Märkische Allgemeine Zeitung 23.05.07

 

Kleinmachnow (I)

Wie sind wir so geworden, wie wir heute sind?

In einer Art "Privatinitiative" diese vorläufigen Schilder auf dem Kleinmachnower Waldfriedhof aufgestellt.

PETER HAHN

KLEINMACHNOW Die Wolfs lebten 14 Jahre in Kleinmachnow. Als sie spürten, dass ihrem Geist die Idylle nicht gut bekommt, zogen sie nach Pankow, an den Rand vom Prenzlauer Berg. Gerhard Wolf, der angenehme Stille im Lande, der "immer die Angst hatte, dass da Talente sein könnten, die in der DDR nicht zum Durchbruch kommen konnten", kümmerte sich fortan vermehrt um die Stillen im Lande. Christa Wolf, die "Der geteilte Himmel" und "Nachdenken über Christa T" hinter sich gebracht hatte, legte nun "Kindheitsmuster" vor. An den Anfang dieses Erinnerungsromans setzte sie einen Satz von William Faulkner: "Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen." Und sie fügt hinzu: "Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd."

Christa Wolf erkannte, dass "man sich selbst die Geschichte, die Vorgeschichte bewusst machen müsste, um auf diesem Fundament auch fundierter über die Jetzt-Zeit schreiben zu können". Das impliziert im Prinzip nichts anderes, als dass weder die Verblichenen noch die Vergangenheit vergangen sind.

Warum tun sich Städte und Gemeinden im Land Brandenburg also so schwer mit den Toten? Kleinmachnow allen voran. Im sogenannten "Soziallabor der Wiedervereinigung" sind Ost- und Westdeutsche intensiv aufeinandergeprallt, nirgendwo sonst gab es hässlichere Momente. Vordergründig ging es um Grundstücke, eigentlich aber um die Frage, wer aus diesen Prozessen als "Sieger der Geschichte" hervorgeht. Das hörten wir schon einmal.

Nachdem das Geschäft gemacht oder die Rückgabe vor Entschädigung erfolgt ist, sollten andere, menschlichere, Themen auf der Tagesordnung stehen. An Kleinmachnow soll daher – beispielhaft und ohne Ausschließlichkeit – dem Sinn von Erinnerungen nachgegangen werden.

Seit langem streiten die Gemeindevertreter um die "Richtlinie für die Anerkennung, Überlassung und Pflege von Grabstätten namhafter und verdienter Persönlichkeiten durch die Gemeinde Kleinmachnow". Im Gespräch war diese zuletzt am 23. August 2002. Seither liegt sie auf Wiedervorlage. Was damals angedacht war, muss heute nicht mehr gedacht werden. Inzwischen gab es Kommunalwahlen, mit denen sich die Machtverhältnisse entscheidend verändert haben.

Erinnern wir uns: 1989 lebten hier 11 000 Menschen. Nun sind es fast 19 000, darunter nur noch 3000 Alteingesessene. Einige von ihnen leben abgesondert, ausgegliedert und irgendwie auch diskriminiert am Stolper Weg, verpflichtet, ihre Ersatzdomizile nicht vor Ablauf von zwanzig Jahren zu veräußern. Die Zugezogenen dominieren die Alteingesessenen, sie bestimmen, wo es langgeht. Motto: "Wir sind die Sieger der Geschichte." Bei einem Verhältnis von 19 000 zu 3000 ein leichtes, ein durchschaubares Spiel, das bei manchen absurden Initiativen nur vom inzwischen eingekehrten Müßiggang geprägt sein kann.

Die Neuen kennen sich ziemlich schlecht mit der Geschichte von Kleinmachnow und dessen einstigen Bewohnern aus. Sie interessieren sich auch nicht dafür. Woher auch, wenn man bisher anderswo mit anderem befasst war und nun mit der weiteren Karriere befasst ist. Das hat zur Folge, dass es in der Bewertung, wer denn nun Anspruch auf eine Kleinmachnower Ehrengrabstätte hat, divergierende Ansichten gibt.

Woher sollen sie jene kennen, die vor, während und nach der DDR, wenn nicht Geschichte geschrieben, so doch zumindest Spuren hinterlassen haben, die die Neuen erst einmal hinterlassen müssen.

