Märkische Allgemeine Zeitung 29.03.06
Elektrische Teilung
Berlins
Tek km 16,50: Kraftwerk Lichterfelde / "100 Jahre Teltowkanal" (Teil 35)
PETER HAHN
Bis
zur "elektrischen" Teilung der Hauptstadt deckte die Bewag zwei
Drittel des städtischen Stromverbrauchs aus eigenen Anlagen. Der Rest wurde aus
ost- und mitteldeutschen Kraftwerken bezogen. Nachdem 1952 die letzten
Verbindungen zwischen Ost und West getrennt worden waren, blieb West-Berlin
ohne Anschluss an ein Verbundsystem. Strom für Berlin musste in Berlin erzeugt
werden.
Die
Suche nach einem neuen Kraftwerksstandort bereitete in diesem Ballungsgebiet
Schwierigkeiten. Zu beachten waren geeignete Verkehrswege für den
Brennstofftransport, ausreichende Kühlwasserversorgung, Einbindung in das Netz
von Hochspannung und Fernwärme und der Bau hoher Schornsteine aus Gründen des
Umweltschutzes. Letzteres gestaltete sich besonders kompliziert, da die
Flugsicherheitsbereiche der Flughäfen Tegel, Tempelhof und Gatow die
Gebäudehöhen bis zu 15 Kilometer Entfernung von den Rollbahnen beschränken. Nur
auf 42 Prozent der Fläche West-Berlins durften Schornsteine über 135 Meter
gebaut werden. Nachdem das alles geklärt war, stand der Platz am Teltowkanal
bei Kilometer Tek km 16,50 fest. Zwischen Königsberger- und Wismarer Straße
wurde unmittelbar am Hafen Lichterfelde im Frühjahr 1970 mit dem Bau des
Heizkraftwerks Lichterfelde begonnen. Da ringsherum Wohnsiedlungen liegen,
mussten die Nachbarn ausreichend vor Lärm geschützt werden. Die Anlagen wurden
schalltechnisch so ausgelegt, dass an der Grundstücksgrenze ein Schallpegel wie
in reinen Wohngebieten von 35 dB eingehalten wurde. Das Maschinenhaus und die
drei Kesselhäuser wurden fensterlos und mit einer Belüftungsanlage
ausgestattet. Alle nach außen führenden Öffnungen erhielten Schalldämpfer.
Transformatoren, Schaltanlagen und Maschinen wurden in Gebäuden untergebracht.
Die
Anlage bestand aus dem 151 Meter langen Maschinenhaus und den drei auch heute
noch weithin sichtbaren 98 Meter hohen Kesselhäusern mit ihren
Stahlblechschornsteinen und einer Mündungshöhe von 160 Metern. Zu jedem
Kraftwerksblock gehörte ein Kessel mit Ölfeuerung. Das ausschließlich in
Tankschiffen angelieferte schwere Heizöl wurde durch Beheizen der Schiffsbunker
verflüssigt und in die 60 000 Kubikmeter fassenden Ölbehälter gepumpt. In den
zwölf Ölbrennern eines jedes Kessels wurden stündlich bis zu 31,5 Tonnen Öl rußfrei
verbrannt.
Das notwendige Kühlwasser wurde dem Teltowkanal
entnommen. Da die Temperatur bei der Wiedereinleitung des Kühlwassers in den
Kanal wegen möglicher biologischer Schäden 28 Grad Celsius nicht überschreiten
durfte, wurde es vor allem in den Sommermonaten zuvor in die drei 50 Meter
hohen Kühltürme gepumpt, rückgekühlt und erst dann eingeleitet. Das
Heizkraftwerk Lichterfelde war mit 450 000 Kilowatt die leistungsstärkste und
zugleich modernste Anlage in West-Berlin. Die drei 150 000-KW-Blöcke gingen
nacheinander in den Jahren 1972, 1973 und 1974 in Betrieb. Nach dem Prinzip der
Kraft-Wärme-Kopplung wurden gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Die
Fernwärmeversorgung konnte nun auf den Südwesten der Stadt ausgedehnt werden.
Versorgt wurden der Botanische Garten, das Bundesgesundheitsamt, die Bundesanstalt
für Materialprüfung, die Freie Universität und das Universitätsklinikum
Steglitz. Später wurden die sogenannte "Thermometer-Siedlung", die
Siedlung am Woltmannweg und die amerikanische Kaserne "Mc Nair
Barracks" sowie das US-Hauptquartier in der Clayallee mit Fernwärme
versorgt.
Nachzutragen ist, dass der Inselbetrieb in den Mauerjahren erhebliche
Nachteile für die Wirtschaftlichkeit mit sich brachte. Da die Bewag bei
Störungen nicht an ein Verbundnetz angeschlossen war, musste sie ständig eine
schnell verfügbare Reserve von 17 Prozent der erwarteten Höchstlast vorhalten.
In diesem Zusammenhang gewann der 1906 angelegte Lichterfelder Hafen wieder an
wirtschaftlicher Bedeutung. Bis 1981 durften allerdings die Tankschiffe aus dem
Westen Deutschlands nicht den direkten Weg aus der Havel über die
Kleinmachnower Schleuse nehmen. Ihre Route führte umständlich über die Berliner
Innenstadt und den Britzer Verbindungskanal von Osten her in den Teltowkanal
zum Hafen Lichterfelde.
"Aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen zwischen der Regierung der
DDR und dem Senat von Berlin (West) erfolgte am 20. November 1981 die Öffnung
des Teltowkanals von Westen her. Dem voraus gingen umfangreiche
Bauarbeiten" am Kanal und an der Kleinmachnower Schleuse, die aus der
Westberliner Kasse bezahlt wurden. "Die BRD-Flotte transportiert jährlich
etwa ein Drittel des Gesamtgüteraufkommens Westberlins, wobei die Schwerpunkte
bei Kohle, Koks, Mineralölen und Baumaterialien liegen. In nicht
unbeträchtlichem Maße ist auch die DDR-Flotte an der Ver- und Entsorgung
Westberlins beteiligt."
Mit dem "Klimawechsel" in Europa und einem im Mai 1986 mit der
sowjetischen Firma Sojuzgazexport abgeschlossenen Vertrag über Erdgasbezüge von
jährlich 180 Millionen Kubikmetern konnte ab 1988 mit der Umrüstung des
Heizkraftwerkes Lichterfelde von Öl- auf Erdgasfeuerung begonnen und zehn Jahre
später abgeschlossen werden. Nach offiziellen Angaben sollen die CO2-Emissionen
aus der Verbrennung von Erdgas um ein Viertel unter denen von Heizöl liegen.
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter
www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal
(Potsdam-Mittelmark)