MAZ 16.05.09
Nie ist die innerdeutsche Grenze sinnfälliger
beseitigt worden: Aus dem Übergang am Teltowkanal in Dreilinden wurde ein
Campingplatz. Mit dem Mitbegründer Klaus Hettler (69)
sprach Ulrich Wangemann über die Wendeeuphorie, die Wassersperre und Offiziere
auf Jobsuche.
MAZ: Ein Campingplatz auf dem
Gelände eines Grenzübergangs: Hatte der Realsozialismus diesen grausamen Todesstoß
verdient?
Klaus Hettler:
Hatte er. Hinter der Standortwahl stand aber kein höherer Plan. Eigentlich
wollten wir den Platz am Machnower See eröffnen,
unterhalb der Hakeburg. Aber nachdem wir angefangen
hatten, die ersten Bäumchen zu fällen, verhängte die Gemeinde einen Baustopp.
Man schlug uns im Februar 1990 die Grenzstation am Teltowkanal vor. Dort
standen ja keine Bäume.
Waren sie sicher, dass die Grenze verschwinden würde?
Hettler:
Nicht nur die Grenze, auch meine Arbeitsstelle. Beim Geräte- und Reglerwerk
Teltow war ich in der Materialprüfung tätig, entschied am Schreibtisch über
Produkte für den Weltmarkt – die brauchte plötzlich keiner mehr. Ich war 50,
hatte zwei Kinder, war verheiratet und hatte kein Vermögen. Mir war klar, ich
musste meine Zukunft selbst in die Hand nehmen. Mir lief Wolfgang Lange über
den Weg, der wie ich zur See gefahren war. Er war bei der Defa,
als Festangestellter hatte er dort keine Zukunft mehr. Wir haben gemeinsam
Ideen gewälzt.
Als sie zum ersten Mal am Zaun der Grenzstation
standen, fühlten Sie sich nicht ein wenig respektlos?
Hettler:
Ich spürte keine Hemmung, die Klingel zu betätigen. Wir haben aber schnell
mitbekommen, dass die Grenzsoldaten mit Herzblut an ihrer Station hingen. Sie
gingen mit geschwellter Brust über den Platz. Der Oberstleutnant hatte die
Vorstellung, dass die Grenze noch eine Weile bestehen würde. In welchem
Zustand wurde Ihnen das Haus übergeben?
Hettler:
Es war erschreckend, wie man sich eingeigelt hatte. Alles war vergittert und
verrammelt. Der Keller war voller Technik und einen richtigen Knast mit drei
Zellen gab es auch – jeweils 90 mal 90 Zentimeter groß mit Holzpritsche, nur
zum Sitzen. Der Raum war fensterlos, es gab nur Glasbausteine. Nebenan war das
Verhörzimmer. Wir haben später Leute kennen gelernt, die da unten gesessen
hatten. Sie wollten wissen, was aus den Zellen geworden ist.
Und was ist draus geworden?
Hettler:
Eine Sauna.
Wer war im Keller des Grenzgebäudes – ihrer heutigen
Rezeption – inhaftiert?
Hettler:
Es waren Leute, die am Checkpoint Bravo, also an der Autobahn, festgenommen
worden waren. Die blieben eine Nacht und wurden dann nach Potsdam gefahren. In
unserem Keller war ein Zimmer, aus dem heraus der Transitverkehr auf der
Autobahn überwacht wurde. Der zuständige Nachrichtenmensch erklärte uns: Auf
den Transitraststätten – etwa in Michendorf – waren Stasi-Mitarbeiter
unterwegs, die sich unter die Reisenden mischten. Kam es zu Treffen oder
Warenübergaben, meldeten diese Informanten das an die Grenztruppen. Die
Reisenden wurden dann zielgerichtet rausgewunken. Der
verkabelte Informant hat die Nachricht über Funk weitergegeben – in diesen
Keller.
Sie haben auch Grenztürme übernommen.
