Märkische Allgemeine Zeitung 09.01.07
PETER HAHN
NIEDERFINOW Nichts war nach der Wiedervereinigung gegen den Ausbau des
Wasserstraßennetzes einzuwenden. Für den ostdeutschen Raum bedeutete das
"Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17" eine Anbindung an
"westliche Standards". Längst wissen wir aber, dass die Pläne
Illusion waren. Geplant wurde weiter, nach Prognosen von einst. Die Mark
Brandenburg soll mit Schubverbänden belebt werden. Unterm Strich sind dafür
Ausbauten der Havel-Oder-Wasserstraße (HOW) und des Teltowkanals (TeK) im Gang.
Diese Wasserstraßen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnet. Während der
Teltowkanal ein absoluter Neubau war, sollte der Havel-Oder-Kanal den Finowkanal
ersetzen. Auf ihm wurde seit 1746 über zwölf handbetriebene Schleusen der
Geländesprung von 36 Metern zwischen Niederfinow und dem Oderbruch bewältigt.
Obwohl in den Kammern gleichzeitig zwei Finowmaßkähne geschleust wurden, stieß
der Gütertransport zwischen Mitteldeutschland, Schlesien und Ostpreußen im
aufstrebenden Deutschen Reich an seine Grenzen.
Ähnlich wird heute wieder argumentiert, nur dass inzwischen von Polen und EU
die Rede ist. Tatsächlich hatte die Binnenschifffahrt zwischen 1987 und 1998
Zuwächse zu verzeichnen. Seit 1999 jedoch geht es bergab. Der Güterumschlag der
Binnenhäfen ging in Brandenburg von 2000 auf 2003 um 25 Millionen Tonnen
zurück. Das Verkehrsministerium orientiert daher auf "das zukünftig
erwartete Wachstum im grenzüberschreitenden Verkehr", was in dieser Gegend
nur die Verbindung mit dem Seehafen Szczecin und dem Wirtschaftsgebiet um
Wroclaw bedeuten kann. Zwei Wege in die Oder kommen dafür in Betracht, der
nördliche über Havel-Oder-Kanal und Schiffshebewerk Niederfinow nach
Hohensaaten und der südlich über Teltowka nal, Kleinmachnower Schleuse und
Spree-Oder-Wasserstraße nach Eisenhüttenstadt.
Die Transporte erfolgen vorrangig auf Elbe-Havel-Kanal
(EHK), Untere Havel-Wasserstraße (UHW), Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal
(BSK) und Havel-Oder-Kanal und eben nicht auf dem Teltowkanal. Die Erklärung
ist einfach: Schiffe aus Richtung Westen löschen ihre Ladung im Berliner
Westhafen. Schiffe aus Richtung Osten bringen Kohle zum Kraftwerk Reuter
(danach schippern sie mehrheitlich leer zurück). Daher erfolgt mittlerweile der
massive Ausbau des Havel-Oder-Kanals und der Bau eines neuen (zweiten) Schiffshebewerks
bei Niederfinow. Ab Schleuse Berlin-Spandau werden die 135 Kilometer für eine
Wasserspiegelbreite bis zu 55 Metern und einer Wassertiefe von 3 Metern
ausgebaut.
Der Kanal ist fast einhundert Jahre alt. Er hat zwei Weltkriege und vierzig
Jahre DDR hinter sich. Böschung und Sohle auf der Dammstrecke sind so stark
beschädigt, dass derzeit nur noch ein Einbahnverkehr möglich ist. Sechs Stunden
geht's im Konvoi von Ost nach West, danach von West nach Ost. Aus dieser Misere
aber dann auch abzuleiten, dass das Schiffshebewerk "an der Grenze seiner
Leistungsfähigkeit angelangt ist", ist nicht korrekt. Erinnert sei daran,
dass fünfzig Jahre nach der Inbetriebnahme erstmals eine Überholung notwendig
wurde. "Durch diese Regenerierung", so hieß es 1964, "konnte die
bewährte Technik auf einem Niveau gehalten werden, welches den weiteren
ungestörten Betrieb ermöglicht" – was von praxisnahen Wasserbauleuten auch
aktuell bestätigt wird.
Nun soll Niederfinow "nicht mehr den heutigen Anforderungen
entsprechen", da sein Trog die Länge der Schiffe auf 84 Meter begrenzt.
