MAZ 27.02.09
KLEINMACHNOW - Der Chef der Kleinmachnower Gemeindevertretung, Klaus Nitzsche, war laut einem Bericht der Berliner Morgenpost – entgegen bisheriger Behauptungen – Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
Der SPD-Mann bestätigte gestern gegenüber der MAZ, dass er unter dem Decknamen „Gerd“ geführt worden sei – er habe sich den Namen sogar selbst ausgesucht.
Anlass der Kontaktaufnahme war ein Forschungsaufenthalt Nitzsches (1977 bis 1979) am renommierten Joffé-Institut der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion in Leningrad. Der promovierte Wissenschaftler bereitete dort seine Habilitation zu Hochleistungswerkstoffen vor, wie sie im Flugzeugbau Verwendung finden.
Ein Amerikaner trat damals an Nitzsche heran. Nach MAZ-Informationen meldete der aufstrebende ostdeutsche Forscher dies dem sowjetischen Geheimdienst KGB, welcher den US-Bürger als CIA-Zuträger einstufte.
„Es stimmt, dass ich eine Erklärung zur Abwehr antikapitalistischer Geheimdienste in Leningrad gegenüber Mitarbeitern der DDR-Botschaft und des DDR-Konsulats abgegeben habe“, sagte Nitzsche gestern. Kleinmachnows erster Nachwende-Bürgermeister betont aber: „Die Erklärung hat mit einer IM-Tätigkeit nichts zu tun, sondern mit Auslandsspionage – das ist rechtlich ganz anders zu werten.“
Er sei „zu der Erklärung gedrängt worden“, so Nizsche. Außerdem sei er „sicher, dass ich auch eine CIA-Akte habe.“ Als Mitarbeiter des Instituts. das die sowjetische Atombombe entwickelt hat, „konnte ich mich den Kontakten mit ausländischen Geheimdienstmitarbeiter nicht entziehen“. Dass er Geld erhalten habe, treffe zu, so Nitzsche. „Mitarbeitern des Konsulats gaben mir Spesengeld für Reisen ins sozialistische Ausland – in die Tschechoslowakei und nach Ungarn.“
Was für den 68-Jährigen unangenehmer als die Agentengeschichte ist: Laut Morgenpost geht aus den mehr als 400 Seiten von Nitzsches Akte hervor, dass der Forscher nicht nur in seinen Leningrader Jahren Informationen mit der Stasi tauschte, sondern die Verbindung auch in Kleinmachnow bestehen blieb.
Einen Bericht über die Republikflucht zweier ehemaliger Vertrauter habe Nitzsche abgeliefert. Ferner habe der Heimkehrer der Stasi geholfen, einen Fluchthelfer ausfindig zu machen, so die Zeitung. Von Streitigkeiten im von Kleinmachnower Salonsozialisten und Künstlern frequentierten Joliot-Curie-Klub habe Nitzsche erzählt. Diese Schilderungen weist der Politiker von sich: „Alles Quatsch! Ich fühle mich für das, was MfS-Mitarbeiter an Papieren in der Akte hinterlassen haben, nicht verantwortlich. Von mir werden Sie nicht eine unterschriebene Akte finden!“
Offenbar erhoffte sich Nitzsche von der Zusammenarbeit mit der Stasi, für die er insgesamt zehn Jahre tätig war, eine Verbesserung seiner Lebensverhältnisse sowie einen Karriereaufschwung.
Innerhalb der Gemeindeverwaltung sind Geheimdienstkontakte Nitzsches seit langem bekannt. Zweimal wurde Nitzsche, der 1990 in die SPD eintrat, überprüft – einmal von der Gemeinde, einmal vom Kreis. In beiden Fällen kamen die Prüfkommissionen zu dem Schluss, dass nichts gegen eine Betätigung Nitzsches in der Kommunalpolitik spreche. Es bestehe Einigkeit, dass „nicht aus der ... Aktenlage hervor geht, dass ... anderen Personen konkret Schaden entstanden ist“, urteilte der Ältestenrat der Kleinmachnower Gemeindevertretung 2002. Unzweifelhaft ist, dass Nitzsche sich in seiner Verpflichtungserklärung ein Prüfrecht vorbehielt, welche Art von Aufträgen er annehmen werde. Dies gilt als unüblich bei „normalen“ Stasi-Verpflichtungen.