Hettler:
Zwei kleinere wurden abgerissen, der große Turm blieb stehen. Es gab hier eine
Wassersperre, ein Wehr, das hydraulisch auf den Boden gesenkt wurde. Eine
Schiffslänge in Richtung Westberlin lag am Grund des Teltowkanals eine weitere
Sperre, von den Truppen „Kettenhemd“ genannt. Ein großmaschiges Stahlnetz, das
mit einer Winde strammgezogen werden konnte. Die Maschen waren so klein, dass
kein Mensch durchschwimmen konnte. Kurioserweise wurde das sogar noch kurz nach
der Wende erneuert.
Fiel den Grenzern der Abschied schwer?
Hettler:
Sie hingen an der Station. Als der Campingplatz Formen annahm und wir die
Pachtzusage hatten, kam ein hoher Offizier vom Kontrollpunkt zu mir und fragte,
ob wir einen Job für ihn hätten. Der Oberstleutnant seinerseits sagte, er würde
gern unseren Bootsverleih übernehmen. Ich sagte selbstverständlich ja, gemeldet
hat sich aber keiner von denen. Uns hat das sehr belustigt. Aber wir haben es
nicht gezeigt, denn uns war wichtig, dass wir sofort Bescheid bekommen, wenn
die Truppen das Gelände verlassen.
Warum die Eile?
Hettler:
Wegen der Randalierer. Wir haben nächtelang Wache geschoben. Die Leute zogen
los, um die Grenzstation platt zu machen – die meisten waren übrigens aus
Westberlin. Sie trampelten den Zaun nieder, zerschmetterten die Scheiben des
Turms. Wir haben Schilder aufgestellt, um darauf hinzuweisen, dass wir etwas
Neues aufbauen müssen – es hat wenig genützt.
Was haben Sie mit den Hundezwingern gemacht?
Hettler:
Teils haben wir sie zu Duschen und Toiletten umgebaut. In der Futterküche haben
wir Trockner und Waschmaschinen aufgestellt.
Sind Hunde auf dem Platz noch erlaubt?
Hettler:
Ja, wir können es uns nicht leisten, sie außenvor zu
lassen.
Wer war Ihr erster Camper?
Hettler:
Zigeuner mit sechs großen Wagen. Heute haben wir nur noch im Winter Zigeuner,
wenn wir kein Geschäft haben – da sind wir dankbar für Einnahmen. Nach den
Zigeunern kam ein älteres Ehepaar aus England. Unser Platz füllte sich schnell.
Berlin war zum Brennpunkt geworden, die Leute kamen aus aller Welt. Für uns war
es unfassbar schön und anstrengend.
Kleinmachnow wurde zum Brennpunkt wegen der
Rückübertragungen. Haben die Altbesitzer auch bei Ihnen gecampt?
Hettler:
Ja. Mir stellten sie viele Fragen über die Gemeinde, in der ich schon seit 1945
lebe. Es waren sehr unterschiedliche Temperamente dabei – von Zaghaften bis zu
Leuten, die die Rückübertragung ohne viele Worte und mit Verweis aufs Gesetz
erledigten wollten. Bei manchen waren wir fassungslos, wie man so mit Menschen
umgehen kann. Einige waren 14 Tage da, andere nur einen Tag für den Gang zum
Katasteramt in Potsdam.
Haben die Alteigentümer auch gezeltet?
Hettler:
Die kamen meist mit dem Wohnwagen. Eine feine ältere Dame aber, die
geschmackvollen Schmuck trug, zeltete.
Bereuen Sie, so viel von den
alten Grenzeinrichtung weggeworfen zu haben?
Hettler:
Nein. Wir sind hier groß geworden und waren sehr froh, dass es mit der Grenze
vorbei war. Wir müssen uns nicht jeden Tag diese Sachen anschauen. Raus aus
unserem Sinn! Wir wollten etwas Besseres, Menschenfreundlicheres machen.
Ihre und die Kinder Ihres Partners Wolfgang Lange haben
die Geschäfte 2008 übernommen. Haben Sie sich eine Dauerparzelle reserviert?
Hettler:
Nein, das lag mir schon zu DDR-Zeiten nicht. Meine Frau wäre auch nicht dafür.