Märkische Allgemeine Zeitung 22.02.07
KLEINMACHNOW Ich bin da über etwas gestolpert,
sagt einer, der sich plötzlich erinnert. Das könnte bald allen so gehen, die in
Kleinmachnows Straßen künftig auf "Stolpersteine" stoßen. Die zehn
Mal zehn Zentimeter großen, mit einer Messinghaube versehenen Steine des
Künstlers Gunter Demnig erinnern bereits in vielen Städten und Gemeinden an
Opfer des Nationalsozialismus, des Rassenwahns und der Intoleranz.
Im Herbst werden vermutlich erste Steine von Demnig und seinem Team in
Kleinmachnow verlegt werden können. 1600 Euro für Steinpatenschaften sind bei
den Initiatoren der Aktion Stolpersteine bereits eingegangen. Zurzeit stößt die
Dokumentation, die vorwiegend junge Menschen aus der Evangelischen
Kirchengemeinde gemeinsam mit dem Heimatverein und der Gemeinde erarbeitet
haben (MAZ berichtete), im Foyer des Rathauses auf reges Interesse. Doch nicht
nur dort registriert man die Spurensuche, deren Ziel es ist, an Menschen in der
eigenen Gemeinde zu erinnern, an einstige Freunde vielleicht, Nachbarn, die
unter der Gewaltherrschaft umgebracht wurden, zerbrochen sind oder enteignet
und vertrieben wurden. Eine Gravur auf den Steinen, die im Gehweg eingelassen
werden, erinnert an die letzte freiwillig gewählte Wohnstätte der Ermordeten
und Verschollenen – mitten unter uns.
Etwa 100 Kontakte hat es gegeben, seit die Recherchegruppe im Oktober das erste
Mal mit ihrer Dokumentation an die Öffentlichkeit gegangen ist. Menschen
kommen, schauen, sinnen nach, erzählen, "die Anteilnahme ist
ergreifend", berichtet Diakon Martin Bindemann. Auch Kritik oder Ängste
werden an ihn herangetragen. "Ich möchte keinen Stolperstein vor der
Haustür", sagte ein Anrufer, der schon mehrfach aus ganz anderen Gründen
unter Vorurteilen gelitten hatte. "Ich bin Jude" und ich habe Angst,
besonders dieser Anruf sei verstörend, zeige wie schwierig die Erinnerung zu
handhaben sei, heißt es. Und die Dokumentation von Namen, die anhand einer
Liste, die im Rahmen der Volkszählung 1939 entstanden war, zusammengestellt
wurde, geriet beim Empfang im Rathaus beinahe zum Eklat. So hielt etwa der
Karikaturist Harald Kretzschmar das öffentlich Machen für voreilig und nicht
gründlich recherchiert. Martin Bindemann setzt hingegen genau auf die
Mitarbeit, die Hilfe und Erinnerungen der Besucher, um jedem Schicksal explizit
nachgehen zu können.
Offenbar zu Recht. Seit Wochen gehen Anrufe, E-Mails und Anfragen bei ihm ein.
Nachrichten aus aller Welt, von Enkeln, Bekannten oder Nachbarn, aus
Australien, Neuseeland, der Schweiz, USA und Israel helfen, Biographien näher
zu klären.
"Wissen Sie, der Name auf der Liste da, das bin ich", sagte eine ältere
Dame kürzlich beim Besuch im Gemeindehaus der Kirche. "Ich war zutiefst
betroffen", berichtet Bindemann, dem die Erschütterung ob der denkwürdigen
Begegnung noch während seiner Rede im Rathaus anzumerken ist. So verbirgt sich
hinter vielen Namen das Schicksal eines Überlebenden, eines versteckten,
geretteten, emigrierten Menschen. "Gott sei Dank", die Freude darüber
sei groß, sagt Bindemann, der ein intensives Gespräch mit der alten Dame
führte. Heute sind bereits eine Reihe Namen in der Dokumentation überklebt.
Einzel- oder Familienschicksale, die dem Naziterror nicht zum Opfer fielen.
Beim Empfang im Rathaus ergaben sich viele Gespräche, unterbrochen nur von
Musikern aus der Kirchengemeinde, die jüdische Klezmermusik spielten.
Die Dokumentation bleibt bis zum 27. Februar im Rathaus. Am 1. März wird sich
eine neue Recherchegruppe bilden. Wer mitarbeiten möchte oder Hinweise hat, der
kann sich bei der Evangelischen Kirchengemeinde melden, 033203/7 91 73. Unter www.jungegemeinde-online
ist die Datenbank "Stolpersteine einzusehen. K.W .