Die Schauspieler Johannes Arpe, Helene Fehdmer, Friedrich Kayssler, Irene Korb, Agnes Kraus und Karla Runkehl gehören ebenso dazu wie die Journalisten, Schriftsteller und Verleger Rudolf Peter Brock, Karl-Heinz Gerstner, Walter Janka, Wolfgang Joho, Ilse Korn, Vilmos Korn, Friedo Lampe, Dieter Mehlhardt, Adolf Reinecke, Fred Wander und Maxie Wander, die Musiker und Komponisten Hans Behrends, Karl Blume, Konrad Blumenthal, Frank Volker Eichhorn, Wilhelm Gonnermann, Anneliese Koch, Siegfried Weinberger, die Maler, Grafiker, Bildhauer und Restauratoren Hugo Ibscher, Rolf Ibscher, Herbert Lange, Elena Liessner-Blomberg, Otto Maerker, Willi Ernst Schade, Herbert Thannhaeuser, die Filme- und Fernsehmacher Richard Groschopp, Gerhard Klein, Wolfgang Luderer, die Theologen Hans-Georg Fritzsche, Karl Moritz, Martin Willkomm, die Wissenschaftler Reinhold Dahlmann, Georg Harig, Johannes Reinhold, Martin Schmidt, Werner Selke – eine Aufzählung, die weder den Titel Vollständigkeit beansprucht noch vorab eine Wertung der Persönlichkeiten vornimmt. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Namen Janka und Wander von den Zugezogenen schon einmal gehört wurden, weil beide auch im Westen Schlagzeilen machten, deshalb in diesen Fällen Einigkeit über eine Ehrengrabstätte erzielt werden könnte, bleibt immer noch ein großer Rest von Strittigkeiten.

In Berlin kann jeder Vorschläge auf Anerkennung einer Ehrengrabstätte an den Senat richten. Kleinmachnow schaltet das direkte Vorschlagsrecht aus, weil nach V. Punkt 2 "Vorschläge zur Überlassung von Ehrengrabstätten nach III. Punkt 3 aus der Mitte der Gemeindevertretung als Antrag schriftlich an den Vorsitzenden der Gemeindevertretung zu richten sind". Nach V. Punkt 3 allerdings "muss die Beschlussfassung in der Gemeindevertretung mit Zweidrittel-Mehrheit der Anzahl der gesetzlichen Mitglieder der Gemeindevertretung erfolgen". Das ist des Pudels Kern.

Auf dem Kleinmachnower Waldfriedhof wurden bereits erhaltenswerte Grabstätten abgeräumt, Grabhügel eingeebnet und Steine entsorgt, andere Gräber von Angehörigen per Umbettung an andere Orte gerettet. Bei wieder anderen Grabstellen von Persönlichkeiten läuft demnächst die Zeit ab. Deshalb beginnt diese Zeitung in einer mehrteiligen Serie mit einem "Plädoyer für die Toten".

 

MAZ 23.05.07

 

Dokumentiert

Richtlinie für Kleinmachnower Ehrengräber

Auf der Grundlage von § 3, Absatz 1 Gemeindeordnung Brandenburg vom 15. Oktober 1993 (GVBI. I Seite 398) zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. März 2001 (GVBI. I Seite 30) beschließt die Gemeindevertretung Kleinmachnow als Bestandteil der "Geschäftsordnung für die Gemeindevertretung der Gemeinde Kleinmachnow und für die Einwohnerbeteiligung", zuletzt geändert am 20.07.2001, die Richtlinie für die Anerkennung, Überlassung und Pflege von Grabstätten namhafter und verdienter Persönlichkeiten durch die Gemeinde Kleinmachnow (im Weiteren als Ehrengrabstätten bezeichnet).

I. Örtliche Zuständigkeit: Die Richtlinie umfasst die Friedhöfe in den Grenzen der Gemarkung der Gemeinde Kleinmachnow.

II. Definition: 1. Ehrengrabstätten können als Reihenstellen, Wahlstellen, Gartenstellen oder Urnenstellen angelegt sein.

2. Nachträglich anerkannte Ehrengrabstätten können von dieser Festsetzung abweichen.

3. Grabstätten, zu deren Pflege und Erhalt die Gemeinde Kleinmachnow aufgrund eines Gesetzes verpflichtet ist, fallen nicht unter diese Richtlinie.

III. Personenkreis: 1. Verstorbene, denen die Bundesregierung oder die Regierung eines Landes ein Staatsbegräbnis gewährt hat.

2. Verstorbene Ehrenbürger lt. "Richtlinie zur Verleihung des Ehrenbürgerrechtes und der Ehrenbezeichnung Gemeindeältester von Kleinmachnow" vom 19.06.1997.

3. Verstorbene, die sich um die Gemeinde Kleinmachnow besonders verdient gemacht haben oder über Kleinmachnow hinaus hervorragende Leistungen vollbracht haben (Künstler, Wissenschaftler, Politiker u.a.) und/oder deren Andenken in der Öffentlichkeit fortlebt.

IV. Kostenübernahme durch die Gemeinde Kleinmachnow: 1. Grabberechtigung. Für Verstorbene nach III. übernimmt die Gemeinde Kleinmachnow die Kosten für die Grabstätte und die Verlängerung der Ruhezeit, bei Doppelgräbern für die ganze Grabstätte.

2. Pflege der Ehrengrabstätten: a) Für Verstorbene nach III. übernimmt die Gemeinde Kleinmachnow die Kosten. b) Im Fall von Doppelgräbern übernimmt die Gemeinde Kleinmachnow die Kosten für die Pflege der ganzen Grabstätte.

3. Kostenübernahme für bereits bestehende Grabstätten. Für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie schon bestehende Grabstätten, die zu Ehrengrabstätten erklärt werden, übernimmt die Gemeinde Kleinmachnow die Kosten für die Verlängerung der Ruhezeiten, die gärtnerische Herrichtung, die Instandsetzung der Grabmale sowie für die ständige Grabpflege.

