Potsdamer Neueste Nachrichten 28.06.06

Nur wenige Besucher fanden den Weg ins Musterhaus von Kondor Wessels

"Kammerspiele im Exil" litt unter der sommerlichen Hitze und der WM-Trunkenheit / Der nächste Lesungsort liegt auf dem Seeberg

KONSTANZE WILD

KLEINMACHNOW 80 Klappstühle und ein Transparent. Unter diesem Motto sind Aktive und Freunde des Trägervereins Kulturhaus Kammerspiele ins Exil gezogen, um vor Augen zu führen, "was uns alle angeht" (MAZ berichtete). 80 Sitzplätze waren jedoch nicht von Nöten, am Sonntag, im schmucken ehemaligen Musterhaus der Kondor Wessels, Tochterunternehmen eines der größten Baukonzerne in den Niederlanden, welches nicht nur mit Wohnbebauung, sondern auch durch den Rathausplatz das neue Gesicht von Kleinmachnow so erstaunlich zu prägen vermag.

Dabei will die Reihe von Lesungen und künstlerischen Installationen zum Nachdenken und Beteiligen bewegen. Doch hochsommerliche Hitze, WM-Trunkenheit, sicher auch ein gewisses Desinteresse an gesellschaftskritischen Themen, so kurz vor den großen Ferien, ließ das erhoffte kritische, kunstbegeisterte und intellektuelle Kleinmachnow eher fern bleiben.

Auf edlem Parkett bewegte sich Schauspieler Jan Uplegger, verfolgt von einem kleinen interessierten Tross, durchs Musterhäusle, las unter anderem einen Text von Oskar Negt. Erschienen in Carl Amerys (Herausgeber) "Briefe an den Reichtum", stellt Negts Text die bereits die antiken Denker beschäftigende Frage nach sozialer Verantwortung der Reichen und noch Reicheren. Das wirkt so aktuell wie anachronistisch. Längst haben die Diskussionen um millionenschwere Manager-"Verdienste", Gratifikationen, Aktienoptionen und Abfindungen, nicht nur Leitartikler, sondern auch Stammtische, ja den heimatlichen bürgerlichen Mittelstandstisch erreicht. Negt kritisiert in einem offenen Brief an den ehemaligen Siemens-Vorstandschef von Pierer nicht nur fehlendes Maß auf der Gewinnerseite, sondern mangelnde Moral. Im schwarz-weiß gefliesten, matt schimmernden Bad und vor funkelnagelneuer Küchenzeile gerinnen die teils ironischen und in ihrer Schlichtheit überzeugenden Texte zur Erkenntnis: Was sind das für Menschen, für die Gewinnstreben Selbstzweck ist, ohne das etwas ins Gemeinwesen zurückfließt? Das Leistungsprinzip werde korrumpiert, Gewinne wandern zu oft ins private Säckl, Massenentlassungen werden mit dem Argument des globalen Hintergrunds und betriebswirtschaftlicher Ideologie durch gewunken.

Negts Empfehlung an von Pierer und Co., Vermögen durch Stiftungen der Gemeinschaft zum Vorteil gereichen zu lassen, wurde gestern ganz aktuell, allerdings in den USA. So überraschte die Nachricht, dass der zweitreichste Mensch der Welt, Waren Buffett, dem reichsten, Bill Gates, 31 Milliarden US-Dollar für dessen Stiftung zur Verfügung stellt. Wahrlich ein Vermögen. Reichtum, so Buffett, müsse man "an die Gesellschaft zurückgeben".

Moralismus allein, zumal in allabendlichen Talk-Shows breit getreten, stumpft indes ab, suggeriert bestenfalls: Wir haben das Problem erkannt. Doch leben wir sowieso nicht eigentlich alle so? Nur auf unterschiedlichem Niveau? "Geiz ist geil" und "mir das meiste" begleiten den gesellschaftlichen Prozess umso intensiver, je weniger es in der Masse zu verteilen gibt. Doch wer verlangt politische Reaktion, wer stellt unbequeme Fragen. Wir alle müssen das tun, nimmt man die "Macher" vom Trägerverein und ihr künstlerisches Anliegen ernst.

Der nächste Ort liegt auf dem Seeberg. Denn es gibt weitere Lesungen, zwölf an der Zahl, und damit weitere Chancen, sich in einen künstlerisch angefachten Diskussionsprozess einzuklinken. In der Garage des alten Heizhauses, das als alternativer Kulturhausstandort zu den Kammerspielen im Gespräch ist, wird es um das Thema Krieg und Frieden gehen. Eine Collage des amerikanischen Autors Eliot Weinberger offenbart Irrungen und Wirrungen des Irak-Krieges: am 2. Juli, Am Hochwald 30, um 11 Uhr