Märkische Allgemeine Zeitung 16.06.06

Skandale des Reichtums

Am Samstag startet die Lesereihe der "Kammerspiele im Exil"

KONSTANZE WILD

KLEINMACHNOW 80 Klappstühle und ein Transparent. Mehr braucht es nicht, um ins Bewusstsein zu heben, "was uns alle angeht": Wirklichkeit und Engagement, Skandale des Reichtums, Krieg und Frieden - das sind die Themenkreise einer Veranstaltungsreihe, die uns, im künstlerischen Prozess verwandelt, Missstände unserer Zeit vor Augen führt. "Uns", denn der Zustand von Staat und Gesellschaft ist eben eine "öffentliche Sache". "Res publica" nannte man das im antiken Rom und so ist die Gesamtproduktion auch betitelt. "Eine Anleitung zum Hinschauen", nennt das eine der Initiatoren und Produzentin, Ina Schott.

Voraussichtlich zwölf Mal werden Künstler und Regisseure mit ihren Texten, Installationen und Musik dabei ins freiwillige Exil gehen. Einzige Möglichkeit für die Kulturschaffenden um den Trägerverein Kulturhaus Kammerspiele Kleinmachnow, der immer noch kein Dach über dem Kopf hat.

Die ersten drei Produktionen führen an Orte, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Auftakt wird am Samstag, 17. Juni, in der Alten Dorfkirche Kleinmachnow am Zehlendorfer Damm sein. Um 19.30 Uhr sind vor sakraler Kulisse Texte des Wiener Philosophen Robert Menasse zu hören. Der szenische Vortrag greift zurück auf eine Vorlesungsreihe "Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung". Um die Frage nach Verantwortung von "Geld und Management" geht es bei "Briefe an den Reichtum", eine gelesene Installation.

Soziale Verantwortung

Nach der Balance von Gewinnen und sozialer Verantwortung erkundigte sich etwa der Soziologe Oskar Negt beim ehemaligen Siemens-Vorstandschef von Pierer. Texte von Hartz IV-Empfängern veranschaulichen gleichsam eine Gegenwelt. Das Ganze findet, begleitet von Musik und Gesprächen, am 25. Juni, zwischen 11 und 13 Uhr im schmucken ehemaligen Beratungszentrum der Kondor Wessels, Am Wetterhäuschen 2, Förster-Funke-Allee statt.

In die Garage des alten Heizhauses auf den gleich mehrfach geschichtsträchtigen Seeberg führt die dritte Lesung. Zum Thema Krieg und Frieden offenbart eine Collage des amerikanischen Autors Eliot Weinberger anhand von Aussagen politisch und militärisch Verantwortlicher, Berichterstatter und Bevölkerung Widersprüchlichkeiten und Irreführungen um den Irak-Krieg. Am 2. Juli, Am Hochwald 30, um 11 Uhr.

Gelder für geplante zwölf Lesungen fließen aus dem Europäischen Sozialfonds. Bereits zum zweiten Mal kommen die Aktiven des gemeinnützigen Trägervereins in den Genuss einer solchen lokalen Förderung. Zeichen der Anerkennung ihres kulturellen Engagements. Im vergangenen Jahr gedachten sie mit einer Lesung von Hans Magnus Enzensbergers "Untergang der Titanic" am Fuße des Seebergs Nordahl Griegs. Der norwegische Dichter und Journalist stürzte am Machnower See als freiwilliger Kriegsberichterstatter mit einem britischen Kampfbomber in den Teltowkanal. Ganz bewusst brachte man dieses intime Kammerspiel unter freiem Himmel unters Volk. Hoffte man doch auf eine Premierenaufführung im Kulturhaus Kammerspiele noch im selben Sommer.

Die Verhandlungen über die Zukunft dieses Hauses laufen indes noch immer, gestalten sich zäh und offensichtlich mit wenig Energie, wie es heißt. "Nicht ganz glücklich" sei man mit dem Stand der Dinge, formuliert Schott es diplomatisch. Umso mehr freue man sich über die Gastfreundschaft bezüglich der "Exil-Bühnen".

Prozess soll in Gang kommen

Die Aktionen an zwölf Spielorten treiben das kulturelle Ansinnen der Kulturschaffenden unbeirrt nach vorn. Letztlich erkennt man schnell den Wunsch, dass in der Region ein Prozess in Gang kommen möge. Bürgerschaftliches Engagement - angeregt, provoziert durch Kunst.

Das gelte im Übrigen auch für die Kammerspiele, betont Schott. Aufführungsorte können dabei durchaus in ein Spannungsverhältnis zum Inhalt der künstlerischen Auseinandersetzung geraten: Gesellschaftliche Verwerfungen, Krieg, politisch/soziales Desinteresse - Themen eben, die uns alle angehen - und das vor historischer und sakraler Kulisse oder im Ambiente von Kondor Wessels "schöner Wohnen"? Spannend erscheint das allemal.