Märkische Allgemeine Zeitung 23.09.06
KONSTANZE WILD
KLEINMACHNOW Viele Menschen wurden während des
Nationalsozialismus Opfer von Rassenwahn, Intoleranz, Euthanasie: Juden,
Sinti und Roma, ethnisch und religiös Verfolgte, politisch Andersdenkende,
Homosexuelle und Menschen mit so genannten Behinderungen. Alle diese zu
Unrecht Verfolgten, ermordeten oder verschollenen Menschen waren auch
Mitbürger anderer Menschen, lebten einmal in unserer Mitte.
Mit der Aktion "Stolpersteine", einem so
ungewöhnlichen wie erfolgreichen Kunstprojekt, macht Gunter Demnig seit 1993
die letzten Spuren der Opfer mitten im Alltag sichtbar. 1997 verlegte
Demnig in Berlin-Kreuzberg die ersten Steine, zehn Zentimeter messende
Betonwürfel, deren Messinghaube Namen und Daten der Opfer trägt. Heute
erinnern in ganz Deutschland und auch darüber hinaus mehr als 8000 Steine
an Einzelschicksale. Man muss kein Museum und keine Gedenkstätte besuchen,
sondern "stolpert" über Opfer, genau da, wo sie einst ihren
Wirkungskreis hatten.
Ihr Schicksal zu verfolgen, welches sie nach
Deportation und Internierung ereilte, fällt nicht leicht, berichtet Martin
Bindemann über eine auch psychisch schwer zu ertragende und mühevolle
Quellen-Recherche, die die Junge Gemeinde der Evangelischen Kirche
Kleinmachnow und der Heimatverein geleistet haben. 237 Schicksale von
Bürgern der Gemeinde Kleinmachnow, "vermutlich alle Opfer", hat
man aufgrund des Wissens des Heimatvereins, sowie in Bundes- und
Landesarchiv und einer so genannten "Judenzählliste" - ein Substrat
der Volkszählung 1939, welches alle Menschen "nicht arischer
Herkunft" bürokratisch perfide separierte - gefunden. Acht dieser
Menschen sollen nun durch die "Stolpersteine" ins Bewusstsein der
Bevölkerung gehoben werden.
Die Idee entwickelte sich im
Kreisjugendkonvent, da der Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf schon länger an den
"Stolpersteinen" arbeitet, so Bindemann. Ein Jahr haben die 16- bis
20-Jährigen recherchiert. Bei vielen Schicksalen kam man nicht sehr weit,
erläutert der Diakon, der auch nicht verschweigt, wie erschreckend Namenslisten
und zum Teil zynisch bis absurd anmutende Originalakten aus der Zeit des
Nazi-Terrors auf die Jugendlichen gewirkt haben. In entwürdigenden Verhören und
mit akribischer Bürokratie ging es um Verleumdung, Rassenwahn und nicht zuletzt
immer auch um Enteignung von Vermögen und Grundbesitz.
In der Geschichte der Kunstaktion formierte sich
mancherorts Widerstand gegen die Verlegung der Steine sozusagen vor der
Haustür. So tat sich die Stadt München anfangs schwer. Von einer Inflation der
Gedenkstätten war dort die Rede oder von der "Unerträglichkeit", auf
den Namen der Opfer mit Füßen herumzutreten. Man erinnere sich, und wer die
Inschriften auf dem Pflaster lesen will, "der muss sich vor den Opfern
verbeugen", sagte Gunter Demnig indes in einem Interview. Die
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel bezeichnete Demnigs Steine in einem
Brief an den Künstler, den seit vergangenem Jahr auch das Bundesverdienstkreuz
ehrt, als "wunderbares Projekt".
Die Ausstellung "Stolpersteine" wird morgen um
12.30 Uhr unter Schirmherrschaft des Bürgermeisters in der Siemenskantine,
Schwarzer Weg, eröffnet. Dort gibt es Informationen über Patenschaften und
Spenden, um "Stolpersteine" in Kleinmachnow verlegen zu können. Die
Gruppe "Aufwind" wird "jiddische Lieder" spielen. Ab
Mittwoch ist die Ausstellung dann täglich von 9 bis 18 Uhr in der
Auferstehungskirche, Im Jägerstieg, zu sehen, bevor sie auch im Heimatverein
und der Gemeinde gezeigt wird.