MAZ 14.04.09

 

LEBENSMITTEL: Gar nicht aufgeblasen

Die Ostschrippe gibt es immer noch und sie ist auch bei Westdeutschen beliebt

KLEINMACHNOW - Auffallen ist seine Sache nicht. Es gibt nicht einmal den Hauch von Aufgeblasenheit. Ganz natürlich eben. Etwas blässlich vielleicht. Aber bodenständig. Geschmackvoll, wie viele sagen. Und einfach nicht totzukriegen: das Ostbrötchen. Oder wie Bäckermeister Peter Wese viel lieber sagt: „Das Brötchen nach alter Rezeptur.“

Der Bäcker aus Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) hat die Ostschrippe nie aus dem Sortiment genommen. Denn sie hat noch immer ihre Fangemeinde. 1500 Brötchen nach alter Rezeptur bringt die Brot- & Feinbäckerei Peter Wese täglich an den Mann. Daneben gehen 1500 ofenfrische Schrippen über die Ladentische der drei Filialen. Das ist die neuere, die westdeutsche Variante. Geschmäcker sind verschieden. Aber völlig unabhängig davon, ob der Brötchen-Gourmet aus den alten oder den neuen Bundesländern stammt.

Weses Frau Ilona berichtet davon, dass in die Filialen der Bäckerei immer wieder Kunden kommen, „die die Schrippe nach alter Rezeptur probieren wollen“. Kunden aus den westlichen Stadtbezirken Berlins oder den alten Bundesländern. Meist sieht Ilona Wese die Käufer wieder. Denn die Ostschrippe hat Eindruck gemacht und damit Bäckermeister Wese ziemlich überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass sie sich so gut hält.

Es gibt große Unterschiede zwischen den kleinen Teigteilchen. So kommt die Ostschrippe, die aus Mehl, Wasser, Salz, Fett und nur wenig Hefe besteht, fast ohne Triebmittel in die Gänge. Ganz im Gegensatz zur Westschrippe. Dementsprechend aufgeblasen kommt sie daher.

Auf dieses luftige Teilchen schwört beispielsweise Ursula Karbe. Ur-Stahnsdorferin. Langjährige Wese-Kundin. Bei den Ofenfrischen sei „nicht zu viel Teig drin, sie sind knusprig und haben einen sehr guten Geschmack“, lobt Karbe. Mit der Ostschrippe kann sie sich nicht mehr anfreunden. Außerdem ließen sich die Ofenfrischen sehr viel besser aufbacken, sagt die Dame und packt ihre Brötchen ein.

Das Aufback-Argument führt auch Andrea Rasch ins Feld. Sie schwört allerdings auf das Brötchen nach alter Rezeptur. Die Chefin eines Blumenladens gleich neben der Wese-Filiale in Stahnsdorf (Potsdam-Mittelmark) kauft regelmäßig ihre Ostschrippen bei Nachbars. Wenn die Brötchen zwei Tage alt sind – kein Problem: „Kurz unter den Wasserhahn halten, dann knallste die Brötchen auf den Toaster und alles is jut.“ Ofenfrische? Nie und nimmer. Wenn man die mit dem Messer aufschneide, bröseln sie einfach auseinander, meint die junge Frau. Die alte Rezeptur muss es sein. Ganz klar.

Zur alten Rezeptur gehört auch ein ganz besonderer Zusatz: Hellegold. Ein Malzmehl, das Wese zufolge für Geschmack und Bräune der Schrippe sorge. „Das hat jeder Bäcker im Osten genutzt“, sagt Wese, der seinen Betrieb 1986 eröffnet hat.

Hellegold kauft er bei der Teltomalz GmbH in Teltow (Potsdam-Mittelmark). Seit fast 100 Jahren bietet die Firma dieses Produkt an. Wer eine richtige Ostschrippe backen will, „der kommt an Hellegold nicht vorbei“, sagt Produktionsleiter Klaus Schubert. Teltomalz beliefert Bäckereien in ganz Ostdeutschland. Der Hellegold-Absatz sei gestiegen, sagt Schubert – ein Zeichen dafür, dass sich immer mehr Bäcker „auf die alten Dinge besinnen“.

„Alte Dinge“ hat Wese jeden Backtag vor Augen. Einen „Schnellkneter“ etwa. Das ist eine Maschine aus DDR-Zeiten. „Die war damals so wertvoll wie Goldstaub“, sagt der 58-Jährige und wirft das betagte Gerät an. Der Vorteil des Schnellkneters ist, dass er selbst noch in Stufe zwei langsamer den Teig bearbeitet als heutige Maschinen. „Damit können wir den Teig sehr schonend bearbeiten“, schwärmt Wese.

„Es gibt viele Bäcker, die Produkte nach alter Tradition herstellen“, so Nikolaus Junker, Geschäftsführer des Bäcker- und Konditoren-Landesverbandes. Der eine oder andere möge dabei mit der Bezeichnung „Ostschrippe“ werben. Mit Ostalgie habe das aber nichts zu tun. Das sei schlichtweg Kundenwunsch. Sie wollen dieses Brötchen haben, das übrigens nur eine von 80 hiesigen Sorten ist.

Bei Wese stehen rund 30 Brötchensorten zur Auswahl. Möhren-, Dinkel-, Kümmel-, Mehrkorn-, Käsespeckbrötchen und eben Schrippen nach alter und neuer Rezeptur. Die Brötchen werden auch unterschiedlich gebacken. Die Ofenfrischen kommen in einen Umluft-Ofen. Die Brötchen nach alter Rezeptur backen direkt auf der Herdplatte im Steinbackofen. Sie sind zwar „nicht so knackig“, erklärt Bäcker Wese. „Aber sie schmecken einfach besser.“

Ihre Vorliebe für die Brötchen nach alter Rezeptur hat den Weses schon bei manchem Urlaub Probleme bereitet. Die Schrippen fernab des eigenen Ofens sind ihnen meist zu trocken. Dann bleibt nur ein Ausweg: Weißbrot. (Von Ute Sommer)