Märkische Allgemeine Zeitung 06.06.06

Schwimmendes Museum

Die "Carola" ankerte in Kleinmachnow und zog hunderte Besucher an

KONSTANZE WILD

KLEINMACHNOW Das Schicksal meinte es gut mit Carola. Am 20. Mai 2001 kam die heute 90-jährige Schiffsdame als Museumsschiff in Zehdenick noch einmal ganz groß heraus. Für Helmut und Anita Mewes war das ein Trost. Über ein Vierteljahrhundert diente das Transportschiff der Schifferfamilie als Existenzgrundlage.

1916 in Speyer gebaut, gelangte Carola 1970 in den Besitz von Emil Mewes. "Wir transportierten von Getreide bis Waschpulver beinahe alles", erzählt Sohn Helmut Mewes aus einem arbeitsamen Leben an Bord. Im Vor- und Achterschiff liegen die Wohndecks. Vorbei am glatt polierten Holzsteuerrad geht es hinunter in die winzige Schiffswohnung.

Nach Hamburg zur Hafenrundfahrt

Enkelin Lydia Dohrmann ist beim Kanaljubiläum in Kleinmachnow mit von der Partie. Schon früher unternahm sie mit Oma und Opa manche Schiffsreise, "am liebsten nach Hamburg zur Hafenrundfahrt", schwärmt die heute 19-Jährige. Und wenn Carolas Bauch voll Sand geladen war, dann war das besser als jede Buddelkiste, erzählt Anita Mewes von glücklichen Kindertagen ihrer Enkelin an Bord mit Schiffskater Peter.

In Kleinmachnow stiegen zum 100. Geburtstag des Teltowkanals beinahe 500 Besucher über eine eigens angefertigte Holztreppe in den ehemaligen Frachtraum des so genannten Finowmaßkahns. Eine Standardbezeichnung übrigens, die sich an der Größe der Schleusen am Finowkanal orientierte.

Arbeitslose Jugendliche, darunter zwei Mädchen, haben den 25 Meter langen Schiffsbauch in einjähriger Arbeit restauriert und umgestaltet: Neben Elektrik, Heizung und kleinen Fenstern, wurden ein Notausstieg und eine Zwischendecke eingebaut. Heute sind in dem gemütlichen Innenraum etwa 450 Exponate zu besichtigen. Alle stammen aus Privatbesitz und gewähren als Sammlung Einblick in die Schifffahrtshistorie, auch in Beziehung zu Zehdenick. Hölzerne Schippen, Werkzeuge zum Schiffsbau, Bild- und Schriftdokumente, darunter eine Stromkarte der Elbe von 1884, und Schiffsmodelle sind zu sehen. Eine Schiffsglocke ist auf Hochglanz poliert, doch das eigentliche Glanzstück der Ausstellung ist wohl die Gründungsfahne des Schiffervereins Zehdenick von 1829.

Nicht ohne Stolz führt Udo Klein zur Vitrine, um über die Traditionspflege des Schiffervereins zu berichten, der maßgeblich daran beteiligt war, dass die Stadt Zehdenick den Großfinowmaßkahn erwarb, um ihn zum schwimmenden Museum umzugestalten.

Pastellfarbene breite Bänder mit filigranen Stickereien schmücken die Bordwände. Mit Fleiß bestickten die Frauen früher diese Tradtionsbänder, die als Eintrittskarten zum Schifferball dienten.

Der eiserne Rettungshaken und entsprechende -westen waren wichtig, erklärt Klein, konnten doch die meisten Kinder der Schiffer gar nicht schwimmen. Apropos Kinder, auf manchem Schiff tummelten sich ein Dutzend, kein Wunder bei dem einsamen Leben auf dem Wasser, welches außer schwerer Arbeit nicht viel Abwechslung bot. Zur Schule ging der Nachwuchs dort, wo das Schiff gerade lag. Auch Schifferkinderheime boten Bildung und Unterkunft.

Heute tuckert das Ehepaar Mewes mit zehn bis zwölf Kilometern in der Stunde ehrenamtlich über Flüsse und Kanäle. In den 90er Jahren waren die Zeiten für die Schiffer immer schwieriger geworden. Als zunehmend unrentabel erwies sich das Geschäft mit dem Warentransport. Am Schluss habe er nur noch "Kies gekutscht", erzählt Mewes.

Die Stadt Zehdenick erwarb den Kahn

Der Großfinowmaßkahn, der pro Ladung 280 Tonnen Kies nach Berlin befördern konnte, war zu klein oder die Konkurrenz zu groß, je nach Sichtweise. Eine glückliche Fügung, dass die Stadt Zehdenick Räumlichkeiten für ihre Ausstellung zum Thema Schiffshistorie suchte und den "Kahn" erwarb. Im August wird Carola in ihrer Karriere als Museumsschiff ihre bislang weiteste Reise antreten. Acht Tage braucht die alte Dame, um zum Fest in Europas größtem Binnenhafen in Duisburg einzulaufen.

Wer der 90-Jährigen in der Region noch einen Besuch abstatten möchte, der kann dies an der Alten Zollstelle am Schiffbauerdamm in Berlin tun. Dort liegt sie bis zum 7. Juni vor Anker.