Märkische Allgemeine 30.10.07
ULRICH WANGEMANN
KLEINMACHNOW Die Brandenburg International School in Kleinmachnow muss einen 19
Jahre alten Schüler wieder aufnehmen, den sie im Januar 2006 hinaus geworfen
hatte, weil dieser auf der Toilette Geschlechtsverkehr mit einer gleichaltrigen
Mitschülerin praktiziert hatte. Das hat das Oberlandesgericht in
Brandenburg/Havel beschlossen (Aktenzeichen 11 U 24/07). Kläger waren die
Eltern des Jungen.
Fabian – damals 17 Jahre alt – und seine Mitschülerin hatten im Januar 2006
während einer Freistunde auf der Toilette des benachbarten Grundschultrakts den
Akt vollzogen. Zwei Wochen später verhafteten Polizisten den Jugendlichen im
Unterricht. Zu diesem Zeitpunkt verdächtigten ihn die Ermittler, die junge Frau
vergewaltigt zu haben. Bald stellte sich heraus, dass beide Schüler
einvernehmlich gehandelt hatten – die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.
Die Schule hatte sofort den Vertrag gekündigt.
Das Gericht urteilte, dass der Familie Schadenersatz zusteht. Eine Summe steht
noch nicht fest. Sie wird vermutlich im fünfstelligen Bereich liegen, da Fabian
S. wegen des Schulverweises ein Jahr wiederholen musste – er besuchte eine
private Lehranstalt am Genfer See. Sein Anwalt beziffert den Schaden für die
Familie auf 90 000 Euro. Vertreter der Schule hatten an einem der letzten
Verhandlungstage argumentiert, die Eltern hätten Fabian nicht gleich auf ein
Internat in der Schweiz schicken können. In Niedersachsen gebe es eine
billigere Anstalt.
Laut dem elften Zivilsenat unter dem Vorsitzenden Richter Joachim Hütter stelle
Fabians Verhalten "keine derart gravierende Verletzung des Schulbetriebs
dar, die eine Kündigung rechtfertigen könnte".
Zwar sei, so die Richter, "die Ausübung sexueller Akte in den Räumen der
Schule eine grob fehlerhafte Verhaltensweise, die das Ordnungsgefüge einer
Schule nicht unerheblich in Mitleidenschaft zieht und die Ordnung in einem Maße
stört, dass die Schule Gefahr läuft, ihren Erziehungsauftrag nicht mehr
hinreichend zu erfüllen." Auch hätten Fabian und seine Begleiterin
"eine abstrakte Gefahr geschaffen, dass ihr Tun von Schülern oder Eltern,
die die Toilette benutzten, akustisch wahrgenommen werden konnte. Doch habe
Fabian "die schulischen Abläufe durch sein Tun nicht stören wollen".
Dass die Sache derart Wirbel verursachte, sei nicht Fabian anzulasten, sondern
der Mitschülerin, die den bis dahin geheim gehaltenen Kontakt öffentlich
machte. Auch habe die Angelegenheit erst ihre volle öffentliche Wirksamkeit
entfalten können, weil die Polizei den Jugendlichen vor den Augen der
Mitschüler aus dem Unterricht abführte.
Eine Schule, die sich die Erziehung zu Toleranz auf die Fahnen geschrieben
habe, verpflichte sich nach Auffassung der Richter auch zur Nachsicht gegenüber
Fehlverhalten des Schülers, "das seine Ursache in einer gewissen Unreife
gehabt haben dürfte".
Präzise Verhaltensregeln zu sexuellen Belangen seien im Schulvertrag und dem
"student book" – einem Verhaltenscodex – nicht enthalten, werteten
die Richter. Wohl werde dort "auf die Notwendigkeit des
Wohlverhaltens" hingewiesen. Explizit genannt seien aber nur der Umgang
mit Drogen, Gewalt und rassistischem Verhalten. "Ein ausdrücklicher
Hinweis darauf, dass sexuelle Handlungen im Bereich der Schule zu unterbleiben
haben, fehlt hingegen", stellt das Gericht fest.
Fabian will in dieser Woche noch an die Kleinmachnower Schule zurück kehren.