfgang Kremer und seine Mitstreiter von der Elterninitiative „Kinder ohne Lehrer“ gemeinsam mit der Gemeinde und den Schulleitern auf den Weg gebracht haben, ist ein Novum in Brandenburg. 100 000 Euro fließen aus dem Gemeindehaushalt in einen Schulfonds, um selbständig und ohne den Weg über das Schulamt Aushilfskräfte zu bezahlen. Pensionierte Lehrer, Lehramtsstudenten oder Referendare sollen kurzfristig einspringen und die Klassen beaufsichtigen, wenn ein Lehrer erkrankt. Noten geben dürfen die Hilfslehrer nicht. Derzeit stellen die Schulleiter einen Pool von einsatzfreudigen Honorarkräften zusammen, die für 15 Euro Vertretungsfeuerwehr spielen sollen.

Die vom Bildungsministerium abgesegnete Vereinbarung ist das Ergebnis eines langen Kampfes der Eltern von Kleinmachnow, die seit Jahren engagiert gegen den Unterrichtsausfall zu Felde ziehen. „Die Schulleitungen sind ja bemüht, den Ausfall abzufedern“, sagt Elternaktivist Wolfgang Kremer. „Aber die Mittel und Wege sind erschöpft, das System operiert am Rande des Machbaren.“ Sowohl im Bildungsministerium als auch bei SPD und CDU sieht man die Lösung durchaus als Vorbild für andere Gemeinden. „Ich finde es gut, wenn Kommunen zusehends in Bildung investieren“, sagt die SPD-Bildungsexpertin Klara Geywitz. „Kleinmachnow hat eine sehr bildungsinteressierte Elternschaft und mehrere Millionen Euro Rücklagen. Da spricht nichts dagegen, wenn sie selbst Geld in die Hand nehmen.“ Ingo Senftleben, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sieht das ähnlich. „Es ist gut, wenn sich Schulträger, in dem Fall die Kommune, für Bildung engagieren“, sagt er. Dass es in Kleinmachnow so weit gekommen ist, liege auch in der Verantwortung der Schulämter, sagt er. „Es ist klar, dass Eltern Sturm laufen. Niemand hat auf den Unterrichtsausfall reagiert, weder das Schulamt, noch das Ministerium.“

Beide wissen jedoch, dass sich nicht jede Gemeinde eine eigene Vertretungsreserve leisten kann. Sie betonen auch, dass das Bezahlen von ordentlichen Lehrkräften Landessache sei und bleiben müsse. Genau das sehen aber die Lehrergewerkschaft GEW und die Linke durch den Präzedenzfall Kleinmachnow in Gefahr.

Für Gerrit Große, Bildungsexpertin der Linken, hat das Land längst einen Teil seiner Verantwortung abgegeben. „4500 Lehrerstellen wurden in der vergangenen Legislaturperiode eingespart, der Unterricht laut Stundentafel findet nicht mehr statt“, sagt sie. „Den Weg, den Kleinmachnow wählt, halte ich zwar für verständlich, aber für falsch. Es kann nicht sein, dass Kommunen, die finanziell besser gestellt sind, kommunale Gelder für originäre Landesausgaben einstellen.“ Auch GEW-Chef Günther Fuchs betrachtet das Modell Kleinmachnow „mit Sorge“ und verweist auf die mangelnde Lehrerausstattung, die sich vor allem im Speckgürtel bemerkbar mache. „Das ist der falsche Weg. Man kann in der Bildung nicht nach Kassenlage der Kommunen entscheiden.“

Laut Wolfgang Kremer haben sich schon andere Kommunen für den kommunalen Vertretungspool interessiert. Auch in Falkensee, wo die Situation an den Schulen in vielerlei Hinsicht vergleichbar ist, weiß man von dem neuen Modell. Doch Bürgermeister Heiko Müller (SPD) winkt ab. „Wir haben nicht vor, Aufgaben des Landes zu übernehmen“, sagt er. „Wenn wir überall dort, wo das Land seine Aufgaben nicht hinreichend wahrnimmt, mit kommunalen Mitteln gegenhalten würden, dann würde sich garantiert nichts ändern.“ (Von Torsten Gellner)

INTERVIEW: „Die Schulen sind am Limit"
Mit dem Bürgermeister von Kleinmachnow, Michael Grubert (Foto: MAZ), sprach Torsten Gellner.

Woher nehmen Sie die Vertretungskräfte?

Michael Grubert: Die Schulleiter suchen, nicht die Gemeinde. Die Direktoren haben mir signalisiert, dass sie schon ein, zwei Leute - pensionierte Lehrer - begeistern konnten. Andere kennen Lehramtstudenten, die mitmachen würden.

Wie dramatisch ist die Situation in Kleinmachnow?

Michael Grubert: Wir haben engagierte Eltern, sind eine wachsende, junge Gemeinde mit vielen Schülern. Was ja sehr schön ist. Aber die Schulen sind am Limit.

Hatten Sie schon Anfragen aus anderen Gemeinden?

Grubert: Indirekt: Aus der Regierung kam die Frage, ob wir meinen, das Modell sei auch für andere Gemeinden anwendbar. Aber bislang haben wir ja noch keine Erfahrung. Wir werden das Modell zum Jahresende auswerten.

 

MAZ 20.07.09

Torsten Gellner hält den Vertretungspool in Kleinmachnow für bedenklich

Prekärer Präzedenzfall

Es ist eine Premiere, auf die sie in Kleinmachnow gerne verzichtet hätten. Das Stück, das vom kommenden Schuljahr an geboten wird, erzählt von Wut, Verzweiflung, aber auch von Eigenverantwortung und Optimismus. Die Eltern haben genug vom ständigen Unterrichtsausfall. Auch die Gemeinde hat gemerkt, dass von Seiten der Landesregierung keine kurzfristige Abhilfe gegen das seit langem bekannte Problem zu erwarten ist. Also haben sie selbst die Regie übernommen. In einem bislang beispiellosen Akt will die Gemeinde zum nächsten Schuljahr selbst Personal einstellen, um dem Unterrichtsausfall zu begegnen. Das Engagement, das fürs Erste 100 000 Euro kostet, ist sicher verständlich. Doch auf Dauer kann es nicht sein, dass Gemeinden die Versäumnisse der Landesregierung ausbaden müssen. Zumal nicht jede Kommune mal eben 100 000 Euro für Vertretungskräfte locker machen kann. Mit dem Geld werden Löcher ohnehin nur provisorisch gestopft. Die Hilfslehrer, so engagiert und erfahren sie sein mögen, dürfen keine Noten geben. Sie sind ein notdürftiger Ersatz. Und das Beispiel Kleinmachnow ist eines, das keine Schule machen sollte. 5