Märkische Allgemeine 21.05.08
STAHNSDORF - Noch bevor das Wahlforum der Märkischen Allgemeinen am Montagabend in der Mehrzweckhalle an der Heinrich-Zille-Grundschule in Stahnsdorf überhaupt begann, hatte sich Bürgermeisterkandidat Bernd Albers (Bürger für Bürger) bereits einer ganz anderen Frage zu stellen: Mädchen oder Junge? Ein Anruf seiner Ehefrau rief ihn nach Hause – die Wehen hatten eingesetzt. Gestern war klar: Es war ein falscher Alarm. Der Nachwuchs hält sich offensichtlich an die vereinbarte Ankunft am 19. Juni.
Soviel Zeit bleibt Albers und den vier übrigen Bürgermeisterkandidaten nicht mehr. Schon am 1. Juni sollen die Stahnsdorfer entscheiden, ob der Betriebswirt oder die Juristin Ruth Barthels (SPD), der Biochemiker Joachim Jankowski (FDP) oder der Mathematiker Rainer Rozanski (Linke) oder ob die Stahnsdorfer Bauamtsleiterin Ute Stelter (parteilos/CDU) künftig die Gemeinde Stahnsdorf führen soll.
Dass sich die vier anwesenden Bewerber wohl noch eingehender mit ihrem potenziellen Verantwortungsgebiet beschäftigen müssen, bewies ein kleiner Wissenstest über Stahnsdorf. Ruth Barthels blieb die Antwort nach dem größten Steuerzahler in der Gemeinde schuldig, vielleicht weil sie sich beim Handykauf nicht für das Mobilnetz von Vodafone entschieden hat. Joachim Jankowski unterschlug mit seiner Prozentschätzung fast die Hälfte der gegenwärtig 1180 Arbeitslosen in Stahnsdorf. Rainer Rozanski patzte bei der Frage nach dem Platz und der Liga der Basketballer im regionalen Sportverein, obwohl sein Nachbar genau dort mitspielt, und Ute Stelter erntete Protest der Stahnsdorfer SPD, weil sie Kurt Tucholsky auf den Stahnsdorfer Südwestkirchhof umbetten und dafür Rudolf Breitscheid des Friedhofes verweisen wollte.
Umso genauer sind die Zielvorstellungen der Bewerber in ihrem möglichen Amt. Ute Stelter möchte die erfolgreiche Arbeit von Bürgermeister Gerhard Enser (CDU) fortführen und eigene Akzente setzen, um das Gerücht von der Ziehtochter zu entkräften. So brauche Stahnsdorf-Ort ein eigenes Bürgerhaus, das Güterfelde, Schenkenhorst und Sputendorf längst haben. Bei der umstrittenen Bebauung am Beethoven- und am Annawäldchen setzt Stelter auf Kompromisse, weil die Gemeinde „Vermögen aktivieren (muss), um wieder Vermögen zu bilden.“ Dass sie damit der Bebauung das Wort rede, verneinte Stelter nicht ausdrücklich.
Für Rainer Rozanski sind die beiden vorgesehenen Horte an der Heinrich-Zille- und der Lindenhof-Grundschule finanziell eine „wirkliche Hausaufgabe“. Dazu brauche Stahnsdorf eine „finanzielle Solidität“ und dürfe „begangene Ungeschicklichkeiten nicht wiederholen“. Bisweilen klang der Linke erstaunlicherweise ein wenig wie Stahnsdorfs Sanierer, Bürgermeister Enser.
Auf die Frage an die angriffslustig auftretende Ruth Barthels nach ihrer Kenntnis der kommunalen Verschuldung geriet die Sozialdemokratin ein wenig ins Schlittern und musste sich von der Verwaltungsinsiderin Ute Stelter um einige Millionen korrigieren lassen. Stelter versuchte ohnehin, ihr Fachwissen voll auszuspielen, wobei sie sattelfest wirkte, mehrmals aber ins Bürokratendeutsch abdriftete („Bebauungsplan 26“).
Eine Rückzahlung von Fördermitteln in Millionenhöhe droht der Gemeinde, wenn sie nicht bis 2012 die Freifläche neben dem Gemeindezentrum entwickelt hat. Vielleicht will Stelter als Bürgermeisterin gerade darum das geplante dritte Gymnasium für die Region Teltow an dieser Stelle haben. Turnhalle, Sportanlage, Kita und das Gymnasium hätten auf dem Gelände durchaus Platz, zeigte sie sich im Wahlforum überzeugt.
Ihre SPD-Konkurrentin Barthels hat sich mit ihrem Genossen und Landrat Lothar Koch dagegen die Freifläche hinter dem Sportplatz des regionalen Sportvereins in der Heinrich-Zille-Straße ausgeguckt. Dann würde sich der Landkreis auch an den Kosten einer neuen Sporthalle für den RSV beteiligen, weil Sportverein und Schule die Halle gleichermaßen nutzen könnten. Als Sport- oder Musikgymnasium würde sich die neue Einrichtung gegenüber den beiden vorhandenen in Teltow und Kleinmachnow profilieren, ist Barthels überzeugt. Betrieben werden könne das dritte Gymnasium von einem Zweckverband, in dem sich der Kreis und Teltow, Stahnsdorf sowie Kleinmachnow das Stimmrecht zu 40 Prozent und jeweils 20 Prozent teilen. Zum Schuljahr 2009/2010 würde Ruth Barthels das neue Gymnasium eröffnen wollen.
Für Stelter wiederum „völlig illusorisch“, weil die Fläche in der Heinrich-Zille-Straße zum Außenbereich gehört. Allein das erforderliche Bebauungsplanverfahren dauere anderthalb Jahre. „Das soll mir der Landrat mal erklären, wie das gehen soll.“
Mit der Rolle des Außenseiters, der verwegene Gedanken und Wahrheitssplitter in den Raum wirft, fand sich FDP-Kandidat Joachim Jankowski ab. Als er Radfahren und biologisch-dynamische Lebensformen anpries, musste er sich die Frage gefallen lassen, ob er überhaupt für die richtige Partei antritt.
Was vielen Besuchern angenehm auffiel: Unter die Gürtellinie schlug niemand – der Umgangston stimmte. (Von Heinz Helwig)