Diese Argumentation ist dem Laien schwer zu vermitteln, zumal die
Binnenschifffahrtsunternehmen je nach Größe der Schleusen bzw. Hebewerke alle
Kombinationen in Länge, Breite, Höhe und Tiefgang zum Einsatz bringen können.
Ein Schubverband besteht heute in der Regel aus einem 10 bis 16 Meter langen
Schubschiff und mehreren aneinandergekoppelten Leichtern vom Typ "Europa
II" mit einer Einzellänge von 76,50 Metern. Dieser wird in den Vorhäfen
des Schiffshebewerks entkoppelt. Die Teile werden einzeln in den Trog
geschoben, nach oben oder unten befördert, mit der Seilwinde herausgezogen und
vor der Weiterfahrt wieder zusammengefügt.
Wenn dem Trog des neuen Hebewerks nun 115 Meter zugedacht
werden, könnten künftig 31 Meter längere Konvois befördert werden. Als Ausnahme
mag es so sein, in der Regel wird weiter ent- und gekoppelt werden müssen, weil
ein Schuber mit nur zwei Leichtern schon mal über 180 Meter braucht. In Niederfinow
gibt's also in Zukunft zwei Schiffshebewerke, die stählerne Schönheit mit 84
Metern und die betonierte Häßlichkeit mit 115 Metern.
Üppig soll es für Karin Roth (SPD), Staatssekretärin im
Bundesverkehrsministerium, auch immer noch am Teltowkanal zugehen. Zum Neubau
der Kleinmachnower Schleuse erklärte sie unlängst, dass es bei dem Planfeststellungsbeschluß
bleibe, der eine Länge von 190 Metern vorsieht. 190 Meter hier, 115 Meter dort?
Kleinmachnow könnte in einem Schleusenvorgang längere Schiffsverbände
bewältigen als der neue Schiffstrog von Niederfinow! Nun wird es aber so sein,
dass der Havel-Oder-Kanal immer die Hauptrolle, der Teltowkanal als Südumfahrung
Berlins in Richtung Osten nur eine Nebenrolle spielt, was der Senat schnell
erkannte und daher ausstieg. In Berlin wurden der Hafen Mariendorf und die
Kraftwerke Lichterfelde und Steglitz stillgelegt. Die Landkreise
Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald, Eigentümer des Hafens
Tempelhof, haben das Filetstück 2005 verkauft.
Eine Chance wurde vertan. Überspitzt formuliert: Dem Teltowkanal und der
Schleuse Kleinmachnow bleibt nicht viel mehr als der Hafen Neukölln –
Transporte von Baustoffen und Schrott.
Das Festhalten am Planfeststellungsbeschluß ist durchschaubar: Wenn nicht
jetzt, wann dann, lautet die Devise. Unstrittig ist: Der Teltowkanal muss
saniert werden. Nach dem Mauerbau 1961 geschah nichts mehr. Die teilweise
Wiedereröffnung im Jahre 1981 war Flickschusterei. Dazu kam der kontaminierte
Schlamm des "VEB Berlin Chemie", dessen Beseitigung 1999 bereits mit
36,2 Millionen DM zu Buche schlug.
Da Sanierung aber heute mehr und mehr dem Denkmalschutz zugeordnet wird, sind
Mittel für diese "Liebhaberei" kaum zu erhalten. So setzt die Politik
auf Europa, auf den grenzüberschreitenden Verkehr und auf Fördermittel, die
bekanntlich an diverse Richtlinien gebunden sind. Für den Teltowkanal bedeutet
das unter anderem: Zu viele Engen, zu viele Kurven, zu viele Untiefen. Dazu
kommt, dass eine Schleusenkammer von 190 Meter Länge sinnlos ist, wenn nicht
gleichzeitig mehrere Dutzend Brücken neu gebaut werden, da für den
Containertransport Brückenhöhen erforderlich sind, die "mindestens einen zweilagigen
Transport ermöglichen".
Es ist an der Zeit, dass das Land Brandenburg und Ministerpräsident Matthias
Platzeck (SPD) Position beziehen. Ja oder nein zu dem Milliardending, damit die
Brandenburger endlich wissen, woran sie sind.
Quellen: Bundesanstalt für Wasserbau Karlsruhe,
Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost