MAZ 12.02.09
POTSDAM - Es gehe schon längst nicht mehr darum, dass Stunden ausfallen, weil auch Lehrer unter Grippe leiden. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Adina De Nobile. Es gehe darum, dass in einer 7. Klasse nur noch zwei Stunden Mathe pro Woche unterrichtet werden, Kinder wochenlang ohne Klassenlehrer sind und mit dem Malen von Mandalas beschäftigt werden, anstatt sie auf Prüfungen vorzubereiten. Die Falkenseerin hat vier Kinder und die Nase voll. Was sie und andere Eltern erleben, sei nicht länger hinnehmbar.
„Das sind keine Einzelfälle“, sagt auch Wolfgang Kremer, vierfacher Vater und Sprecher der Elterninitiative „Kinder ohne Lehrer“ aus Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark). Beelitz, Brieselang, Nauen, Borkheide, Teltow, Wildenbruch, Schulzendorf, Königs Wusterhausen, Oranienburg, Neuruppin: Vielerorts formiert sich Widerstand gegen die Bildungspolitik des Landes. Rund 3500 Unterschriften, die am 25. Februar dem Landtag übergeben werden sollen, haben die Eltern bereits gesammelt. Sie protestieren damit gegen Unterrichtsausfall an Brandenburgs Schulen, den es laut Statistik eigentlich gar nicht gibt.
Gerade einmal 1,9 Prozent des Unterrichts fielen laut Bildungsministerium im zweiten Halbjahr 2007/08 ersatzlos aus. „Brandenburg steht damit im bundesweiten Vergleich nicht schlecht da“, sagt Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Die Eltern stören sich auch nicht an den 1,9 Prozent, sondern daran, dass die Schüler wegen Personalnotstands vielerorts in der Schule zwar „verwahrt“, aber nicht fachgerecht unterrichtet werden. Bei 563 747 Stunden stand im genannten Zeitraum die planmäßige Lehrkraft nicht zur Verfügung, meist wegen Krankheit. Von den 8,4 Prozent des Unterrichts, die auszufallen drohten, konnten laut Ministerium 6,5 Prozent durch die Ableistung von Minusstunden, Wegfall von Teilungs-, Förder- und Wahlunterricht, Mehrarbeit und das Zusammenlegen von Kursen kompensiert werden. Für das Ministerium ein normales Vorgehen, für die Eltern ein Missstand. Doch ein Krisengespräch zwischen Elternrat und Ministerium blieb bislang ohne Ergebnis (siehe Interview).
Auch Lehrer sind unzufrieden. 2007 hat Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) das vom Landtag abgesegnete Konzept „Verlässliche Schule Brandenburg“ vorgestellt. Darin ist festgelegt, dass Schulen ab diesem Schuljahr mit einem schulinternen Vertretungskonzept die Schülerbetreuung vom ersten Tag des Unterrichtsausfalls an sicherstellen sollen. „Wir geben uns große Mühe, aber unsere Möglichkeiten sind beschränkt“, sagt Heinz Bonorden-Lindner, Leiter des Lise-Meitner-Gymnasiums in Falkensee. Auch die häufigen Um- und Versetzungen von Lehrern seien ein Problem. Als Schulleiter sei er mehr mit „Krisenmanagement“ beschäftigt als mit pädagogischer Arbeit. „Wir versuchen, die zu kurze Decke irgendwie hin und her zu ziehen.“ Die vom Land eingeplante Vertretungsreserve von drei Prozent hält er für viel zu niedrig.
Lehrergewerkschaft GEW, Philologenverband, Landeselternrat, aber auch Grüne und Linke fordern eine Reserve von mindestens sechs Prozent. Zumal von den drei nur zwei Prozent an den Schulen ankommen, das heißt die Schulen erhalten zwei Prozent mehr Lehrerstellen als für den Pflichtunterricht nötig. Ein Prozent verbleibt bei den Schulämtern. Dort stehen keine Lehrer auf Abruf bereit, das Schulamt erhält vielmehr ein Budget, mit dem es im Notfall Lehrer „einkaufen“ kann. „Im laufenden Schuljahr ist es schwer, Fachlehrer zu finden“, räumt Breiding ein. Kein Bundesland könne es sich aber leisten, Lehrer zu parken, die Däumchen drehend auf ihren Einsatz warten. 17 bis 20 Millionen Euro pro Jahr würde es nach Berechnung des Ministeriums kosten, die Vertretungsreserve auf sechs Prozent zu erhöhen. Unterrichtsausfall sei zudem ein „Spiel mit vielen Unbekannten“ und entsprechend schwer zu managen.
GEW-Landeschef Günther Fuchs lässt das nicht gelten. Das Land habe versäumt, Personal vorausschauend zu planen. Das System sei so auf Kante genäht, dass bei der kleinsten Grippewelle das Chaos ausbreche. „Wir fahren auf Verschleiß“, sagt Fuchs. Ein Teufelskreis: Weil sie ausfallenden Unterricht kompensieren und mehr arbeiten müssen, werden Lehrer stressbedingt krank. Und wieder fällt Unterricht aus.
Mehr Lehrer hält Ingo Senftleben, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, nicht für zwingend notwendig. Vielmehr müsse die Vertretungsreserve komplett bei den Schulen verbleiben und diese ein Budget bekommen, um im Notfall Mehrarbeit von Kollegen finanzieren und externe Fachkräfte anheuern zu können. Klara Geywitz, Bildungsexpertin der SPD, sieht hingegen die Verantwortung bei den Staatlichen Schulämtern. Bei Unterrichtsausfall schnell zu reagieren, müsse dort oberste Priorität haben. „Das ist derzeit nicht überall der Fall.“ (Von Marion Kaufmann)