V. Verfahren: 1. Der Bürgermeister informiert den Vorsitzenden der Gemeindevertretung über die Überlassung von Ehrengrabstätten nach III. Punkt 1 und 2.

2. Vorschläge zur Überlassung von Ehrengrabstätten nach III. Punkt 3 sind aus der Mitte der Gemeindevertretung als Antrag schriftlich an den Vorsitzenden der Gemeindevertretung zu richten. Die Vorschläge müssen Angaben zur Person und den Verdiensten des Verstorbenen enthalten.

3. Die Beschlussfassung in der Gemeindevertretung muss mit 2/3-Mehrheit der Anzahl der gesetzlichen Mitglieder der Gemeindevertretung erfolgen.

4. Der für das Friedhofswesen zuständige Fachbereich ermittelt die entstehenden Kosten und erteilt die entsprechenden Aufträge

5. Der Fachbereich Kultur/Soziales/Schulen führt die Liste der Ehrengrabstätten.

Dr. K. Nitzsche, Vorsitzender der Gemeindevertretung, W. Blasig, Bürgermeister, Kleinmachnow, 23.08.2002.

 

 

MAZ 23.05.07

Ein Wegweiser zu Gräbern und Geschichten

Repro: HPHBildvergrößerung

Repro: HPH

Damals kamen sie aus Allstedt, Berlin, Bismarckhütte, Bresch, Bremen, Charlottenburg, Chemnitz, Dresden, Groß-Kikinda, Hamburg, Karlsruhe, Kölleda, Königsberg, Meinerzhagen, Moskau, Neurode, Osnabrück, Rügenwalde, Stettin, Zwickau und Wien. Sie haben hier gelebt und gewirkt, in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der DDR. Sie wurden geprägt von den politischen Epochen. Das ist Geschichte. Seit 1990 kamen sie nicht viel von woanders her. Wieder eine neue Ära in Kleinmachnow. Diese muss erst noch Geschichte werden. Erinnern wir uns:

1 Johannes Arpe (1897-1962), Schauspieler.

2 Hans Behrends (1927-1993), Musiker.

3 Gerhard Bengsch (1928-2004), Drehbuchautor.

4 Joachim-Dieter Bloch (1906-1945), Völkerrechtler.

5 Karl Blume (1883-1947), Komponist.

6 Konrad Blumenthal (1895-1960), Musiker.

7 Rudolf Peter Brock (1916-1982), Schriftsteller.

8 Reinhold Dahlmann (1893-1972), Pädagoge.

9 Frank Volker Eichhorn (1947-1978), Komponist.

10 Helene Fehdmer (1872-1939), Schauspielerin.

11 Hans-Georg Fritzsche (1926-1986), Theologe.

12 Karl-Heinz Gerstner (1912-2005), Journalist.

13 Wilhelm Gonnermann (1909-1992), Musikwissenschaftler.

14 Richard Groschopp (1906-1996), Regisseur.

15 Georg Harig (1935-1989), Mediziner.

16 Wilhelm Heß (1877-1945), Schleusenwärter.

17 Hugo Ibscher (1874-1943), Restaurator, Rolf Ibscher (1906-1967), Restaurator.

18 Walter Janka (1914-1994), Verleger.

19 Wolfgang Joho (1908-1991), Schriftsteller.

20 Emil Karow (1871-1954), Bischof.

10 Friedrich Kayssler (1874-1945), Schauspieler.

21 Gerhard Klein (1920-1970), Regisseur.

22 Anneliese Koch (1905-1980), Korrepetitorin.

23 Irene Korb (1923-1978), Schauspielerin.

24 Ilse Korn (1907-1975), Schriftstellerin, Vilmos Korn (1899-1970), Schriftsteller.

25 Agnes Kraus (1911-1995), Schauspielerin.

26 Friedo Lampe (1899-1945), Schriftsteller.

9 Herbert Lange (1920-2001), Maler.

27 Elena Liessner-Blomberg (1897-1978), Malerin.

28 Wolfgang Luderer (1924-1995), Regisseur.

29 Otto Maerker (1891-1967), Bildhauer.

30 Dieter Mehlhardt (1927-1988), Buchhändler.

31 Karl Moritz (1900-1993), Pfarrer.

32 Adolf Reinecke (1861-1940), Schriftsteller.

33 Johannes Reinhold (1897-1971), Agrarwissenschaftler.

34 Karla Runkehl (1930-1986), Schauspielerin.

35 Willi Ernst Schade (1892-1975), Bildhauer.

36 Martin Schmidt (1897-1983), Biologe.

37 Werner Selke (1901-1971), Agrikulturchemiker.

38 Herbert Thannhaeuser (1898-1963), Schriftkünstler.

39 Fred Wander (1917-2006), Schriftsteller, Maxie Wander (1933-1977), Schriftstellerin.

40 Siegfried Weinberger (1921-1995), Musiker.

41 Walther Wever (1887-1936), Militär.

42 Martin Willkomm (1876-1946), Pfarrer.