MAZ 26.07.08

 

GESCHICHTE: Mit der Straßenbahn nach Berlin

Die legendäre "96" schuf eine Verbindung von der Region Teltow in die benachbarte Metropole

REGION TELTOW - Bei der aktuellen Debatte um einen Schienenanschluss von Stahnsdorf und Kleinmachnow übersehen die Akteure, dass dieses Problem vor einhundert Jahren schon einmal auf der Tagesordnung stand – und gelöst wurde. Reste davon können unter anderem in der Stahnsdorfer Wilhelm-Külz-Straße unmittelbar am historischen Dorfplatz besichtigt werden. Dort sind Schienen zu erkennen, auf denen einst die legendäre Straßenbahn der Linie 96 von Lichterfelde über Teltow und Stahnsdorf bis zur Kleinmachnower Schleuse verkehrte. Ein ausrangierter Straßenbahnwagen, der etwas verloren an der Potsdamer Straße in Teltow steht, erinnert ebenfalls an eine Periode der Verkehrsgeschichte, die sich viele Einwohner wieder zurückwünschen.

Gründer und Besitzer der „Aktiengesellschaft Dampfstraßenbahn Groß-Lichterfelde – Seehof – Teltow“, die im Juli 1889 den Bahnbetrieb aufnahm, war Max Sabersky. Er war gerade dabei, seinen Gutsbesitz in Seehof zu parzellieren und für Neuansiedler attraktiv zu machen. Dazu gehörte ein öffentliches Verkehrsmittel, mit dem die Metropole gut zu erreichen war.

Die Wahl fiel auf eine Straßenbahn mit Anschluss an den Bahnhof Groß-Lichterfelde, dem heutigen Lichterfelde-Ost. 30 Minuten benötigten die Dampftriebwagen für die 5,2 Kilometer lange Strecke nach Teltow. Es kam vor, dass die leichte Steigung in Seehof erst im zweiten Anlauf geschafft wurde, der Popularität der im Volksmund spöttisch „Lahme Ente“ genannten Bahn tat dies aber keinen Abbruch.

Bereits zwei Jahre nach Eröffnung wurde die Strecke um 3,6 Kilometer nach Stahnsdorf verlängert, dort entstand ein Betriebshof, um die Wartung des größer gewordenen Fuhrparks sicherzustellen. Und auch die Weiterführung zur Machnower Schleuse im Oktober 1905 um weitere 1,7 Kilometer geschah auf Initiative der Aktiengesellschaft. Die preußischen Staatsbahnen hielten sich zurück und setzten bei der Erschließung des Berliner Umlands offenbar ganz auf Privatinitiativen.

Das änderte sich erst, als die kommunale Selbstverwaltung des Kreises Teltow mit dem Landrat Ernst von Stubenrauch an der Spitze Anfang des 20. Jahrhunderts einen kräftigen Schub erhielt. Grundbedürfnisse der Menschen, und dazu gehörten neben der Versorgung mit Wasser und Elektrizität auch Angebote des Nahverkehrs, sollten in staatliche Hände kommen. Der Weitblick Stubenrauchs ist bewundernswert. Bereits 1894 vergab er die Konzession für eine Linie von Groß-Lichterfelde nach Südende an die Firma Siemens & Halske, die dort erstmals eine elektrische Straßenbahn installierte.

Der entscheidende Schritt wurde dann am 1. April 1906 getan. Kurzerhand erwarb der Kreis Teltow das komplette Nahverkehrsnetz auf seinem Territorium für 1,45 Millionen Reichsmark, auch die „Lahme Ente“. Kurz darauf wurden die „Teltower Kreisbahnen“ elektrifiziert. Ihren Strom bezogen die Straßenbahnen aus dem Elektrizitätswerk des Kreises in Schönow, das im Zusammenhang mit dem Bau des Teltowkanals errichtet worden war.

Mit der „Stammbahn“ und dem Bahnhof Düppel-Kleinmachnow im Norden, der „Friedhofsbahn“ als S-Bahnverbindung von Wannsee nach Stahnsdorf und der elektrischen Straßenbahn war die Region Teltow auf mehrfache Weise mit dem Schienennetz Berlins verbunden. Eine 1911 geplante Straßenbahnlinie vom Bahnhof Zehlendorf über Kleinmachnow und den Zehlendorfer Damm zum Stahnsdorfer Hof hätte dieses Vorort-Netz sinnvoll ergänzt, ist aber nicht realisiert worden. Auch der S-Bahn-Ringschluss, der Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow verbunden hätte, blieb ein unvollendetes Projekt.

Der Zweite Weltkrieg und der Mauerbau 1961 haben dann sämtliche Schienenverbindungen von Berlin hinaus in die südwestlichen Vororte gekappt. Seit 2005 fährt immerhin wieder eine S-Bahn von Lichterfelde-Süd nach Teltow. Ansonsten erinnern allenfalls zugewachsene Trassen, verwunschene Bahnsteige und wenige Gleisreste an die einst sehr lebendige Nahverkehrsgeschichte am Teltowkanal.

Anhand von ins Bild gesetzten originalen Dokumenten oder Gegenständen berichtet die MAZ in loser Folge über historische Begebenheiten in der Region. (Von Jürgen Stich)