Märkische Allgemeine Zeitung 15.03.06
PETER HAHN
Was waren das noch für Zeiten, als Verleger verkünden
konnten, dass mit Zeitungen und Zeitschriften das Geld verdient wird, aus dem
Bleibendes entsteht. Das war es dann auch: 1928 erschien "Im Westen nichts
Neues" von Erich Maria Remarque, 1929 Vicki Baums "Menschen im
Hotel", 1930 Heinrich Manns "Professor Unrat", 1931 Carl
Zuckmayers "Der Hauptmann von Köpenick" und 1955 Françoise Sagans
"Bonjour tristesse" - gedruckt im Ullstein-Haus in Tempelhof.
Dort am Teltowkanal Kilometer Tek km 23,40 hatten die
Söhne von Firmengründer Leopold Ullstein nach einem Entwurf von Eugen Schmohl
den ersten Stahlbeton-Skelettbau Deutschlands errichten lassen. Mit seiner
Fertigstellung stand in Berlin 1927 das größte europäische Druckhaus. Der
Klinkerbau, bis heute ein untypischer Industriebau, strahlt in seiner
sachlich-strengen Gliederung noch immer eine gewisse repräsentative
Monumentalität aus. 77 Meter hoch der Turm, die goldenen Uhrziffern von weither
sichtbar, über dem Portal die Ullstein-Eule.
Unter diesem bis heute erhaltenen Markenzeichen wurden
neben den Büchern der Verlage Ullstein und Propyläen die "Berliner Zeitung
am Mittag BZ", die "Berliner Illustrirte Zeitung" und die
"Berliner Morgenpost" produziert. Ab 10. April 1927 gab Chefredakteur
Ehm Welk, Autor der "Heiden von Kummerow", mit dem Wochenblatt
"Die Grüne Post" die millionenfache "Sonntagszeitung für Stadt
und Land" heraus. Der Pianist Artur Schnabel konzipierte die
"Tonmeister-Ausgaben", Kurt Tucholsky den "Uhu" und Bertolt
Brecht erhielt monatlich 600 Mark für die Verpflichtung, seine dramatischen,
erzählenden und lyrischen Werke zuerst dem Ullstein Verlag vorzulegen.
Das Medienhaus war einflussreich
und den Nationalsozialisten schon vor 1933 ein Dorn im Auge. 1934 gaben die
Ullsteins dem Druck nach. Dem "Verkauf" folgte die Emigration der
jüdischen Familie. Aus dem Familienunternehmen Ullstein Verlag wurde der
"Deutsche Verlag" unter Aufsicht von NSDAP und
Reichsschrifttumskammer.
Bevor die amerikanische Militärregierung das Erbe
1946 als "Verlag des Druckhauses Tempelhof. Vorm. Deutscher Verlag
Berlin" zu neuem Leben erwecken konnte, hatten die Sowjets alle
Maschinen abtransportiert. In US-Lizenz erschienen dann "Allgemeine
Zeitung", "Der Abend", "Der Tagesspiegel",
"Neue Zeitung", "Die Welt", "Radio-Revue" und
das Frauenmagazin "Sie".
Die Rückgabe an die Familie Ullstein erfolgte 1952.
Acht Jahre später erwarb Axel C. Springer den Verlag. Er verlegte die
Druckerei in die Kochstraße und baute später unmittelbar an der Mauer im
traditionellen Zeitungsviertel von Berlin das Springer-Hochhaus. Das
"Druckhaus Tempelhof" geriet ins Abseits.
In den folgenden Jahren verdiente Springer mit Bild
bis BZ tatsächlich das Geld, aus dem der von ihm berufene Wolf Jobst
Siedler als Chef der Ullstein-Buchverlage Bleibendes entstehen lassen
konnte. Siedler holte sich Berater wie Joachim C. Fest, Dieter Groh,
Johannes Gross, Joachim Kaiser und Hans Schwab-Felisch. Es erschienen die
Memoiren von Albert Speer und die Hitler-Biographie von Joachim C. Fest.
Aus der Zeit danach gibt es eigentlich nur zu berichten, dass Springer die
Buchverlage im Jahre 2003 an den schwedischen Bonnier-Konzern verkauft hat.
Bereits 1985 hatte die Berliner Firma
Becker & Kries das Areal "Druckhaus Tempelhof" erworben. Zwei
Jahre später entstand als Tochtergesellschaft die "Mode-Center-Berlin
Management Verwaltungs GmbH". Innerhalb des "Mode-Center Berlin"
sollen Existenzgründer "neben günstigen Mieten die Möglichkeit erhalten,
Kosten zu senken, indem Gemeinschaftseinrichtungen genutzt werden".
Interessenten dürften vorhanden sein, da die Hauptstadt neben der
traditionellen Modemesse "Berliner Durchreise" inzwischen mit den
Ausbildungsstätten ESMOD, Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, Hochschule
der Künste, Kunsthochschule Weißensee, Lette Verein und Modeschule Berlin
aufwartet.
Und so kam es, dass in der Euphorie der Wendezeit ein
Wettbewerb für einen mehrteiligen Ergänzungsbau entlang des Teltowkanals
ausgeschrieben wurde. Den Zuschlag erhielten die aus Österreich stammenden und
in Berlin lebenden Architekten Johanne und Gernot Nalbach. Die Baumeister, die
eigentlich immer für Respekt vor "Fragmenten der gewachsenen Stadt"
plädierten, haben den "Neubau an den Bestand angepasst". Neben dem
"klassischen" Ullsteinhaus steht nun ein Baukörper, der einfallsloser
nicht hätte geraten können. "Erfunden" ist da nichts, allerhöchstens
"nachempfunden", wie Architekten und Stadtplaner so etwas heute
nennen. An den rötlichen Klinker des Ullsteinbaus schließt sich nahtlos ein mit
rötlichem Sandstein verkleidetes Gebäude an. Da laut Nalbach "das
Verfallsdatum spektakulärer städtebaulicher Zitate immer kürzer wird",
bleibt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft am Teltowkanal.
Bis dahin offeriert das "Mode Center Berlin"
als Ausstellungs- und Orderhaus für Bekleidung, Schuhe, Accessoires auf 55 000
Quadratmeter Nutzfläche 250 eingemietete Modefirmen mit 750 verschiedenen
Kollektionen. Für Bleibendes ist kein Platz. Der gerade vorherrschende
Geschmack ist entscheidend.
Die MAZ-Serie "100 Jahre Teltowkanal" steht im Internet unter www.MaerkischeAllgemeine.de/teltowkanal
(Potsdam-Mittelmark)