„Ich bin der Ansicht, es ist nichts Neues in den Akten“, sagte gestern Wolfgang Jordan, Bürgermeisterkandidat der FDP – er kennt die Nitzsche-Akten aus den beiden Prüfkommissionen. Nitzsche habe „keine typische IM-Tätigkeit“ ausgeübt. Jordans Partei, die Nitzsche 2008 als Gegenkandidaten zu CDU-Mann Maximilian Tauscher für den Posten des Ortsparlaments-Vorstehers vorgeschlagen hatte, will „erst Beweise sehen“, wie Fraktionschefin Cornelia Kimpfel sagte. Vorher sei sie zu keinem Urteil bereit. Ähnliches verlautet aus der SPD. „Ich werde beantragen, dass eine unabhängige Kommission eingesetzt wird“, sagte Fraktionschefin Susanne Krause-Hinrichs.
Zum Rücktritt forderte dagegen die CDU Nitzsche auf. „Wenn er klug ist, legt er sein Amt von selbst nieder“, empfahl Gemeinde- und Kreistagsvertreter Ludwig Burkardt. FDP und die freien Bürger von „WIR“ – sie hatten Nitzsche ins Amt gebracht – müssten sich „fragen lassen, welcher Teufel sie geritten hat“, so Burkardt. Auf Distanz zu seinem Parteigenossen geht auch Kleinmachnows Ex-Bürgermeister und neu ernannter Landrat Wolfgang Blasig. „Er hat über die handschriftliche Verpflichtung nicht die Wahrheit gesagt“, so Blasig. Nitzsche selbst will die Angelegenheit „offensiv angehen“. Er spricht von einer „Kampagne“. Rücktritt käme nicht in Frage. (Von Ulrich Wangemann)
MAZ 27.02.09
KLEINMACHNOW - Der erste Nachwende-Bürgermeister und derzeitige Chef der Kleinmachnower Gemeindevertretung, Klaus Nitzsche (SPD), war laut einem Bericht der „Berliner Morgenpost“ – entgegen bisheriger Behauptungen – zehn Jahre lang Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Eine unterschriebene Verpflichtungserklärung ist Teil der Akten. Nitzsche bestätigte gestern gegenüber der MAZ, dass er unter dem Decknamen „Gerd“ geführt worden sei – er habe sich den Namen sogar selbst ausgesucht.
Anlass der Kontaktaufnahme war ein Forschungsaufenthalt Nitzsches von 1977 bis 1979 am renommierten Joffé-Institut der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion in Leningrad. Nitzsche besteht aber darauf, dass er lediglich mit Auslandsspionage in Berührung gekommen sei. Für Berichte aus der Kleinmachnower Intellektuellen-Szene, die seine mehr als 400 Seiten dicke Akte füllen, sei er nicht verantwortlich.
Der Politiker sei von 1990 bis 1994 ein sehr populärer Bürgermeister in Kleinmachnow gewesen und habe sich eine „hohe Reputation“ erworben, sagte SPD-Generalsekretär Ness. Falls neue Erkenntnisse vorliegen sollten, müssten die Gemeindevertreter den Fall bewerten. Sie könnten Nitzsche abberufen. Die Kleinmachnower CDU forderte den Rücktritt. Stasi-Kontakte Nitzsches sind im Ort bekannt, allerdings in geringerem Ausmaß. Zweimal schon hatten Kommissionen den Fall begutachtet. (uw)